Bulletin Nr. 42; Juni 2004

Notunterkunft auf dem Jaunpass: Wo es Kühe besser haben als Menschen

So nicht, Frau Andres!

Im Wettbewerb um Verfassungswidrigkeit und Unattraktivität bei der Gewährung der Nothilfe für Personen mit einem Nichteintretensentscheid (NEE) hat der Kanton Bern die Nase ganz vorn: Das verfassungsmässig garantierte Dach über dem Kopf ist ein Militärbunker auf dem Jaunpass, die «Betreuung» der Asylsuchenden geschieht durch das umstrittene private Unternehmen ORS.
Seit dem 10. Mai 2004 ist im Kanton Bern die Nothilfeverordnung in Kraft. Darin ist vorgesehen, dass Personen mit NEE an den Migrationsdienst verwiesen werden, der dann zu prüfen hat, ob der Kanton Bern für die Wegweisung zuständig ist und ob diese zwangsweise durchgesetzt werden kann. Der Kanton gewährt für wenige Tage Nothilfe, wenn die Betroffenen bedürftig sind. Wirken die Betroffenen bei der Mitwirkung im Hinblick auf die «Ausreise» nicht mit, kann die Nothilfe gekürzt oder ganz gestrichen werden.
 
Abstossende Rechnung mit der Unattraktivität
Im Vortrag der Polizei- und Militärdirektion (POM) an den Regierungsrat vom 16. März 2004 betont die Polizeidirektorin Dora Andres, dass die Nothilfe möglichst «unattraktiv» ausgestaltet werden müsse, um «unerwünschte Anreize» zu vermeiden. Zur Senkung der Attraktivität gehöre, dass der Zugang über den Migrationsdienst führe - denn dieser kann Ausschaffungshaft anordnen. Zur Berechnung des Personal- und Strukturbedarfs stellt Andres in einem Anhang zum Vortrag folgende Rechnung auf: Sie geht von insgesamt 5000 Personen mit NEE aus. Von diesen werden 675 Personen (13,5 Prozent) dem Kanton Bern zugeteilt. 60 Prozent von ihnen «tauchen unter», ohne jemals bei irgendeiner Behörde vorgesprochen zu haben. Die anderen 40 Prozent ersuchen im Kanton Bern um Nothilfe oder werden «aufgegriffen» . Diese Zahl entspricht 270 Personen. Die Hälfte davon kommt direkt in Ausschaffungshaft, die anderen 135 Menschen nehmen für kürzere oder längere Zeit Leistungen im Rahmen der Nothilfestrukturen in Anspruch. Aufgrund der unattraktiven Strukturen taucht wiederum die Hälfte unter. Bleiben 68 Personen, die nach dem 1. April 2004 einen NEE erhalten haben, die für kürzere oder längere Zeit im Rahmen der Nothilfestrukturen leben. Dazu kommen noch einige, die bereits vor dem 1. April im Kanton Bern gewohnt haben. Der Bund entschädigt die Kantone mit 600 Franken pro gefällten NEE. Gemäss obiger Rechnung macht das für den Kanton Bern 405000 Franken pro Jahr. Ein stattlicher Betrag, um 68 Personen für wenige Tage Nothilfe zu gewähren. Pro vollzogene Wegweisung wird der Kanton mit weiteren 1000 Franken entschädigt. Nicht zu verachtende Summen in Zeiten leerer kantonaler Geldsäckel. Erst am 7. Mai 2004 hat die Polizeidirektorin Andres bekannt gegeben, wie ihre Direktion gedenkt, die «Unattraktivität» der Nothilfe sicherzustellen und «unerwünschte Anreize» zu vermeiden. Die Nothilfe gemäss verfassungsrechtlichem Minimalstandard - ein Dach über dem Kopf, etwas zu essen, Möglichkeiten zur Körperpflege, gebrauchte Kleider und medizinische Notfallversorgung - wird in einem Militärbunker auf dem Jaunpass gewährt. Der Jaunpass ist auf 1500 m gelegen und äusserst schwer erreichbar: ein Postauto fährt viermal täglich über das Simmental und zweimal über Fribourg-Bulle auf den Pass. Mit der «Betreuung» der Menschen, die allen erschwerenden Umständen zum Trotz auf den Jaunpass gelangen, ist die ORS Service AG (Organisation für Regie- und Spezialaufträge) beauftragt worden. Die ORS ist eine private, gewinnorientierte Firma. Sie führt die Empfangsstellen und Transitzentren des Bundes, im Kanton Zürich die Notunterkünfte und das Minimalzentrum. Es liegt auf der Hand, weshalb der Auftrag zur «Betreuung» der Asylsuchenden auf dem Jaunpass an die ORS erteilt wurde - hat sie doch bei ihren Betreuungsmandaten im Kanton Zürich verschiedentlich gezeigt, dass sie durch systematische Verweigerung der Grundversorgung und durch ihr gefängnisähnliches Regime gewiss «unerwünschte Anreize» bei der Nothilfe vermeiden wird (siehe augenauf-Bulletins Nr. 35, 36 und 38).
 
Widerstand in der Region
Doch Andres' Pläne stossen nicht überall auf Gegenliebe: Neben Kritik von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und aus linken und kirchlichen Kreisen wird sie auch in der Standortgemeinde Boltigen mit Widerstand aus der Bevölkerung konfrontiert. Einerseits sind die Argumente der BoltigerInnen von rassistischen Ressentiments bestimmt, anderseits kritisieren sie auch, dass die Asylsuchenden unter derart menschenunwürdigen Bedingungen «gehalten» werden sollen. Mit Transparenten «Unsere Kühe haben es besser» und «So nicht, Dora» verleihen sie ihrem Unmut Ausdruck. Einige BoltigerInnen haben sogar angekündigt, wenn nötig zu illegalen Mitteln zu greifen, was legitim sei, zumal die Asylsuchenden ja durch Andres' Politik ebenfalls in die Illegalität getrieben würden. Ob je Asylsuchende den Weg auf den Jaunpass finden werden, ist bei Redaktionsschluss offen. Gewiss ist jedoch, dass diese «Maschine», die Sans Papiers am laufenden Band produziert, auf Hochtouren läuft. augenauf Bern

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