Bulletin Nr. 38; Juni 2003

Juli 2001: Cemal G. stirbt in Polizeigewalt - Mai 2003: Die Polizisten werden freigesprochen

«Unwissenheit» schützt vor Strafe doch

Dass die für den Tod von Cemal G. verantwortlichen Polizeiangehörigen in erster Instanz nicht verurteilt worden sind, ist für das Grüne Bündnis und für augenauf Bern unverständlich und unverantwortlich: Das Urteil stellt die Unverhältnismässigkeit polizeilichen Handelns nicht in Frage, sondern bestätigt im Gegenteil diejenigen Polizisten in ihrer Aussage, sie würden noch einmal gleich handeln - eine Aussage, die für das GB und augenauf Bern schlicht erschütternd ist. Zudem hat der Richter praktisch ausschliesslich aus einer Perspektive des angeblichen polizeilichen Praktikers geurteilt, alle anderen Perspektiven und Möglichkeiten hat er als «realitätsfremd» abgetan. Aus der mündlichen Urteilsberatung wird man den Verdacht nicht los, dass der Richter die Auffassung vertritt, Cemal G. sei letztlich selbst verantwortlich für seinen Tod, das Herbeiziehen früherer biografischer Daten von Cemal G. erfolgte äusserst selektiv.
Die Befragungen während des Prozesses haben klar gemacht, dass bezüglich Polizeiausbildung und Polizeieinsatz in der Stadt Bern dringend Handlungsbedarf besteht. Vor allem bei Einsätzen wegen häuslicher Gewalt braucht es umgehend eine differenzierte Strategie. Diskutiert werden muss dabei vor allem die Frage der Verhältnismässigkeit. Ein Fall Cemal G. darf sich nie mehr wiederholen.
Inakzeptabel ist weiter, dass sowohl der Kommandant als auch der Einsatzleiter der Gruppe «Stern» behaupten, von dem «Phänomen» des plötzlichen Gewahrsamstods nichts gewusst zu haben. Der Grosse Rat des Kanton Bern hat bereits im April 2000 über den Ausschaffungs- und Todesfall Khaled Abuzarifa debattiert. Die Presse war seinerzeit voll von entsprechenden Artikeln und Hintergrundberichten. Im Februar 2001 stattete auch der Antifolter-Ausschuss des Europarates (CPT) unter anderem der Kantonspolizei Bern einen Besuch ab, bei dem dieser Fall beraten wurde (vgl. schriftliche Antwort Regierungsrat des Kantons Bern vom 20. Februar 2002 auf die Interpellation Rytz, Grossratsprotokoll vom 25. März 2002). Dass die Berner Stadtpolizei zum Zeitpunkt des Einsatzes gegen Cemal G. nichts zum Thema «lagebedingter Erstickungstod» gewusst haben soll - weder über die Medien noch durch direkten Kontakt mit den Kollegen vom Kanton (Sondereinheit «Enzian») - ist nicht nachvollziehbar.
 
Wir fordern: Auflösung der Sondereinheit «Stern»!
Als Fazit des tragischen Ereignisses verlangen das GB und augenauf Bern von der Polizeiführung umgehend ein entsprechendes Ausbildungs- und Trainingskonzept, vor allem bei Fällen von häuslicher Gewalt. Die Sondereinheit «Stern» muss nach Ansicht von GB und augenauf Bern ersatzlos aufgelöst werden; sie ist in erster Linie auf die Anwendung von Gewalt ausgerichtet und eben nicht auf verhältnismässiges Vorgehen.
Nach wie vor bleiben viele Fragen offen, die nicht einfach aus dem politischen Alltag verschwinden dürfen - vorab Fragen zu den Verantwortlichkeiten und zur Ausbildung bei der Anwendung von polizeilichen Zwangsmitteln, aber auch Fragen zur politischen Führung der Polizei. Dass der Stadtrat von Bern mit rotgrüner Unterstützung die Polizei-Fachkommission abgelehnt hat, ist einmal mehr unverständlich und enttäuschend. Das GB und augenauf Bern werden sich daher weiterhin dafür einsetzen, dass zur Polizeiarbeit endlich mehr Transparenz hergestellt wird und dass vor allem die Polizeiausbildung nicht länger ein Buch mit unzähligen Siegeln bleibt.
Pressemitteilung von augenauf Bern und vom Grünen Bündnis

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