Bulletin Nr. 31; Juni 2001

In der Kollektivunterkunft für Flüchtlinge wird am Nötigsten gespart

Allschwil im Privatisierungswahn

Die Baselbieter Gemeinde Allschwil hat die Vorzüge der Privatisierung im Asylwesen entdeckt. Dabei bleiben die Interessen der betroffenen Asylsuchenden auf der Strecke. Auch hier ist die Rendite wichtiger als eine menschliche Behandlung.

Im Mai dieses Jahres begannen sich die Anfragen und Reklamationen von BewohnerInnen der Kollektivunterkunft in Allschwil/BL zu häufen. Geführt wird dieses Heim von der ORS (Organisation für Regie und Spezialaufträge), einer privaten Aktiengesellschaft mit Sitz in Zürich. Zum Zweck der besseren Rendite wird nicht nur bei den Löhnen der Angestellten gespart. Auch die eh schon knapp bemessenen Taggelder der Asylsuchenden werden unverhältnismässig gekürzt. So wurde beispielsweise das tägliche Taschengeld, das gemäss Artikel 6 der kantonalen Asylverordnung mindestens lausige 2.80 Franken betragen muss, auf 1.60 Franken reduziert. Mit dem eingesparten Geld werden Putzarbeiten bezahlt.
 
Sparmanie auf Kosten der Flüchtlinge
Viele BewohnerInnen bestreiten mit diesem Geld auch noch ihre Verpflegung, da das von der ORS zur Verfügung gestellte Essen von den meisten als ungeniessbar bezeichnet wird. Bereits mehrmals kam es nach dessen Genuss zu kollektiven Durchfallerkrankungen. Konsequent weigert sich die ORS jedoch, den Leuten das Essensgeld auszubezahlen, geschweige denn, die entsprechende Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, damit die BewohnerInnen selber kochen könnten. Gesamthaft nutzen nur etwa 20 der 110 Asylsuchenden das Angebot des gelieferten Essens. Daran hat sich auch der Essenslieferant gewöhnt: Statt der georderten 110 Menus liefert er nur 20. Das heisst, Lieferant und/oder ORS können das Geld für 90 nicht zubereitete Mahlzeiten einstreichen.
Dem Einfallsreichtum bei Einsparungen der ORS sind wenig Grenzen gesetzt. Immerhin sah sich der Bund vor kurzem genötigt, Anweisungen zu erlassen, dass das Kleidergeld auszubezahlen sei. Die ORS graste nämlich die Brockenbuden der Umgebung ab und kleidete die Asylsuchenden auf diese Weise ein. Bei einem monatlichen Kleidergeld von 30 Franken pro HeimbewohnerIn dürfte auch hier ein erkleckliches Sümmchen übrig geblieben sein. Ein weiteres Beispiel: Einer arbeitenden Mutter wurde so viel Geld von ihrem Lohn abgezogen, dass sie die Arbeit kündigen musste. Denn der Arbeitgeber überwies ihr Salär an die Heimleitung, die dann ihrerseits die Auszahlung vornahm. Dabei blieben ihr gerade mal 500 Franken im Monat, mit denen sie ihren Arbeitsweg und das Essen für sich und ihre drei Kinder bezahlen sollte. Ihre Vorstellung, durch die Arbeit eine eigene Wohnung beziehen zu können, blieb ein Traum. Die Familie hauste weiterhin zu viert in einem knapp 10 Quadratmeter grossen Raum - eine durchaus übliche Unterbringung in Allschwil. Nachdem die ORS gemerkt hatte, dass sie den Bogen doch etwas überspannt und mit den Abzügen deutlich übertrieben hatte, erstattete der Heimleiter der Mutter nachträglich 3000 Franken zurück. Leider zu spät, inzwischen ist sie arbeitslos.
Irrtümlicherweise nimmt die Gemeinde an, mit der Abtretung der Betreuung für AsylberwerberInnen keine Verpflichtungen mehr zu haben. Da in dem Heim viele Familien mit Kindern leben, werden dort auch alleinstehende minderjährige Asylbewerber untergebracht. Die Gemeinde ist verpflichtet, ihnen einen vormundschaftlichen Beistand zu stellen. Es musste jedoch erst zu einer Tragödie sondergleichen kommen - ein Jugendlicher ermordete einen anderen - bis sich Kanton, Gemeinde und ORS ihrer Verpflichtung gewahr wurden. Seither werden alleinstehende minderjährige Asylsuchende einem Heimbetreuer zugewiesen. Dies ist rechtlich fragwürdig, da eigentlich die Vormundschaftsbehörde von Allschwil dafür zuständig wäre. Klar ist jedoch, dass nicht alle dieser BetreuerInnen über eine entsprechende soziale Ausbildung verfügen.
Bis zum Redaktionsschluss war die ORS für eine Stellungnahme zu diesen Vorwürfen nicht erreichbar.
augenauf Basel

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