Bulletin Nr. 30; März 2001
Rubrik Kurzmeldungen
Auge drauf
Demoverbot
Nach der Erstürmung türkischer Gefängnisse zur Beendigung des Hungerstreiks
im vergangenen Dezember kam es auch in Basel zu Protesten. Am Mittwoch vor
Weihnachten wurde eine Demo von KurdInnen, TürkInnen und einigen wenigen
SchweizerInnen in Gummischrot und Tränengas erstickt. Die ganze Stadt
entrüstete sich - nicht etwa über den massiven Polizeieinsatz, sondern über
die Frechheit der «Ausländer», in der Adventszeit auf die Strasse zu gehen.
Regierungsrat Jörg Schild erliess daraufhin ein Verbot für eine weitere
geplante Manifestation. In den Medien kämpfte er für die Erhaltung der
Besinnlichkeit im Vorfeld des «höchsten Festes im christlichen
Kulturkreis». Polizisten verteilten am betreffenden Tag Flugblätter in
türkischer Sprache und hinderten ausländisch aussehende Menschen daran, die
Mittlere Brücke zu überqueren. augenauf Basel protestierte mit einem
Communiqué gegen die Ausserkraftsetzung der Versammlungs- und
Demonstrationsfreiheit. Zu deren Verteidigung findet am 24. März in Basel
eine Demonstration statt.
SOS - Solothurn
Am 20. Januar feierten die bisherige IGA Solothurn und Acor/SOS Racisme
zusammen die Gründung von SOS Racisme Solothurn. Anlässlich dieser Feier
wurden vier verschiedene Workshops angeboten. augenauf leitete einen davon
zum Thema Ausschaffungspraxis, geplantes Internierungslager und im
speziellen Ausschaffungshaftbedingungen im Kanton Solothurn. Das erhoffte
Ziel, die Bildung einer Besuchsgruppe für Ausschaffungshäftlinge in
Solothurn, konnte leider nicht erreicht werden. Gerade im
Untersuchungsgefängnis Solothurn, in dem auch Ausschaffungshäftlinge
untergebracht sind, herrschen rechtswidrige Zustände (siehe Seite 1). Nach
wie vor suchen wir Personen aus Solothurn, die sich für Gefangenenbesuche
zur Verfügung stellen. Interessierte können sich bei augenauf Basel
(Telefon 061/681 55 22) melden.
Medizinsche Ethik und Polizei
augenauf ist am 9. Januar von der Zentralen Ethikkommission der Schweizer
Akademie der Wissenschaften (ZEK) zu einem Hearing eingeladen worden. Wir
konnten dabei von konkreten Fällen und Beispielen berichten, bei denen
Ärzte und medizinisches Personal unserer Meinung nach die ärztliche Ethik
missachteten. Wir legten Beispiele von Zwangsmedikationen bei
Ausschaffungen vor, von Verletzungen des Arztgeheimnisses gegenüber
Polizeistellen und vom Schweigen von Ärzten bei klaren Fällen von
Körperverletzungen als Folge von polizeilichen Übergriffen. Ausserdem
kritisierte augenauf die Methode des Handröntgens zur Altersbestimmung, die
gemäss ARK-Entscheid vom 26. 9. 2000 in einem Verfahren nicht mehr zulässig
ist. augenauf forderte die ZEK zudem auf, Stellung zu Plänen zu nehmen,
AsylbewerberInnen aus der Grundversicherung der Krankenkassen zu drängen.
Metzlers Umgang mit Kritik
«Jugend im Dialog» heisst das Projekt, welches Ruth Metzler nach Fribourg
ins Schulzimmer einer Berufsschule führte. Am 10. Januar nahm die
Justizministerin dort Stellung zu den Themen «Asylrecht, Rassismus, Gewalt
und Bundespolizei» - allerdings unter Ausschluss von Kritik. Der Maturand
J. L. wollte den hohen Besuch nutzen, um gegen die Ausschaffungen zu
protestieren. Er begann, einen Text zu verlesen und kündigte an, der
Veranstaltung danach mit zugeklebtem Mund zuzuhören. Dies tolerierte die
aufgebrachte Bundesrätin nicht: Die Kantonspolizei schleppte den jungen
Mann im Würgegriff aus dem Schulzimmer, presste seinen Kopf auf den
Steinboden und versuchte erfolglos, ihm Drogenkonsum anzuhängen.
(Vorwärts, 19. Jan. 2001)
Hungerstreik im Transitraum
Am 12. Januar 2001 traten mehrere Personen aus verschiedenen Ländern im
Transitbereich des Flughafens Zürich in einen Hungerstreik und
protestierten damit gegen die Art und Weise, wie ihre Asylgesuche behandelt
wird. In einem Fax an verschiedene Organisationen und Behörden fordern sie,
dass die Genfer Konvention respektiert wird und sie als Asylsuchende
korrekt behandelt werden.
Hungerstreik in Ausschaffungshaft
Am 19. Februar trat eine Gruppe von sieben Personen im
Ausschaffungs-gefängnis Kloten in den Hungerstreik. Je zwei der
Hungerstreikenden stammen aus Indien und Armenien, je einer aus Bulgarien,
Georgien und Pakistan. Sie protestierten mit der Aktion gegen ihre
Inhaftierung. Dass sie aus rein administrativen Gründen - das heisst, ohne
straffällig geworden zu sein -, eingesperrt werden, betrachten sie als
schwere Ungerechtigkeit. Die Gefängnisleitung reagierte auf den
Hungerstreik umgehend und verteilte die Streikenden auf verschiedene
Stockwerke, um die Kommunikation unter ihnen zu verunmöglichen. Vor ihrer
Trennung verfassten die Flüchtlinge noch einen Brief, den sie an Amnesty
International und die Uno schickten.
Rassistische Polizei I.
Eine rassistisch gefärbte Medienmitteilung, die die Kantonspolizei Thurgau
Anfang Jahr verbreitet hat, dürfte juristische Folgen haben. Die
Staatsanwaltschaft Thurgau ermittelt wegen Verletzung der
Anti-Rassismus-Strafnorm. Der Polizist hatte am 7. Januar in einer
Mitteilung von ausländischen Einbrechern geschrieben, die «die Abwesenheit
der Bewohner auf ihre angeborene Art» ausgenützt hätten. Kantonspolizei und
Departement bedauerten noch gleichentags «die objektiv rassistische
Verlautbarung».
Die Medienmitteilung war von einem Polizisten mit Dienstort Kreuzlingen
verfasst worden. Sie vermittelt einen Einblick in das politische Klima bei
der Polizei in Kreuzlingen, wo sich bekanntlich eine Empfangsstelle für
Asylsuchende befindet. Normalerweise werden die Mediencommuniqués von einem
Presseverantwortlichen abgefasst - nun wissen wir, wie es tönt, wenn kein
Filter vorgeschaltet wird. (TA, 20. Jan. 2001)
Rassistische Polizei II.
Im Tagesanzeiger vom 16. Dezember 2000 wird Eugenio Scheuchzer, Chef der
Abteilung für Verkehrssicherheit bei der Stadtpolizei Zürich, zitiert.
Dieser äussert sich zum Thema «agressives Verhalten bei Autofahrern».
Überdurchschnittlich oft seien jene Ausländer aggressiv, deren Mentalität
sich von der hiesigen unterscheide: «Wem der christliche Grundsatz 'liebe
deinen Nächsten wie dich selbst' auf den Weg gegeben wurde, verhält sich in
heiklen Situationen wahrscheinlich anders als jemand, der dem Motto 'Aug um
Aug, Zahn um Zahn' nachlebt.» Für diesen habe der Mensch einen geringeren
Wert und entsprechend tiefer sei die Schwelle, ihn zu schädigen, wird
Scheuchzer weiter zitiert. (TA, 16. Dez. 2000)
Ausschaffung von Jugendlichen
Auf Betreiben von Alois Bühler, Gemeindepräsident von Eschenbach (SG), sind
Ende Januar zwei Jugendliche im Alter von 14 und 18 Jahren mitsamt ihrer
Familie nach Montenegro ausgeschafft worden. Den Jugendlichen wird
vorgeworfen, in einer Jugendbande aktiv gewesen zu sein, deren
«rivalisierender» Gegenpart eine Bande von Schweizern sei. Diese zweite
Bande hat gemäss der Zeitung Metropol klare Merkmale: «Die Mitglieder
tragen kurz geschorene Haare, Springerstiefel und Bomberjacken mit
Schweizerkreuz». Für Bühler handelt es sich bei dieser Gruppe von
Schweizern um «jugendliche Lümmel». An die Adresse der ausländischen
Jugendlichen meint Bühler zu den Ausschaffungen: «Dies sollte all jenen
eine Mahnung sein, die sich im Lichte eines überdrehten Rechtsschutzes zu
sehr in Sicherheit wähnen.» (Metropol, 1. Feb. 2001)
Unzulässige Fragen
Die Gemeine Eschenbauch (SG) lässt nicht nur Jugendliche ausschaffen,
sondern hat auch einen sehr speziellen Fragebogen für Einbürgerungswillige
kreiert. Darin wird unter anderem nach Religion und politischer Haltung
gefragt. Der Staatsrechtsprofessor Yvo Hangartner hält die Fragen für
unvereinbar mit der Bundesverfassung. Problematisch seien auch Fragen nach
wirtschaftlichen Verhältnissen und sozialem Umfeld. (Metropol, 2. Feb. 2001)
Selbstmord im Polizeigefängnis
Am 26. Dezember 2000 hat sich eine 31-jährige Spanierin im Polizeigefängnis
der Kantonspolizei Zürich in ihrer Zelle umgebracht. Sie war seit dem 22.
Dezember wegen Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz in
Untersuchungshaft. (NZZ 28. Dez. 2000)
Selbstmord in Ausschaffungshaft
Am 31. Dezember 2000 wurde ein 20-jähriger Mann aus Neuguinea tot in seiner
Zelle im Schaffhauser Gefängnis aufgefunden. Der in der Schweiz mehrfach
abgewiesene Asylbewerber hatte sich aus Angst vor seiner Rückschaffung in
der Ausschaffungszelle erhängt. (Schaffhauser Nachrichten, 4. Jan. 2001)
Polizeieinsatz an Kundenfest
Ein Geschäftsführer eines Event- und Gestaltungsunternehmens kam am 23.
Dezember 2000 auf die unangenehme Art in Kontakt mit der Stadtpolizei
Zürich. Ein Weihnachtsfest für seine MitarbeiterInnen und KundInnen wurde
durch einen Polizeieinsatz rabiat beendet. Es kam zu tumultartigen Szenen
mit den elegant und festlich gekleideten Gästen. Die Polizei setzte Reizgas
und einen Polizeihund ein. Drei Festbesucher mussten notfallmässig ins
Spital gebracht werden. Ursache des Polizeieinsatzes war eine Lärmklage.
Der Geschäftsführer beschwerte sich in einem Brief an die zuständige
Stadträtin Esther Maurer: «Ich bitte Sie, dafür zu sorgen, (...) dass sich
die Polizeibeamten in ihrer willkürlichen Gewaltanwendung mässigen, dass
man im Verkehr mit Polizisten nicht das Gefühl haben muss, wie ein
linksradikaler Terrorist behandelt zu werden, und dass Kompetenz und
Verstand von Polizeibeamten vermehrt geprüft werden.» (TA, 28. Dez. 2000)
Zeuge sieht polizeiliche Nötigung
Ein Zeuge beobachtete am 29. Dezember 2000, wie ein flüchtender
dunkelhäutiger Mann von zwei Polizisten in einem Hinterhof im Kreis 5
überwältigt wurde. Der Mann wurde von einem der Polizisten auf den nassen,
verschneiten Boden gedrückt und in Handschellen gelegt. Der zweite Polizist
hielt den Mann an den Beinen und Unterschenkeln fest. Dann musste der Mann
aufstehen. Immer, wenn er versuchte, etwas zu sagen, fuhren die Polizisten
ihm mit «Shut up, asshole!» (Halts Maul, Arschloch!) über den Mund. Während
der zweite Polizist zusammen mit einer dazukommenden Polizistin den Hof
absuchte, redete der erste auf den gefangen Genommenen ein. Jedes Mal, wenn
dieser antworten wollte, bekam er sofort wieder das «Shut up, asshole» zu
hören, mindestens zehn Mal und in lautem Ton. Der Zeuge, welcher augenauf
seine Beobachtungen mailte, schreibt, dass ihn «die Gewaltbereitschaft, von
welcher ich Zeuge wurde, beunruhigt. Gewalt muss nicht immer ein Schlagen
mit Fäusten sein, sondern kann auch verbal stattfinden und in diesem
Zusammenhang einen fraglichen rassistischen Hintergrund haben.»
Knastbesuche
Wie im Bulletin Nr. 29 berichtet, wurde in Basel am 1. November 2000 das
neue Ausschaffungsgefängnis in Betrieb genommen. Entgegen allen
Beteuerungen, Haftbedingungen und Besuchszeiten möglichst
insassenfreundlich zu gestalten, waren Besuche bis anhin am Wochenende
unmöglich. Deshalb wandte sich augenauf Basel an den zuständigen
Regierungsrat mit der Aufforderung, am Wochenende Besuche zu ermöglichen.
Auf das Schreiben vom 9. Februar 2001 antwortete Jörg Schild, Vorsteher des
Polizei- und Militärdepartementes, und begründete die restriktiven
Besuchszeiten mit dem «stark reduzierten Personalbestand» am Wochenende und
sicherte «im Sinne einer liberalen Handhabung» zu, dass ab 1. März auch am
Wochenende Besuche möglich sein werden.
Strafuntersuchung hängig
Die Strafanzeige, die augenauf Basel im letzten September wegen der
Misshandlung von A. E. bei seiner Ausschaffung in den Libanon eingereicht
hatte (siehe Bulletin Nr. 29), ist nach wie vor hängig. Das Besondere
Untersuchungsrichteramt des Kantons Basel-Landschaft, welches den Fall
trotz der von augenauf bemängelten Befangenheit bearbeitet hatte, wies die
Klage ab, worauf augenauf beim Verfahrensgericht Rekurs einlegte. Der
gesundheitlich angeschlagene A. E. wurde am 19. August in den Libanon
zurückgeschafft - nicht ohne vorher noch gefesselt, getreten und
geschlagen zu werden.
«Pseudo»
Ulrich Neracher, Leiter der Spezialabteilung der Flughafenpolizei Zürich,
hat in einem Interview mit dem Zürich Express am 28. Februar vor allem
eines gezeigt: Dass er der falsche Mann am falschen Ort ist. Der Polizist,
der seinen «Job von der sportlichen Seite» sieht, hat seinen eigenen Worten
gemäss noch nie an einem Abschiebeentscheid gezweifelt. Dafür bereitet es
ihm Probleme, «wenn ein Rückschaffungsentscheid gefällt ist und
'Pseudo-Menschenrechtsorgani-sationen' den Vollzug verhindern wollen». Dass
im Transitbereich pseudo-rechtsstaatliche Bedingungen an der Tagesordnung
sind, realisiert augenauf täglich. (Zürich Express, 28. Feb. 2001)
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