Bulletin Nr. 19; September 1997
Dissozial: das neue Zauberwort, 2. Teil
Internierungslager für «Dissoziale»?
«Razzia gegen Asylbewerber – in der Nähe des Notstandes»
(TA.6.6.97) / «Kriminelle Asylanten – So tanzen sie uns auf der Nase rum»
(Blick 7.6.97) / «Festungswachtkorps entlastet Grenzwächter» (SoZ 8.6.97)
Rechtzeitig zur Debatte im National- und Ständerat über die Änderungen im
Asylgesetz wird schon wieder der Notstand ausgerufen.
Der Weg zum Lager: ein Rückblick
1997 soll der Notstand mit den Bau von Internierungslagern behoben werden.
Was vor sechs Jahren nicht realisiert werden konnte, soll nun in die Tat
umgesetzt werden. An den Internierungslagern wurde damals nicht
festgehalten, weil sie in Widerspruch mit der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) gestanden hätten. Auch hätte zum damaligem
Zeitpunkt mit mehr Widerstand gerechnet werden müssen, während heute das
Terrain ideal vorbereitet ist.
Bereits Anfang 1991 spielte der Bundesrat mit dem Gedanken, Armeeinheiten
an der Grenze einzusetzen und die Flüchtlinge in Sammellagern von Soldaten
bewachen zu lassen. Die entsprechende Armee-Übung im März 91 hiess
sinnigerweise «Limes» – wie der Grenzwall, den die Römer zur Verhinderung
des weiteren Vordringens der Barbaren errichteten. Zum gleichen Zeitpunkt
stellte BR Koller an der nationalen Asylkonferenz das gemeinsame
Aktionsprogramm von Bund und Kantonen vor, dessen Ziel es war (und ist),
die Schweiz für potentielle Flüchtlinge unattraktiver zu machen:
- Arbeitsverbot für sechs Monate
- Reduzierung der Fürsorge auf ein Minimum
- Errichtung von geschlossenen Internierungslagern für Illegale
- Der Bund stellt den Kantonen Armee-Einheiten für die Betreuung der
Internierten in Aussicht (WoZ, 28.3.91).
Ein halbes Jahr später übten Soldaten in der Übung Veritas das Internieren.
Offiziell ging es um die Betreuung von Kriegsgefangenen. Tatsächlich wurde
die Betreuung von zivilen Flüchtlingen geübt. «Wir kümmern uns hier um
Asylsuchende, Obdachlose usw.» sagte einer der Soldaten. In der Nähe von
Liestal mussten sie ein Lager bauen (WoZ 11.10.91).
Aufgrund der regelmässigen Presseberichte über die Absichten des
Bundesrates, die Arme-Einheiten an der Grenze einzusetzen, gab es im
Frühling und Sommer 91 heftige Proteste. Zu nahe lag noch der
«Fichen-Skandal», als dass der Bau von Internierungslagern geschluckt
worden wäre. Der Armee-Einsatz gegen Flüchtlinge wurde schubladisiert.
Zwei Jahre später – im Herbst 93 – rief Bundesrat Koller 1994 zum «Jahr der
inneren Sicherheit» aus – zeitgleich mit Innenminister Kanther, der
dasselbe in Deutschland tat. Obwohl die sog. «Kriminalitätsrate» im
Vergleich der Vorjahre 1993 gesunken war, wurde überall der Notstand
entdeckt. Dies obwohl im «EJPD-Aktionsprogramm» nachzulesen war, dass «kein
Notstand, wohl aber ein Handlungsbedarf in einzelnen Bereichen» bestehe.
Dabei wurde dieser «Handlungsbedarf» ausschliesslich repressiv definiert
oder mit sozialer Kontrolle gleichgesetzt. Am wirkungsvollsten um die
Zürcher Drogenszene am Letten. Von den SP-Stadträten Estermann und Neukomm
über die Zürcher Ständerätin Monika Weber bis hin zu den Rechtsaussen der
SVP kam nun der Ruf nach Verschärfungen im Ausländerrecht, mehr
Gefängnisplätzen und Ausbau der Polizeikräfte. Die Polizei hat dazu
flankierend in gezielten Aktionen medienwirksam Dutzende von angeblichen
Dealern verhaftet, um sie kurz darauf wieder freizulassen – ohne dabei zu
vergessen,
auf fehlende rechtliche Möglichkeiten oder Gefängnisplätze hinzuweisen. In
der zweiten Jahreshälfte 94 sagte die Zürcher Bevölkerung ja zu drei neuen
Gefängnissen (Kloten I und II, Propog), akzeptierte ein viertes
(Waid-Bunker) und stimmte den Zwangsmassnahmen zu, wenn auch mit den
gesamtschweizerisch tieftsten Ja-Anteilen in den direkt betroffenen Quartieren.
Vom Senken der Schwellen
Wurden die Zwangsmassnahmen 1994 noch mit «Gefährdung der öffentlichen
Sicherheit» gerechtfertigt, so ist 1997 die Schwelle einiges tiefer
gesetzt, um endlich die Internierungslager realisieren zu können. Heute
heisst es «bloss» noch, dass kriminelle und dissoziale Personen, vorwiegend
zwischen 18 und 25 Jahren alt, anders nicht mehr zu kontrollieren seien,
als mit einem speziellen, zentralen Lager. Bereits vor einem Jahr
berichteten wir darüber, wie Dissozialität im Alltag der Behörden und
Gerichte eingeführt wird, um sog. «renitente» Menschen selbst in Fällen
bestrafen zu können, in denen das Strafgesetzbuch oder das Asylgesetz nicht
mehr greifen. Im Sommer 96 rügte das Bundesgericht beispielsweise zweimal
die Praxis im Ausschaffungsgefängnis Kloten I. Anstatt wie bis anhin
üblich, die Freilassung des Beschwerdeführers anzuordnen, wurde dessen
weitere Inhaftierung mit seinem dissozialen Verhalten begründet.
Analog zu 1994 wird auch 1997 wieder mit schöner Regelmässigkeit berichtet,
dass die Schweiz sicherheitstechnisch am Limit angelangt und nur durch
Ausbau der Polizei oder mit Hilfe von Berufsmilitär die gröbsten Löcher
gestopft werden könnten. Ein Blick ins «Aktionsprogramm Innere Sicherheit
1994» des EJPD zeigt, dass die damals aufgestellte Liste beinahe Punkt für
Punkt umgesetzt worden ist oder wird (siehe Kasten). Da ist es nichts als
logisch, dass bestehende Statistiken so ausgelegt werden, dass sich die
BürgerInnen weiterhin nicht sicher fühlen (sollen).
Genial, wie der Zürcher Staatsanwalt Bertschi dieses Frühjahr die Angst von
breiten Bevölkerungskreisen vor einer albanischen Invasion aufnimmt, mit
Auszügen aus der Kriminalitätsstatistik anreichert, um mit der Forderung zu
schliessen, dass «die Grenzkontrollen verschärft werden sollten.»
(TA 13.3.97)
«Der Bürger muss merken, dass Verstösse gegen das Gesetz Folgen haben.
Gefährlich wird es dann, wenn die Bürger das Gefühl haben,
Gesetzesverstösse würden nicht mehr geahndet oder man verfolge nur noch die
einfachen Delikte und kapituliere vor den schwierigen.»
«Viele Einbrecher sind in der Schweiz nicht angemeldete Ausländer. Man
weiss heute: Der Druck aus den ärmeren Ländern ist enorm. Wenn man jemanden
verhaftet, kommt ein anderer nach. Ist das nicht eine Sisyphusarbeit?»
«Man hat dieses Problem bis jetzt, vor allem gesamtschweizerisch, zu
wenig ernst genommen. Wir verlangen, die Grenzen besser zu schütze, wenn es
um die illegale Einwanderung und die Ausfuhr von Diebesgut geht. Das
heisst: Die Grenzkontrollen sollten verschärft werden, dafür braucht es
aber mehr Personal.»
Armee an die Grenze, Flüchtlinge ins Internierungslager?
Auffallend ist, wie regelmässig die Printmedien im Juli Bilder von
Grenzwächtern veröffentlichten, auf denen zu sehen ist, wie ein oder zwei
Männer in der Fliegerstellung an eine Wand oder an ein Auto lehnen. Während
der eine Grenzer ihn abtastet, sichert ihn der andere mit schussbereiter
Waffe. So z.B. im TA vom 11.7. mit der Bildlegende: «An der Grenze im
Tessin werden zwar mehr Albaner angehalten, die illegal über die Grenze
kommen, aber bei weitem nicht so viele, dass das EMD an einen Armee-Einsatz
dächte.» Die Botschaft ist klar: Hier haben es aufrechte
Schweizerbürger mit brandgefährlichen Kriminellen zu tun. Da ist es nur
logisch, wenn ein nationales Internierungslager für die besonders
gefährlichen Männer zwischen 18 und 25 Jahren gefordert wird – diesmal in
schöner Arbeitsteilung vom Kanton Baselland (SoZ 8.6.). Interessant ist,
wie es der «SonntagsZeitung» in dieser Nummer gelingt, unter dem Titel
«Es geht auch ohne Brachial-Massnahmen» eine strenge soziale Kontrolle,
den Bau von Internierungslagern und den Einsatz von Berufssoldaten als
«weiche» Mittel anzupreisen. Ein Meisterwerk von New Speak:
«In einem Brief an den Bundesrat beklagte die Regierung des Kantons
Baselland die Schwierigkeiten vor allem mit Asylbewerbern aus dem Kosovo,
mit denen sich kommunale Heime herumschlagen müssen. Sie forderte eine
gesamtschweizerische Kollektivunterkunft für 'kriminelle und dissoziale
Asylbewerber'.» Im Gegensatz dazu gebe es in Basel-Stadt keine grossen
Zentren, die Asylbewerber leben in Wohnungen. «Dort sind sie für die
Organisation des Essens und der Sauberkeit selber zuständig.» Wer
mehrfach gegen die Hausordnung verstösst, dem wird die Wohnung entzogen.
Betroffene müssen dann in die Notschlafstelle. «Wir machen recht
zackig.» Zwei Monate später dürfen sie sich wieder um eine Wohnung
bemühen. Das ist das Prinzip der Gegenleistung, das auch in den Zürcher
Heimen praktiziert wird. Betreuer werden in Basel in
Selbstverteidigungskursen auf Bedrohungen vorbereitet.
Passend dazu die Meldung: «Festungswachtkorps entlastet Grenzwächter. 20
Soldaten werden Grenzwachtkorps (GWK) im Sommer bis Ende September, maximal
Ende Jahr an der Südgrenze unterstützen.»
Da überrascht es auch nicht mehr, wenn BR Koller eine Woche später an einer
Tagung der «Schweizerischen Flüchtlingshilfe» Dissozialität, Kriminalität
und Gewalt auf eine Stufe stellt und ebenfalls nach einem
Internierungslager ruft (NZZ 14.6.). Die Trommler des «Blicks» begleiten
das ganze mit ihren üblichen Schlagzeilen und entdecken den «kriminellen
Asylanten» neu. Zwei Meisterstücke sind «Dealer zocken 70 Mio. ab»
und «Kriminelle Asylanten». Im ersten Artikel geht es eigentlich
darum, dass hochgerechnet wird, dass die KonsumentInnen von Heroin und
Kokain, welche Sozialhilfe beziehen, etwa den genannten Betrag für ihren
Drogenkonsum ausgeben könnten. Laut «Blick» sollen ausländische Dealer
jeweils am Zahltag um das Sozialamt schleichen, um die Sucht der Junkies
erbarmungslos in schnelles Geld umzusetzen. Eine gar heftig an den Haaren
herbeigezogene Geschichte. Doch erfüllt sie ihren Zweck:
Die Schlagzeile weckt wieder mal die Assoziation «Ausländer – Geldgier –
Deal» und bereitet gleichzeitig den Boden vor für die «falsche
Arbeitslose»-Serie Anfangs Juli.4 Im zweiten Artikel verdrehen die
Blicklinge die Realität bis zur Unkenntlichkeit. Mehrere Fälle von
Widerstand gegen die Ausschaffung stellen sie neben Sätze wie «Illegale
unterlaufen das Ausschaffungssystem», «Der Nationalrat weitete
gestern den Flüchtlingsbegriff aus, während die Fremdenpolizeien bei der
Rückführung einen Notstand ausmachen.(...) Bernhard Kohler, Adjunkt bei der
Frepo Bern: ‹Die Auszuschaffenden schalten und walten nach Belieben. Sie
randalieren, meutern, legen sich quer. Die Mätzchen reichen, um das
Ausschaffungsverfahren zu verzögern oder sogar zu verunmöglichen.› Die
Behörden stehen auf verlorenem Posten: Bis Ende Mai hätten 6652 illegale
Asylbewerber ausreisen müssen. Davon tauchten 3658 unter – 55 Prozent.»
Das ganze unter dem Titel: «So tanzen sie uns auf der Nase rum.»
Schön termingerecht am Morgen, bevor in der Fernsehsendung «Arena»
verschiedene BFF- und Frepo-Leute eine Asylgesetzverschärfung und mehr
Freiheit bei Ausschaffungen fordern, wie sie es seit mehreren Monaten bei
jeder sich bietenden Gelegenheit tun.
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