Bulletin Nr. 19; September 1997
Presseerklärung: 'augenauf' protestiert gegen ärztliche
Handlangerdienste im Ausschaffungsverfahren
Bericht über die Deportation von Ibrahim M.
Mit Hilfe eines Tessiner Arztes und brutaler Gewalt hat die Zürcher
Fremdenpolizei am 20. August den 27-jährigen Libanesen Ibrahim M.
ausgeschafft. 'augenauf' fordert alle Ärztinnen und Ärzte und ihre
Berufsorganisationen auf, sich der sich ausbreitenden Praxis der
Zwangsmedikation im Ausschaffungsverfahren zu widersetzen.
Am 10. Juli 1997 versuchte die Zürcher Fremdenpolizei zum ersten Mal, den
mit einer Einreisesperre belegten Sans-Papier Ibrahim M. auszuschaffen. Der
Flüchtling zerriss das Laissez-Passer. Der Ausschaffungsversuch musste
abgebrochen werden.
Als man dem im Flughafengefängnis in Kloten inhaftierten Libanesen am 17.
Juli erneut einen bevorstehenden Ausschaffungsversuch eröffnete, fügte sich
Ibrahim M. im WC seiner Zelle mit einer Rasierklinge zwei 5 und 10
Zentimeter lange Schnittverletzungen in der Bauchgegend zu. Die Schnitte
wurden im Gefängnis ambulant genäht.
Wegen des Widerstands des Flüchtlings sah sich der für die Ausschaffungen
zuständige Sektorleiter der Fremdenpolizei, Stefan Kunz, dazu veranlasst,
ärztliche Hilfe anzufordern. Am 29. Juli fragte er den Chefarzt des
Psychiatrisch-psychologischen Dienstes der Justizdirektion, Herrn Urbanjok,
an, ob seine Dienststelle die «ärztliche Begleitung» von Ibrahim M.
auf dem Flug nach Beirut garantieren könne. Zur Begründung führte Kunz an:
«Der Ausländer ist ca 190 cm gross, wiegt rund 110 Kilogramm und ist
sehr kräftig. Für den rund vier Stunden dauernden Flug nach Beirut ist eine
ärztliche Betreuung unverzichtbar, zumal eine Ruhigstellung durch
Körpereinsatz auch die endgültige Heilung der bestehenden Verletzungen
(Schnittwunden im Bauch, 'augenauf') erheblich gefährden würde. Hinzu
kommt, dass im vorgesehenen Flugzeugtyp kein Vorhang gespannt werden kann.»
Urbanjok lehnte diesen Einsatz nach Absprache mit seinen Vorgesetzten in
der Justizdirektion am 31. Juli ab. Der Fremdenpolizei gelang es jedoch,
für den delikaten Auftrag einen anderen Arzt zu rekrutieren. Einer
Verfügung der für die Ausschaffung zuständigen Zürcher Kantonspolizei vom
15. August ist zu entnehmen, dass der Allgemeinpraktiker Jean-Oscar Meile
beauftragt werden konnte, Ibrahim M. auf dem Flug nach Beirut zu begleiten
und den Häftling «im Notfall (...) ruhig zu stellen». Jean-Oscar
Meile betreibt in Melide (Tessin) eine Allgemeinpraxis. Neben dem Arzt
wurden drei Kantonspolizisten zum Flug aufgeboten. Die Flugkosten beliefen
sich auf annähernd 10’000 Franken.
Am frühen Morgen des 20. August wurde Ibrahim M. von Sicherheitsbeamten aus
seiner Zelle geholt. Mitgefangene beobachteten, dass man dem an Händen und
Füssen gefesselten Mann in der Zelle einen schwarzen Helm aufgesetzt hatte.
Um 11.40 des gleichen Tages traf Jean-Oscar Meile in Kloten ein. Über die
Ausschaffung, die mit dem Swissair-Flug SR 352 vollzogen wurde, liegen
keine Aufzeichnungen vor.
'augenauf' hat in der Vergangenheit wiederholt darauf hingewiesen, dass im
Ausschaffungsverfahren Psychopharmaka eingesetzt werden:
- Im Rahmen des gescheiterten Ausschaffungsversuches gegen H., einen
algerischen Sans-Papier, hat ein Beamter der Kantonspolizei am 8. Mai 1997
dem Häftling im Flugzeug in Genf ein unbekanntes Beruhigungsmittel
verabreicht (Polizeidirektorin Fuhrer bestätigte diesen Vorfall anfangs Juni).
- Beim genauso spektakulären wie missglückten Ausschaffungsversuch gegen
einen Somalier im Juli 1996 waren laut Angaben eines Sprechers der
Aidid-Milizen ebenfalls Medikamente im Spiel. Gegenüber der
Nachrichtenagentur AP erklärte dieser Sprecher damals, dass die
begleitenden Polizisten festgehalten worden seien, weil sie keine Erklärung
für den schlechten Gesundheitszustand des Ausschaffungshäftlings geben konnten.
- Bekannt ist im übrigen, dass in der letzten Woche auch im Rahmen des
missglückten Ausschaffungscharters nach Gambia ein Arzt mitgeflogen ist.
Über den Auftrag dieses Arztes hat die Berner Fremdenpolizei bisher keine
Angaben gemacht.
Im Fall des Libanesen Ibrahim M. ist erstmals das Ziel der ärztlichen
Begleitung bekannt. Dem Ausschaffungshäftling sollte die letzte ihm
bleibende Widerstandsmöglichkeit – das Schreien während der Ausschaffung –
mit der medizinischen Keule genommen werden.
Die im April von 'augenauf' geäusserte Befürchtung, dass der wachsende
Widerstand von Ausschaffungshäftlingen gegen ihre Deportation – er gipfelte
im April im offenen Konflikt zwischen der Direktorin des
Flughafengefängnisses, Barbara Ludwig, und der Zürcher Polizeidirektion –
zu einer Brutalisierung des Ausschaffungsverfahrens führen könnte, hat sich
damit bestätigt.
Ein weiteres Beispiel für diese Brutalisierung ist ein Vorfall vom 8.
August 1997, über den augenauf von Ausschaffungsgefangenen in Kloten
informiert wurde. An diesem Freitag mussten alle Häftlinge auf Stock 4 um
16 Uhr in ihre Zellen zurückkehren. Nachdem die Zellentüren abgeschlossen
waren, holte die Polizei einen arabischen Mann mit einem Hund aus seiner
Zelle, um ihn für die Ausschaffung bereit zu machen.
Die Spitze dieser Brutalisierung ist die Zwangsmedikation im
Ausschaffungsverfahren. Die medizinischen Folgen dieses Vorgehens sind
unabsehbar. Die Zwangsinjektion von Neuroleptikas und Tranquilizern kann
sowohl zu Atmungs- als auch zu Kreislaufproblemen führen. Sie widerspricht
dem allgemeinen Grundsatz ärztlichen Handelns, dass nichts unternommen
werden darf, was dem Patienten/der Patientin schaden könnte. Die Mediziner,
die Ausschaffungshäftlinge für die Deportation ruhig stellen, machen sich
zu Handlangern des Staates. Sie betreuen nicht mehr Patienten, sondern
nehmen ihre ärztlichen Handlungen an Opfern staatlicher Zwangsmassnahmen
vor. Dies widerspricht selbstverständlich den elementarsten Grundsätzen
medizinischer Ethik. Wir fordern deshalb alle Ärztinnen und Ärzte auf, den
staatlichen Instanzen die Mitwirkung im Ausschaffungsverfahren zu verweigern.
augenauf, 10. September 1997
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