Bulletin Nr. 48; April 2006
Keine Auslieferung in türkische Foltergefängnisse!
Erdogan E. wurde am 21. Februar in Biel-Benken (BL) verhaftet.
Erdogan E. wurde am 21. Februar in Biel-Benken (BL) verhaftet.
Dem in der Türkei zum Tode verurteilten kurdischen Flüchtling
droht die Auslieferung. In der Schweiz formiert sich Wider-
stand gegen Erdogan E.s Auslieferung.
Am Dienstag, 21. Februar 2006, wurde Erdogan E. in Biel-Benken
vor dem Asylheim verhaftet, bei dem er sich einmal wöchentlich
melden musste, um zu bestätigen, dass er sich noch in der
Schweiz befindet und um einen kleinen Geldbetrag zum Überleben
zu erhalten. Erdogan ist türkischer Kurde und floh vor
knapp zehn Jahren aus der Türkei. Er lebt seither mit einer
F-Bewilligung in der Schweiz, da ihm bei seiner Einreise in die
Schweiz von einer Betreuungsperson abgeraten wurde, den Ausweis
als politisch anerkannter Flüchtling anzunehmen und stattdessen
einen F-Ausweis zu beantragen. In der Türkei droht ihm
wegen politischer Aktivitäten die Todesstrafe, die nun auf Grund
der Annäherung der Türkei an die EU in lebenslange Haft umgeändert
wurde. Die Türkei hat den Schweizer Behörden nun ein
Auslieferungsgesuch gestellt, was die Ausschaffung Erdogans in
den türkischen Knast zur Folge hätte.
Das Liestaler Anwaltsbüro Gysin und Roth hat den auf Bundesebene
laufenden Fall übernommen. Es hat unterdessen Rekurs
gegen die Inhaftierung Erdogans eingelegt. Sie sei jedoch
nötig, so die Staatsanwaltschaft, da sonst Fluchtgefahr bestünde.
Der Entscheid der Behörden steht noch aus.
Türkei 2005: 825 Fälle von Folter und Misshandlung
In der Türkei, wo Staat, Gesellschaft und Justiz nach wie vor ein
sehr gespanntes Verhältnis zu politisch-kritischen Meinungen
haben, ist politische Verfolgung mit den Mitteln des Strafrechts
an der Tagesordnung. Zwar hat das Land auf Druck der EU die
Todesstrafe in Friedenszeiten 2002 abgeschafft, nach wie vor
wird hingegen in den
türkischen Gefängnissen
gefoltert. Gemäss
dem Jahresbericht 2005
der türkischen Menschenrechtsorganisation
IHD gab es in der Türkei
im vergangenen Jahr
erneut 825 Fälle von
Folter und Misshandlung.
Dass die Folter
nicht zurückgeht, dürfte
damit zusammenhängen,
dass Folter-Geständnisse
vor türkischen
Gerichten nach
wie vor als Beweise anerkannt werden. Zu dieser Einschätzung
kommt eine Studie, die von Amnesty International, Pro Asyl und
der Holtfort-Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Zudem werden
vermehrt Foltermethoden angewandt, die keine nachweisbaren
physischen Spuren hinterlassen – Methoden wie Schläge, Abspritzen
mit kaltem Wasser unter Hochdruck, sexuelle Misshandlungen
und Demütigungen, Zwang zum langen Verharren in
schmerzhaften Körperpositionen, Schlaf- und Nahrungsentzug
sowie allgemein psychische Folter.
Auch wenn es schwer zu belegen ist, dass diese Methoden
von der türkischen Regierung direkt angeordnet werden, so ist
doch ersichtlich, dass die türkische Regierung Folter toleriert.
Verschärftes Asylrecht verhindert faire Verfahren
Die Ausschaffung Erdogans wäre kein Einzelfall. Die Türkei
verlangt vermehrt die Auslieferung politischer Flüchtlinge. Durch
die permanente Verschärfung der Asylgesetze wird es für Flüchtlinge
immer schwieriger, legal in der Schweiz zu leben. Mit den
geplanten Verschärfungen des Asylrechts erhöht sich die Gefahr
massiv, dass Flüchtlinge in der Schweiz kein faires AsylverAsylverfahren
erhalten. Flüchtlinge ohne Pass erhalten einen NEE (Nicht-
Eintretens-Entscheid) und werden auf die Strasse gestellt. Die
mangelnde humanitäre Hilfe (Nothilfestopp) oder das Wegsperren
in Ausschaffungslager sollen die Flüchtlinge dazu
bewegen, aus Eigeninitiative die Schweiz zu verlassen – und
damit unter Umständen Folter, Verschleppung oder den Tod zu
riskieren.
Am 3. März findet vor dem Gefängnis in Arlesheim (BL) zum
zweiten Mal ein Solidaritätsspaziergang statt, der von der Basellandschaftlichen
Sondereinheit Kodiak aufgelöst wird. Daraufhin
wird Erdogan E. am 4. März 2006 von Arlesheim nach Liestal
überführt, wo er 23 Stunden am Tag in seiner Zelle sitzt. Einmal
am Tag hat er eine Stunde Hofgang. Sonst sieht er den Himmel
nur durch die Gitterstäbe seiner Zelle.
Am 18. März findet in Basel eine Spontandemonstration
statt. Hunderte forderten die Freilassung von Erdogan E. und die
sofortige Einstellung des Auslieferungsverfahrens.
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