Bulletin Nr. 40; Dezember 2003

A: Jeder Einzelfall wird sorgfältig geprüft - B: Flüchtlinge, bitte draussen bleiben

In Ausübung von Punkt B leidet Punkt A

Zwischen den offiziellen Verlautbarungen des Bundesamtes für Flüchtlinge und seinen realen Tätigkeiten klafft eine grosse Lücke. Eine Strategie des BFF ist es, die Nationalität von Flüchtlingen nicht anzuerkennen. Ein Fallbeispiel.
A. Das Bundesamt für Flüchtlinge behauptet gern und oft von sich: «Jeder Einzelfall wird sorgfältig geprüft.» B. Das Bundesamt für Flüchtlinge - dies behauptet es zwar nicht öffentlich - hat den Auftrag, so wenige Flüchtlinge als möglich einreisen zu lassen und anzuerkennen. In Ausübung von Punkt B leidet Punkt A. Wenn in Afrika oder sonstwo auf dieser Erde ein Konflikt akut wird und in offenen Krieg umschlägt, wenn Abertausende von IDPs (Internally displaced persons, d. h. innerhalb der Landesgrenzen Flüchtende), wie es im Jargon der Humanitären heisst, über die Grenzen in Nachbarländer strömen und so zu «Refugees» werden - wenn einige wenige es sogar schaffen, an unseren Grenzen anzuklopfen -, dann leuchten die Alarmlämpchen in den Köpfen unserer Funktionäre auf. Achtung: Falsch-Angolaner, Falsch- Ivoirer. Derzeit sind es Flüchtlinge aus Liberia, die unter den Generalverdacht der «Krypto-Nationalität» fallen. Da mag einer einen Pass haben, da mag eine eine Identitätskarte mitbringen: Gegen das zementierte Vorurteil ist nicht anzukommen. «Leicht käuflich» seien solche Dokumente im korrupten System eines afrikanischen Landes.
 
Liberianische Verwicklungen
Auch in unserer Presse sind eindrückliche Bilder und Artikel erschienen über den blutigen Krieg in Liberia, der schliesslich zur Evakuierung des Staatspräsidenten Taylor und zur Einsetzung einer Übergangsregierung führte. Alles vorbei? In Monrovia herrsche wieder Ruhe, heisst es, im Rest des Landes geht das Morden weiter, und der abgesetzte Präsident und angeklagte Kriegsverbrecher zieht die Fäden weiter aus dem nigerianischen Asyl. Aber das ist nicht das Problem des Schweizer Bundesamtes, es hat dafür zu sorgen, dass keine Liberianer in die Schweiz einreisen. Weniger eifrig sind andere Bundesämter im Verhindern der «Einreise» liberianischer Vermögenswerte zweifelhafter Herkunft... Y. stellt am 10. September am Flughafen Zürich-Kloten ein Asylgesuch. Er kommt aus Accra. Obwohl Ghana kein direktes Nachbarland Liberias ist, leben dort tausende von liberianischen Flüchtlingen. Y. gehört zur Ethnie des früheren, durch Taylors Leute ermordeten Präsidenten Doe. Er ist sogar verwandt mit diesem und stammt aus dem gleichen Städtchen nahe der Grenze zu Côte d'Ivoire, von wo die neue Rebellenformation Model den Vormarsch nach Monrovia beginnt. Das bedeutet, dass Y. auch in Ghana nicht sicher ist, weil eingeschleuste Leute Taylors im grossen Flüchtlingslager bestimmte Flüchtlinge suchen, angreifen und auch schon ermordet haben. Der Befrager der Flughafenpolizei stützt sich auf einen Abenteuer-Reisebericht eines weissen Entwicklungshelfers, um seine gezielten Fragen nach Ort, Reiseweg, Distanzen usw. zu formulieren. Die Hürde ist einmal mehr die Übersetzung. Das liberianische Englisch ist schwierig zu verstehen, aber mühelos zu erkennen. In keinem anderen anglofonen Land Afrikas spricht man das Englische ähnlich aus, es tönt ein wenig wie das Südstaatenenglisch der USA. Auf die Standardfrage: «Wie haben Sie den Übersetzer verstanden?», antwortet Y.: «Small, small», ein bisschen.
 
Zwei Worte genügen
Aufgrund dieses kurzen «Small, small» wird entschieden: Y. ist nicht Liberianer, sein Gesuch wird abgelehnt. Auch das UNHCR, dem nichts als das Befragungsprotokoll vorliegt, bestätigt diesen Befund. Y. hat keine Rechtsvertretung im Transitverfahren. Sein selbst verfasster Rekurs, gegen die vorgefasste Meinung des BFF und des UNHCR, ist chancenlos. Die aufschiebende Wirkung wird umgehend abgelehnt, ein Kostenvorschuss von 600 Franken wird verlangt, mit einer Zahlungsfrist, die lange vor Ablauf der Beschwerdefrist angesetzt ist. Ein Gespräch im Flughafengefängnis, wo Y. inzwischen festgehalten wird, überzeugt die Besucherin von der Herkunft und der Fluchtgeschichte. «Aim Laïbürien», so etwa könnte es fonetisch geschrieben aussehen. Er sei doch in Ghana als Flüchtling registriert worden. «Do you know the registration number?» «It must be at the airport police, I brought it with me!» Zwei Telefonate genügen, um diese Nummer zu erhalten. Akteneinsicht - Benachrichtigung des UNHCR - Wiedererwägungsgesuch an die Rekurskommission, dieses wird gleichentags abgeschmettert. Weshalb erscheint die Registrierungsnummer nicht im Asylverfahren? Es dauert wenige Tage, bis die Antwort aus Ghana beim UNHCR in Genf eintrifft. Y. ist als liberianscher Flüchtling registriert unter dieser Nummer. Eine neue Stellungnahme des UNHCR folgt: Das Asylgesuch ist nicht unbegründet. Nach 32 Tagen Gefängnis kommt die Einreisebewilligung . Y. reist an die Empfangsstelle, im Gepäck eine Rechnung von 200 Franken für eine nicht behandelte Beschwerde. Wie viele echt-falsche Flüchtlinge aus Liberia sind in Haft oder bereits abgeschoben? Wie viele sind ohne Rechtsvertretung im Schnellverfahren an der Grenze und am Flughafen? - Wir wissen es nicht. Was wir wissen: Auf Punkt A - «Jeder Einzelfall wird sorgfältig geprüft» - ist kein Verlass.

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