Bulletin Nr. 19; September 1997
Kleine Geschichte der Repression in den Flüchtlingslagern
1986 und 1987 führte das damalige «Asylkomitee Zürich» eine intensive
Untersuchungskampagne über die Zustände in den damals noch
«Durchgangsheime» genannten Flüchtlingslagern durch. In einer ganzen Reihe
intensiver Gespräche mit Flüchtlingen wurden die Lebensbedingungen
protokolliert und die Ergebnisse in einer Broschüre zusammengefasst. Die
wichtigsten Aussagen:
- Der permanente Geldmangel (Arbeitsverbot, 4 Franken Taschengeld pro Tag)
führt zur Isolation der Flüchtlinge, da ihnen auch kleinere Reisen verwehrt
sind.
- Ein kleinliches, kindergarten-ähnliches Disziplinierungssystem demütigt
und entmündigt die Flüchtlinge. So werden bei kleinen «Vergehen»
(Geschirrzerschlagen, nicht putzen, nach 23 Uhr nach Hause kommen)
Geldbussen verhängt. Essen ist nur zu bestimmten Zeiten möglich, wer zu
spät kommt, bleibt hungrig.
- Die Flüchtlinge leiden unter grösster Enge. Konflikte unter den
Flüchtlingen werden durch die Enge und Isolation verschärft, und erhalten
aufgrund der ethnisch/rassistischen Blickpunkte der Lagerleiter (zum
Beispiel: die «sanften Tamilen» versus die «machistischen Türken») schnell
eine ethnische Dimension. Das – damals noch juristisch unklare – Recht der
Sozialämter, Flüchtlinge in andere Lager («Durchgangsheime») zu versetzen,
bot ein grosses Disziplinierungspotential, denn einige abgelegene Lager
(Amden, Gams) waren wegen der Abgeschlossenheit von Freunden und der
Bevölkerung ausgesprochen unbeliebt.
Gegen diese miserablen Lebensumstände, vor allem aber gegen die
Entmündigung, kam es zu einer langen Reihe von Widerstandsaktionen der
Flüchtlinge. Kurze Hungerstreiks, Arbeitsboykotte und ähnliche
Protestformen wurden von den «Heimleitern» und den zuständigen Sozialämtern
mit Versetzungen der «Rädelsführern», Androhung von negativen
Asylentscheiden und in mindestens zwei Fällen mit brutaler
Polizeirepression gekontert.
Bei den letzteren handelte es sich um einen Polizeieinsatz in Ramsen (SH),
bei dem die protestierenden Flüchtlinge gezwungen wurden, sich lange Zeit
«Kopf nach unten» auf einem Sportplatz niederzulegen, sowie um einen
Einsatz von Polizeigrenadieren in Churwalden (GR), bei dem die Flüchtlinge
gezwungen wurden, barfuss durch den Schnee ins nächste Dorf zu marschieren.
Wie praktisch die Existenz von Lagern mit unterschiedlich schlechten
Bedingungen für die Unterdrückung von Protest ist, zeigte sich auch 1987
bei einem versuchten Hungerstreik in der Kaserne Zürich. Ein Teil der
Kaserne war damals noch ein «Durchgangsheim», dessen miserable
Lebensbedingungen wenigstens durch die zentrale Lage kompensiert wurde.
Nach Beginn der Aktion wurden sofort vier sogenannte «Rädelsführer» der
gleichen Nationalität herausgegriffen, mit Polizeigewalt in den Zug gesetzt
und in vier verschiedene, weit entfernte Lager «verlegt». Der Protest brach
daraufhin zwar zusammen. Den vier «verlegten» Flüchtlingen gelang es aber
immerhin, sich das Recht, den Asylentscheid ausserhalb eines
«Durchgangsheimes» abzuwarten, zu erstreiten.
Mit der Verschärfung der Asylgesetzgebung (Verfahren 88: Schnellentscheid
für «offensichtlich unbegründete Fälle») rückten die Lebensbedingungen in
den Lagern in den Hintergrund. Die Hungerstreiks der Jahre ’88 und ’89 in
Frauenfeld, Gorgier und Klosters richteten sich vor allem gegen das
Asylverfahren. Die Funktion von abgelegenen, von der Bevölkerung und
möglichen UnterstützerInnen isolierten und durch ein strenges
disziplinarisches Regime gekennzeichneten Lagern wurde aber am Beispiel von
Klosters nochmals demonstriert. In Klosters erwies sich die Fortführung des
Protestes als unmöglich, nachdem die Baracken des «Durchgangsheimes» von
Ordnungskräften abgeriegelt und die Nahrungsausgabe selbst für Kleinkinder
verweigert worden war. Der Leitung des Lagers gelang es, eine regelrechte
Medienkampagne zu entfesseln, die innerhalb der lokalen Bevölkerung grossen
Anklang fand. Deshalb zogen die protestierenden Flüchtlinge schliesslich in
einer Nacht- und Nebelaktion nach Zürich,
um mit der Besetzung des Neumarkt-Theaters eine bessere Plattform für ihre
Forderungen zu suchen.
Im Rückblick auf die Geschichte der Repression in den «Flüchtlingsheimen»
entpuppt sich der heutige Diskurs über «kriminelle», «dissoziale» und
«gewaltbereite Asylanten» als Mittel zur Rechtfertigung der
Repressionsmaschinerie gegen Flüchtlinge. Sie könnten es sonst ja noch
wagen, die schweizerische Asylpolitik in Frage zu stellen.
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