Bulletin Nr. 38; Juni 2003
Einträge aus dem ORS-Journalbuch zeigen, wie despektierlich
Flüchtlinge in Rohr behandelt werden
«Sieht aus wie ein Komposti»
Dem gegen die Leitung des Minimalzentrums Rohr eingeleiteten
Verfahren droht die Einstellung. Die ORS-Leute hatten dem Flüchtling A. S.
die medizinische Versorgung vorenthalten und damit sein Leben gefährdet.
Die Strafanzeige gegen die Zentrumsleitung umfasst happige Punkte: schwere
Körperverletzung, Nötigung und Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz
(siehe Bulletin Nr. 36, «Die ORS handelt lebensgefährlich»). Die Behörden
sind aber offenbar nicht gewillt, den Fall aufzuklären und den
Kausalzusammenhang zwischen dem Zentrumsverbot von A. S., der damit
verbundenen Verweigerung der Methadonabgabe und dem katastrophalen
Gesundheitszustand von A. S., der zweimal um ein Haar zu seinem Tod geführt
hätte, herzustellen. In den Schlussbemerkungen zur Befragung der
Angeklagten meint der Schreiber der untersuchenden Kantonspolizei Zürich:
«Die vom Geschädigten gemachten Aussagen betreffend seiner medizinischen
Versorgung im MZ Rohr waren unvollständig. Die Leistungen wurden erbracht.
Die rechtliche Würdigung wird den Untersuchungsbehörden überlassen. Nach
Rücksprache mit BA lic. iur. P. Gossner werden die polizeilichen
Ermittlungen hiermit beendet.»
Himmelschreiende Unregelmässigkeiten der Methadonvergabe werden nicht
weiter untersucht. So scheint es zum Beispiel nicht zu interessieren, dass
entgegen der Richtlinien keine korrekte Einstellung der individuellen
Dosierung erfolgte. Ebenfalls kein Thema ist die mehrfach erfolgte
Verweigerung der Abgabe, obwohl den angeblich «kompetenten»
Verantwortlichen eigentlich hätte klar sein sollen, dass ein abrupter
Unterbruch eines Methadonprogramms aus medizinischer Sicht unverantwortlich
ist.
Nachdem der Anwalt von A. S. die Zentrumsleiterin der schweren
Körperverletzung, Nötigung, Aussetzung und des Verstosses gegen das
Betäubungsmittelgesetz angezeigt hatte, wurde letzten November eine
Hausdurchsuchung im MZ Rohr angeordnet, wo die Medikamentenabgabekarten und
so genannte Journale der ORS-Mitarbeiter beschlagnahmt wurden. Dabei werden
nicht nur ungeheuerliche Schlampereien bei der Methadonabgabe sichtbar, in
den Journaleinträgen werden Ressentiments gegen «den Simulanten und die
Mimose A. S.» laut - und es wird klar, dass er -obwohl er an mehreren Tagen
hintereinander nach Methadon fragt - keines erhält.
«A. S. kommt angekrochen und will Methadon»
Der Mitarbeiter H. der ORS Service AG schreibt am 30. Juni 2002, kurz vor
der ersten notfallmässigen Herzoperation von A. S.: «A. S. kommt
angekrochen und will Methadon. Gebe ihm einen guten Rat, bevor er 'absackt'
... Er sieht aus wie ein Komposti; resp. schon Grufti!»
Am 8. September, drei Tage bevor A. S. zum zweiten Mal notfallmässig am
Herzen operiert werden muss, schreibt derselbe «Betreuer»: «A. S. wollte
einkaufen - ohne Geld (...) Wer sich nicht an die Regeln hält, sollte die
entsprechenden Sanktionen spüren.»
A. S. bekam diese unmenschlichen Sanktionen so intensiv zu spüren, dass er
auch heute noch körperlich sehr schwach ist und es unklar ist, ob und wann
er wieder ganz gesund werden wird.
augenauf Zürich
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