Bulletin Nr. 50; September 2006

Die Schweiz weigert sich, Asylgesuche von Flüchtlingsfamilien zu behandeln

Ni partir, ni rester

Der befristete Hungerstreik von sieben Flüchtlingsfamilien vor der Zürcher St. Jakobskirche hat die Solidarität unter den Betroffenen gestärkt.


Vom 22. bis zum 24. August 2006 haben sieben Flüchtlingsfamilien aus den Kantonen Zürich, Graubünden, St. Gallen und Luzern mit der Unterstützung von augenauf und der offenen Kirche St. Jakob am Zürcher Stauffacher einen befristeten Hungerstreik durchgeführt. Die binationalen Familien leben seit Jahren in der Schweiz. Die Väter stammen aus Tunesien und Marokko und waren dort als Mitglieder islamischer Organisationen politischer Verfolgung ausgesetzt. Sie haben ihre Länder Anfang der Neunzigerjahre verlassen und sind nach Bosnien geflüchtet – wo sie von der offiziellen Verwaltung zu Zeiten des Bürgerkriegs mit (relativ) offenen Armen empfangen wurden. In Bosnien haben sie geheiratet und Familien gegründet. Die Väter blieben Ausländer, die Mütter und Kinder sind BosnierInnen.
Als die bosnische Regierung nach dem Machtwechsel im November 2000 alle Araber aufforderte, das Land zu verlassen, sind diese Familien in die Schweiz geflohen. Dazu hatten sie allen Grund: Seit dem Regierungswechsel in Sarajewo sind mehrere Nordafrikaner von Bosnien an die US-Behörden ausgeliefert worden. Mehrere Ausgelieferte werden heute in Guantanamo gefangen gehalten.
Trotz dieser Verfolgung haben sich die Schweizer Behörden immer standhaft geweigert, die Asylgesuche der binationalen Flüchtlingsfamilien aus Bosnien zu behandeln. Bosnien sei ein Safe Country, ein sicheres Drittland, heisst es in Bern. Weil sich die bosnischen Behörden ebenso standhaft weigern, den aus dem Maghreb stammenden Männern und ihren Familien die Rückkehr zu ermöglichen, leben die Familien hier in der Schweiz in einem Weder-Noch-Zustand. «Ni partir, ni rester», sagen die französischsprachigen Väter, wenn sie erklären müssen, was ihr Status sei.

unter dem Hungerstreikzelt am Zürcher StauffacherVon Bosnien in den tunesischen Knast ausgeliefert
Mit der Einführung eines neuen Einbürgerungsgesetzes im November 2005 hat sich die Lage der Nordafrikaner in Bosnien weiter verschärft. So ist exakt während des Hungerstreiks vor der St.-Jakobskirche in der bosnischen Presse über einen nach Bosnien geflüchteten Tunesier berichtet worden, der von Bosnien aus an die tunesischen Machthaber ausgeliefert worden ist – und der dorz erwartungsgemäss im Knast gelandet ist. Der Mann hat den gleichen politischen Hintergrund, wie die Väter, denen die Schweiz ein Asylverfahren verweigert.
Der Vorfall, und die Solidarität unter den Flüchtlingsfamilien, die durch den Hungerstreik gestärkt worden ist, hat die Betroffenen und ihre UnterstützerInnen – zu denen auch Amnesty International gehört – zu einer neuen Eingabe motiviert. Zusammen mit der Dokumentation der erwähnten Ausschaffung in einen tunesischen Kerker ist am 5. September ein neuer Antrag zur materiellen Behandlung der Asylgesuche an das Migrationsamt in Bern geschickt worden. Auch wenn das Echo, das der Hungerstreik in den Medien gefunden hat, mässig geblieben ist (neben dem unmittelbar beim Zürcher Stauffacher angesiedelten «Tages-Anzeiger» hat sich nur Blochers Migrationssprecherin Brigitte Hauser für den «Fall» interessiert), hat die Aktion den Betroffenen neuen Mut gegeben. Affaire à suivre.
augenauf Zürich
Mehr Infos: www.augenauf.ch (Zürich)

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