Bulletin Nr. 38; Juni 2003
Medizinische Versorgung: Ein Mittel zur Abschreckung
Um die Attraktivität der Schweiz als Fluchtland zu senken, wird in der
Schweiz seit Jahren eine rigide Sparpolitik im Asylwesen betrieben. Die
absurde Vorstellung, dass Flüchtling in unser Land kämen, um sich hier
kurieren zu lassen, sowie spezielle Probleme der Krankenversicherer haben
dazu geführt, dass die medizinische Versorgung ein Schwerpunkt
asylpolitischer Sparpolitik geworden ist.
Unbestritten ist, dass die Krankenpflegekosten für Asylsuchende höher sind
als diejenigen von in der Schweiz aufgewachsenen Personen. Diese
finanzielle Belastung der Krankenkassen liesse sich im Rahmen der
obligatorischen Krankenversicherung, der Asylsuchende aufgrund des
Verfassungsauftrages unterstellt sind, problemlos lösen, ohne die
medizinischen Leistungen einzuschränken.
Bund und Kantone haben sich jedoch für einen anderen Weg entschieden.
Aufgrund einer vor drei Jahren eingeführten Änderung der Asylverordnung 2
sind die Kantone verpflichtet, Verträge mit Krankenkassen und Ärzten
abzuschliessen, die die freie Arztwahl einschränken. Diese Regelung soll im
Rahmen der nächsten Asylgesetzrevision auf Gesetzesstufe verankert werden.
Die Kantone haben diese Vorgabe ganz unterschiedlich umgesetzt. Der Kanton
Bern weist Asylbewerber direkt einem Hausarzt zu. Der Kanton Zürich hat in
Kooperation mit der Krankenkasse Helsana und der Ärztegesellschaft eine so
genannte Asyl-Ärzte-Liste erstellt. Der Kanton St. Gallen bestimmt für die
einzelnen Durchgangszentren einen zuständigen Hausarzt, der als
«Gatekeeper» fungiert. Im Durchgangszentrum Oberbüren führt der zuständige
Arzt Sprechstunden im Heim durch.
Schon in den Durchgangszentren beginnt das Kontroll- und
Rationierungssystem. Das Betreuungspersonal hat den Auftrag, «unnötige»
Arztbesuche zu verhindern. Seine Funktion wäre es, die Asylsuchenden
rechtzeitig zum Arzt zu schicken. Die unselige Verquickung von
Betreuungsaufgabe, Kontrollfunktion, Überforderung und ständig spürbarem
Spardruck führt jedoch immer häufiger dazu, dass die nicht mit dem nötigen
Fachwissen ausgestatteten «vorgelagerten» Gatekeeper zu Verhinderern
medizinischer Leistungen werden. Schon die Kosten für den Transport zum
Arzt werden dort zum Problem.
Oberbüren ist kein Einzelfall. augenauf ist in den vergangenen vier Jahren
mit verschiedenen Vorfällen konfrontiert worden, die zeigen, dass auch
anerkannte Strukturen Probleme haben. In einem von der Asylorganisation
Zürich geführten Durchgangszentrum wurde einem Afrikaner nach einem Unfall
die notwendige Rehabilitation verweigert, weil das Taxi zu teuer war. In
Luzern wurden in einem von der Caritas betreuten Heim für Flüchtlingsfrauen
die Hilferufe der Mitbewohnerinnen einer suizidgefährdeten Frau so lange
ignoriert, bis sich die Frau das Leben nahm. Im Tessin hat man einer Frau
den Gang zum Gynäkologen verweigert, weil man annahm, sie sei nicht schwanger.
augenauf fordert, dass sich die Behörden endlich des Problems annehmen.
Wenn Menschen sterben, dürfen keine weiteren Sparrunden durchgeführt
werden. In den Durchgangszentren muss unabhängiges Personal, das nicht der
Asylbürokratie untersteht, die Gesundheitsversorgung gewährleisten. Den
Flüchtlingen muss zudem jederzeit die Möglichkeit gegeben werden, einen
Arzt, eine Ärztin ihrer Wahl zu konsultieren.
augenauf Zürich
Zurück zum Inhaltsverzeichnis
Zurück zum Archiv
URL dieser Seite