Bulletin Nr. 38; Juni 2003

Wenn Menschen sterben, dürfen keine weiteren Sparrunden durchgeführt werden

Menschenverachtend, arrogant, rassistisch

Der nigerianische Asylbewerber Osuigwe Christian Kenechukwu alias Tony Paul Mnamdi ist am 12. Februar im Durchgangszentrum Oberbüren an einer Lungenentzündung gestorben. Der Anwalt der Familie hat Strafklage gegen unbekannt wegen fahrlässiger Tötung eingereicht.

Die erste Reaktion der St. Galler Behörden auf den Tod von Osuigwe Christian Kenechukwu war, den Flüchtling als Drogensüchtigen zu verunglimpfen und ihm selbst die Schuld an seinem Tod zuzuschieben. Mittlerweile hat das rechtsmedizinische Gutachten eindeutig eine virale Lungenentzündung als Todesursache festgestellt. Diese Lungenentzündung war eine Komplikation der vorgängigen Windpocken-Erkrankung. Das Risiko dieser Komplikation, vor allem bei erwachsenen Personen, ist in der medizinischen Fachliteratur bekannt und ausführlich behandelt. Virale Lungenentzündungen können innert 1-2 Tagen zum Tod führen.
Betreffend des Ablaufs und der Wahrnehmung bestehen erhebliche Differenzen zwischen den Aussagen der HeimbewohnerInnen, die wir im letzten Bulletin wiedergaben, und jenen der Betreuungspersonen. Es wartet einiges an Arbeit auf die Untersuchungsbehörden. Für die juristische Beurteilung ist die Frage äusserst relevant, ob die Betreuungspersonen den sich rapide verschlechternden Zustand des Afrikaners wahrgenommen haben oder nicht.
augenauf hat für die Familie des Verstorbenen einen Anwalt organisiert. Dieser hat inzwischen eine Strafanzeige gegen unbekannt betreffend fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung eingereicht. Die Anklagekammer des Kantons St. Gallen wird über die Zulässigkeit dieser Anzeige entscheiden.
Für uns steht jedoch nicht die juristische Beurteilung von Schuld oder Unschuld im Zentrum. Die Tatsache, dass ein der Betreuung des Kantons St. Gallen anvertrauter junger Mann an einer Kinderkrankheit stirbt, ohne dass vor seinem Tod von den Verantwortlichen etwas dagegen unternommen wird, zeigt einmal mehr, welch gravierende Missstände in der Asylbetreuung herrschen. Diese sind nur auf politischem Weg zu ändern.
 
Chronik einer Verschleierungstaktik
Am 14. Februar informiert Thomas Wieland, stv. Leiter des Sozialamtes, Christian Kenechukwu sei an Drogen gestorben. Am 26. Februar antwortet derselbe Wieland auf eine Anfrage von augenauf betreffend weiterer an Windpocken erkrankter BewohnerInnen des Thurhofs: «Es gehört zu unserem Berufsverständnis, den vielfältigen Lebensumständen von Asylsuchenden in den von uns geführten Zentren ernsthaft und professionell zu begegnen. Die von Ihnen angesprochenen Personen, die an Windpocken erkrankt sind, stehen in ärztlicher Behandlung und werden im Zentrum Thurhof entsprechend betreut ...»
Am 3. April informiert das Sozialamt, dass die Todesursache Lungenentzündung nun feststehe. Ein unmittelbarer Handlungsbedarf bestehe nicht, alle Vorwürfe wegen unzureichender oder fahrlässiger Betreuung werden mit Entschiedenheit zurückgewiesen. Gleichzeitig wird festgestellt, dass die juristischen Untersuchungen noch im Gange seien.
 
Sturheit und üble Nachrede
Wir beurteilen die Reaktionen des Kantons auf diesen Todesfall als menschenverachtend, arrogant und rassistisch. Zuerst wird die falsche Version mit dem Drogentod verbreitet, und somit das Verschulden auf den Verstorbenen abgewälzt. Dies hat eine Anzeige wegen übler Nachrede zur Folge.
Noch im April hält das Sozialamt stur daran fest, dass nichts schief gelaufen sei. Dies, obwohl ein junger, gesunder Mann in einer betreuten Situation an einer Lungenentzündung sterben kann, ohne dass bis zum Eintreten des Todes eine medizinische Massnahme vorgenommen wird. Was müsste geschehen, damit ein unmittelbarer Handlungsbedarf besteht?
Die Forderung nach Suspendierung der betroffenen MitarbeiterInnen des Thurhofs wird als Vorverurteilung dargestellt. Unsere Forderung war immer damit begründet, dass eine ungestörte Untersuchung nur stattfinden kann, wenn die Zeugen des Verlaufs nicht mehr in einem Betreuungs- und Abhängigkeitsverhältnis zu den eventuell von ihnen belasteten Personen stehen. Wir halten an dieser Forderung fest.
Das Zurückweisen aller Vorwürfe, obwohl das Untersuchungsverfahren noch in Gang ist, deutet darauf hin, dass die Meinung gemacht ist. Ein Wille zur vollständigen Aufklärung der Umstände dieses tragischen und unserer Meinung nach auch vermeidbaren Todesfalles besteht offensichtlich nicht.
Wäre ein analoger Fall in einem Klassenlager einer Kantonsschule vorgekommen, wäre die Reaktion des verantwortlichen Departements mit Sicherheit anders ausgefallen. Genau dieser Unterschied belegt die rassistische Reaktion des Kantons auf diesen Todesfall.
 
Demonstration in St. Gallen
Am 10. Mai hat eine von der Anlaufstelle gegen Rassismus in St. Gallen und augenauf organisierte Demonstration stattgefunden. Es haben ca. 400 Leute daran teilgenommen, was in dieser Stadt schon fast der Mobilisierung zum 1. Mai entspricht. Die vielen, sehr guten Reden an der Abschlusskundgebung haben auch etliche Passanten dazu veranlasst, längere Zeit stehen zu bleiben.
augenauf Zürich
 
 
Spendenaufruf
Ohne Anwalt, der die Interessen der Familie des Verstorbenen hier in der Schweiz vertritt, besteht die Gefahr, dass alles sehr schnell unter den Teppich gekehrt wird. Ohne finanzielle Unterstützung durch augenauf kann sich jedoch kaum eine Familie in Afrika einen Anwalt leisten. Auch der übrige Aufwand, der im Rahmen dieses «Falles» betrieben wurde, sprengt das übliche Budget. Bitte spenden Sie mit dem Vermerk «Oberbüren» auf das Konto PC 80-700 000-8. Herzlichen Dank.


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