Bulletin Nr. 29; November 2000

Alltag am Zoll

Therèse will ihre Freundin Jeanne für eine Woche besuchen. Therèse wohnt mit ihrer Familie in North Carolina (USA), Jeanne wohnt mit ihrer Familie in der Westschweiz. Beide stammen aus Rwanda. Sie haben sich seit 1994 nicht mehr gesehen. Therèse hat eine Greencard in den USA und kann ohne Visum in die Schweiz reisen. Jeanne hat in der Schweiz den Aufenthaltsstatus F, kann nicht reisen, ist also nur geduldet. Therèse kommt am 6. Oktober um 7.45 Uhr mit Continental Airline in Zürich Kloten an. Bei der Passkontrolle wird sie gebeten zu warten. Eine schwarze Frau mit Greencard muss überprüft werden. Die Papiere sind in Ordnung. Aber: Therèse trägt nur 165 US-Dollar auf sich. Das genügt den Grenzbeamten nicht. Therèse sagt, sie sei bei ihrer Freundin Jeanne eingeladen. Sie gibt deren Namen und Telefonnummer. Die Einladung wird bestätigt. «Was haben sie für einen Aufenthalt», fragt der Grenzbeamte Jeanne am Telefon. «F», sagt sie wahrheitsgemäss. Auch das wird überprüft. Und stimmt. Der Grenzbeamte sagt nun, jemand mit einem Aufenthaltsstatus F habe kein Recht, eine Garantie für eine Einreisende abzugeben. Jeanne insistiert, sie wolle sofort das notwendige Geld überweisen, damit ihre Freundin einreisen dürfe. Der Grenzbeamte bleibt hart, mit einem F darf man das nicht.
Jeanne gibt nicht auf. Sie informiert Dorothe, Mitglied einer ihr bekannten Flüchtlingshilfegruppe in Genf, diese informieren A., eine Aktivistin von augenauf. A. ruft bei der Flughafenpolizei an. Ein Herr Widler bestätigt den Sachverhalt und beharrt darauf, dass Therèse zurück in die USA muss, ohne ihre Freundin sehen zu können. Darauf setzt sich A. mit dem Leiter der Flughafenpolizei, Herrn Neracher in Verbindung. Sie will wissen wieviel Franken pro Tag für eine Einreise verlangt werden, «150» lautet die Antwort. A. sagt, sie werde sofort 1000 Franken an den Flughafen bringen, dafür sei Therèse einzulassen. Neracher ist einverstanden und sagt, er wolle jetzt schnell die Grenzbeamten informieren, damit es nicht zu spät wird. Zur Sicherheit ruft A. auch selbst noch bei der zuständigen Grenzpolizeistelle an und teilt Herrn Widler mit, dass sie im Einverständnis mit Herrn Neracher das Geld für die Einreise von Therèse vorbeibringen wird.
12.30 Uhr Grenzpolizei B: A. solle doch einen Moment Platz nehmen, der zuständige Beamte komme gleich, heisst es da. Ein Herr Kälin taucht auf. Er sagt, es sei ihm peinlich mitzuteilen, dass Frau S. bereits wieder im Flugzeug zurück nach den USA sitze. Die Meldung von Herrn Neracher sei zu spät eingetroffen. Zwar stand das Flugzeug noch am Boden, aber der Pilot habe sich geweigert, nochmals die Türen zu öffen, ansonsten er seinen «Slot» verpasse. A. gibt zu bedenken, dass als sie selbst anrief, Therèse noch nicht im Flieger sass. Und, will sie wissen, was sei bitte der Unterschied zwischen ihren eigenen 1000 Franken und denjenigen der Rwanderin mit Aufenthaltsstatus F. «Der Status, der Status», antwortet der Grenzbeamte.

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