Bulletin Nr. 20; November 1997

Gefangene erheben ihre Stimme

Der Hungerstreik im Ausschaffungsgefängnis Kloten

Der Hungerstreik von zeitweise über 40 Ausschaffungsgefangenen im Ausschaffungsgefängnis Kloten hat den Blickwinkel der Öffentlichkeit für einen kurzen Augenblick verändert. Für einmal stand nicht die Hetze gegen «Illegale» oder «kriminelle Ausländer» im Vordergrund, sondern die Situation und Forderungen von Ausschaffungsgefangenen selbst. Wir von augenauf haben vor, während und nach dem Hungerstreik versucht, die betroffenen Gefangenen in ihrer Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen. In diesem Bulletin dokumentieren wir die Aussagen von Gefangenen und geben in einer Chronologie einen Überblick über die Ereignisse.

 
Interview mit Ausschaffungs-gefangenen aus Kloten
Nach dem Hungerstreik haben wir mit drei der Ausschaffungsgefangenen von Kloten ein Gespräch geführt. Am Gespräch beteiligten sich A. aus Kosova, I. aus Algerien und der Palästinenser H.
A., weshalb sind Sie in Ausschaffungshaft?
A.: Ich kam am 19. September dieses Jahres von Italien in die Schweiz. Ich wollte einen Bekannten in der Schweiz besuchen, habe ihn aber nicht gefunden. Zwei Tage später wurde ich in Basel verhaftet. Die Frepo hat mich nach der Verhaftung verhört. Ich habe ihnen alles erzählt. Sie sagten mir, «was willst Du in der Schweiz, es gibt hier kein Asyl mehr, das Gesetz ist geändert». Ohne Pass hast du keine Chancen, dabei wissen die doch genau wie die Lage in Kosova ist.
Wussten Sie, dass Sie wegen fehlender Papiere in's Gefängnis kommen?
Ja, es ist inzwischen in ganz Europa dasselbe. Doch was sollte ich machen? Mit einem alten jugoslawischen Pass kann man nirgends hin. Für Europa ist der ungültig.
Sie sind im 3. Stock des Ausschaffungsgefängnisses untergebracht. In den Medien hiess es, nur im 4. Stock sei gehungert worden.
A.: Das stimmt nicht. Wir vom 3. Stock haben via Zettel aus dem 4. Stock erfahren, dass ein Hungerstreik läuft. Deshalb haben wir dann am Sonntag auch angefangen zu hungern.
Wieviele haben sich im 3. Stock dem Hungerstreik angeschlossen?
A.: Am Sonntag streikten 22, am Montag haben dann 10 von uns wieder aufgehört. Aber am Mittwoch waren wir wieder wie zu Beginn 22.
Weshalb sind Sie in den Hungerstreik getreten?
A.: Wir wollen nicht eingesperrt sein. Wir fühlen uns als Menschen ungerecht behandelt. Viele von uns sind nie straffällig geworden. Wieso müssen wir dann 9 Monate im Gefängnis sitzen? Ausserdem: Wenn die neun Monate um sind, sagen sie dir, du hast einen Monat Zeit, das Land zu verlassen beziehungsweise die Papiere zu beschaffen. Weshalb muss man zuerst im Gefängnis sitzen, um nachher doch unter Druck gesetzt zu werden, das Land zu verlassen? Und wie sollen wir die Papiere selbständig in einem Monat beschaffen, wenn die Behörden das in neun Monaten nicht geschafft haben? Wieso können wir nicht in Freiheit auf die Papiere warten? Wir wollen eine Lösung, das Warten haben wir satt.
Ausserdem: Wir wissen genau, dass die Abmachung mit Milosevic nichts taugt. Die Leute vom Bundesamt für Flüchtlinge und der Fremdenpolizei wissen das auch – die wissen das genau. Die Leute mit dem alten jugoslawischen Pass können nicht zurück.

Am Mittwoch fand ein Gespräch zwischen einer Gefangenendelegation und Vertretern der Fremdenpolizei und des Bundesamts für Flüchtlinge statt. Wie haben Sie das erlebt?
A.: Ich sagte der Gefängnisleitung, ich wolle dabei sein, doch es wurden nur Leute vom 4. Stock zugelassen. Niemand vom 3. Stock war dabei. Das Problem am Gespräch war: Es wurde nur über die Papiere geredet, aber nicht über die Menschen. Deshalb ist das Gespräch für uns nur der Anfang. Es geht bei der ganzen Sache um uns als Personen.
Was halten Sie von den Resultaten des Gesprächs?
A.: Das Gespräch hat eigentlich nichts gebracht. Wichtig am Hungerstreik war, dass die Öffentlichkeit über unsere Situation informiert wurde. Jetzt warten wir auf die Antwort, welche uns versprochen wurde. Doch ich glaube, dass das Ganze überhaupt nichts bringt.
Was sind eure Forderungen?
A.: Das Problem sind die Pässe. Es ist schwierig, Pässe für Kosova zu bekommen. Einige von uns wollen zurück, haben aber nur die alten Pässe, mit denen ist es nicht möglich nach Jugoslawien zu reisen. Andere von uns wollen nicht zurückgeschafft werden. Ich möchte auch zurück. Die BFF-Leute wollten uns Hoffnung machen, dass die Passbeschaffung zügig vorangeht. Aber das ist Unsinn, wir wissen das ganz genau.
Was erwarten Sie von der Fremdenpolizei?
A.: Nichts. Wir haben keine Hoffnung. Vielleicht passiert in Bern etwas mit den Papieren für die Leute, die zurück wollen. Wir wollen jedoch etwas Neues hören, als nur immer die ständigen Hinhaltereien.
Wie verhielt sich das Gefängnispersonal während des Streiks?
A.: Normal. Die Gefängnisdirektorin Frau Ludwig habe ich während der ganzen Zeit nicht gesehen. Zu Leuten von uns hat sie gesagt, der Hungerstreik mache keinen Sinn, er würde höchstens dazu führen, dass das Personal und sie ihre Jobs verlieren.
Frage an I.: Weshalb haben Sie den Hungerstreik im 4. Stock angefangen?
I.: Schau mal, hier sitzt du fünf Monate im Gefängnis, und wenn du raus kommst, sagt dir die Polizei, du kannst die Schweiz in fünf Tagen verlassen. Niemand aus Algerien bekommt Asyl.
Die Polizei macht Psychoterror. Einer sagte mir etwa, «diese Woche gehst du nach Algerien». Ich bin bereits vierzehn Mal zur Befragung in die Kaserne geführt worden. Das ist psychische Folter. Sie fragen immer dasselbe: «Wie ist dein Name».
Wir hatten einfach genug. Wir dachten zuerst daran, uns die Arme aufzuschneiden, dann entschieden wir uns für den Hungerstreik, besser das zuerst. Wen kümmert es, dass wir hier sind. Die lassen dich hier wie einen Hund hängen. Das ist unmenschlich.

Wieviele haben im 4. Stock gestreikt?
I.: 21. Am ersten Tag machten alle mit, ausser einem. Am Sonntag ebenso, nachher wurden es weniger. Das Problem ist, dass einige einmal angefangen, dann aufgehört und später wieder angefangen haben.
Es hiess, Sie hätten wegen des Hungerstreiks untereinander Streit bekommen?
I.: Natürlich waren bald alle sehr nervös. Da passierte es, dass einer eine abfällige Bemerkung zu einem machte, der gesundheitliche Probleme wegen des Hungerstreiks hatte. Ein anderer hörte das und schlug zu.
Wie verlief für Sie das Gespräch mit der Frepo und dem BFF?
I.: Zuerst verhandelten sie mit drei Algeriern, dann mit den Kosova-Leuten vom 4. Stock. Uns Algeriern gaben sie Adressen, wohin wir schreiben können, um unsere persönliche Situation nochmals darzulegen.
Was wollen Sie schreiben?
I.: Ich werde nicht schreiben. Fünf Millionen Schweizer haben schliesslich für das Gesetz gestimmt, auf Grund dessen wir jetzt im Gefängnis sitzen. Und alle sagen uns immer, sie persönlich trügen keine Schuld. Niemand will verantwortlich sein. Und dann machen sie immer wieder moralischen Druck auf uns. Ich verstehe das nicht. In meinem Land, in Algerien, herrscht ein ganz anderer Druck. Sie nehmen dir so die ganze Hoffnung, irgendwann wirst du dich umbringen.
Auch dass hier ständig die Flugzeuge über das Gefängnis fliegen ist schon ein Terror. So wirst du ständig daran erinnert, dass du schon bald selber in so einem Flugzeug sitzen kannst. Wieso haben die dieses Gefängnis ausgerechnet neben den Flughafen gebaut?
H.: Der Transport von Zürich nach Bern ist auch ein Terror. Man wird zum Kriminellen gemacht, wenn man mit Handschellen zum Zug geführt wird. Ausserdem werfen sie alle Ausländer in einen Topf, alle sind Drogenhändler und Diebe.
A.: Man muss aber auch fragen, wieso die Leute das machen. Die müssen schliesslich auch leben. Die haben keine Arbeit. Viele Ausländer haben keine Arbeit. Wer hier nichts hat, der tut fast alles, um zu überleben.
Auch mein Polizeitransport von Basel nach Zürich war schlimm. Ich wurde wie ein Terrorist behandelt, mit Handschellen auf dem Rücken. Sie machen so alles nur noch schlimmer. Was haben die davon? Wir sind normale Menschen. Was sind das für Menschen?
H.: Sie demütigen uns. Ein Polizist hatte einmal das falsche Dossier dabei. Da wird man vorgeführt und es heisst, «ach, du bist ja gar nicht der Richtige, geh zurück». Was soll das?
A.: Ein Polizist sagte mir, «niemand interessiert sich für euren Streik». Ich glaube das nicht, nicht alle sind gleich. Und auch wenn tatsächlich niemand in der Schweiz daran Interesse hat: Die Welt soll es wissen, wenn jemand hier stirbt.

 
 
Grussbotschaft von Patricio Ortiz:
Der Chilene Patricio Ortiz sitzt in Kloten I in Auslieferungshaft. Obwohl er Jahre in chilenischen Gefängnissen verbracht hatte und schwer gefoltert wurde, ist sein Asylgesuch in der Schweiz abgelehnt worden und er wurde auf Ersuchen der chilenischen Behörden in Auslieferungshaft genommen. Wir zitieren aus seiner Grussbotschaft an die Demonstration für seine Freilassung vom 22.11. in Bern:
«... Der Grund meines Briefes an Euch ist zur Hauptsache die Würdigung Eurer grossen Solidarität und Eures Engagements für meine Freiheit und das Recht auf politisches Asyl in diesem Land. Beides ist nach meinem Selbstverständnis nicht ein Einzelkampf um mein Schicksal, sondern ein Kampf aller ausländischen Gemeinschaften in der Schweiz und in Europa. Unser täglicher Kampf ist ein wichtiger Ansatz, dass wir zusammen über unsere "natürlichen" Grenzen hinausgehen, losgelöst von Herkunft, sozialer Klasse, Klassenunterschieden und religiösen Denkweisen. Wir alle müssen uns aktiv für unsere Rechte als Weltbürger engagieren, und nicht nur für Brosamen, die uns als Bürger dritter Klasse ausweisen.


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