Genfer Polizisten haben einen Zürcher Direktor der Firma Ericsson niedergeschlagen und entführt - es war eine Verwechslung.
Von Peter Johannes Meier
"Es war das Schockierendste und Schrecklichste, was ich je erlebt habe", sagt Märten Hellgren. Der 41-jährige Direktor der Telekommunikationsfirma Ericsson bewegt sich nur langsam durch seine Wohnung am Zürichberg. Sein rechter Arm steckt in einer Schlinge, der Hinterkopf wurde rasiert, um eine Platzwunde zu nähen. Sein ganzer Körper ist mit blauen Flecken übersät.
Der sportliche Manager besuchte Anfang Woche die Telecom 99 in Genf. Am Mittwoch stand ein Treffen mit Kunden und Ericsson-Präsident Kurt Hellström auf dem Programm. Kurz vor 11 Uhr verliess Hellgren den Genfer Hauptbahnhof. Rechtzeitig wollte er sich nach dem "Noga Hilton"-Hotel erkundigen, wo später das wichtige Treffen stattfinden sollte.
Zwei Strassen weiter hörte er plötzlich Schreie: "Police, Police!" Sekunden später stürzten sich zwei bewaffnete junge Männer in Jeans und Pullover auf ihn und versuchten ihn auf den Boden zu drücken. "Es war mir klar, die wollen mich überfallen. Keinen Moment habe ich gedacht, das könnten Polizisten sein", sagte Hellgren gestern. Er wehrte sich. Und es gelang ihm, sich loszureissen. "Ich rannte, so schnell ich konnte." Einige Hundert Meter weiter wollte er eine Strasse überqueren, sein Verfolger 40 Meter hinter ihm. Doch plötzlich rammt ihn ein Motorradfahrer. Beide fallen zu Boden. Einer der Verfolger holt ihn wieder ein. Es kommt erneut zum Kampf. Eine weitere Person stösst dazu. Schläge mit Fäusten und einem Knüppel zwingen Hellgren zu Boden. "Sie brachen mir fast den Arm und pressten mein Gesicht auf den Asphalt." Dann legen sie ihm Handschellen an und ziehen ihm seine Jacke über den Kopf. "Eine Viertelstunde musste ich so ausharren, dann hörte ich Sirenen."
Demaskierte "Entführer"
Sofort wurde der Geknebelte in ein Auto gestossen, die Augen immer noch verdeckt. "Ich war überzeugt, nach wie vor in der Gewalt von Geiselnehmern zu sein." Es folgte eine kurze Fahrt zu einem Gebäude. In einem abgeschlossenen Raum wurde Hellgren von der Jacke im Gesicht befreit. "Es war ein kahler Raum. Ich musste mich bis auf die Unterhosen ausziehen. Bisher dachte ich, die wollen mein Geld und meine Kreditkarten. Doch weshalb maskierten sich die Entführer nicht? Waren sie am Ende zu allem bereit?" Dann wurde Hellgren für eine Stunde allein gelassen. Seine Wunden bluteten.
"Der Raum hatte ein Fenster. Ich prägte mir die Gebäude ein, die ich draussen sehen konnte. Sicher ein nützlicher Hinweis für die Polizei, sagte ich mir."
Endlich betraten zwei Männer den Raum. Einer stellte sich als Charles Purro vor, Police de surêté de Genève, chef de sécteur. "Wir haben eine Polizeioperation in der Nähe des Bahnhofs durchgeführt. Sie sind leider das Opfer einer Verwechslung geworden", klärte ihn der Polizist auf und zeigte seine Dienstmarke. Hellgren musste weinen - vor Erleichterung. Er war nicht in den Händen von Verbrechern, er war bei der Polizei. "Bis zu diesem Zeitpunkt hatte mich niemand über die Situation aufgeklärt, keiner zeigte mir seinen Ausweis. Warum bloss?" Ein Doktor nähte die Wunde am Kopf. Nach einigen Entschuldigungen gab es noch ein Geschenk: eine Billiguhr und ein Sackmesser mit der Prägung "Police de Genève". Dann wurde Hellgren in sein Hotel gefahren.
Glück im Unglück?
"Die Situation war halt sehr angespannt. Zur selben Zeit war hinter dem Bahnhof eine Aktion gegen gewalttätige Erpresser im Gang", erklärte gestern Jacques Volery, Pressesprecher der Genfer Kantonspolizei. "Unsere Mitarbeiter verwechselten den Mann. Offenbar gleicht er einem der Täter." Vielleicht hatte Hellgren auch Glück: "Es hätte ja noch schlimmer kommen können. Bei der Aktion gegen die Gangster wurde ja auch geschossen", so Volery. Doch weshalb wurde das Opfer über die Situation nicht aufgeklärt? Warum lässt man jemanden blutend in Unterhosen in einer Untersuchungszelle warten? "Die Beamten haben zu Beginn der Aktion klar gesagt, sie seien von der Polizei. Um die Identität einer Person abzuklären, braucht es eine gewisse Zeit", sagte dazu Volery.
Klage in Vorbereitung
Doch für Märten Hellgren ist der Fall noch nicht abgeschlossen. Er behält sich rechtliche Schritte vor. "Ich war schockiert, als ich von dem Vorfall hörte", sagte sein Zürcher Anwalt Alfred Schütz. "Wir werden auf jeden Fall Schadenersatz und eine Genugtuung fordern."
Schütz hat sich bei Genfer Berufskollegen über ihre Erfahrungen mit der Polizei erkundigt. Die sollen sich wenig erstaunt über den Vorfall gezeigt haben. Die Genfer Polizei sei berüchtigt für ihre "harte Gangart", habe man ihm erklärt.