Bulletin Nr. 37; März 2003

Zum Bericht «Afrika in der Schweiz: Asyl und Migration» des BFF

Das ominöse Ventil in der Asylpolitik

Warum nicht nur abgewiesene Flüchtlinge «verschwinden», sondern auch solche, die in einem laufenden Verfahren stehen, und vorläufig Aufgenommene.

Mitte September 2002 veröffentlicht das Bundesamt für Flüchtlinge den mehrseitigen Bericht «Afrika in der Schweiz: Asyl und Migration», verfasst von mehreren MitarbeiterInnen. Sein Untertitel: «Analyse- und Politikelemente» (www.asyl. admin.ch).
Analytisch erscheint dieser Bericht nur insofern, als er einen Einblick in die Sicht- und Denkweise der AutorInnen erlaubt. Was fehlt, ist die Erfahrung der «Analysierten». Hier ist nicht der Raum, um den ganzen Bericht zu kommentieren, ein Beispiel sei herausgegriffen, Seite 7, «5.1 Verschwinden von Personen»:
«Beinahe 90% der aus Afrika stammenden Asylsuchenden verlassen den Asylbereich durch ‚inoffizielle Abgänge'. Ohne dieses Ventil hätte die Asylpolitik eine unerträgliche soziale und finanzielle Last zu tragen» (Jährlich verschwinden über die Hälfte der Abgewiesenen aus allen Ländern auf diese Weise.)
Ein Ventil wirkt dann, wenn der Druck in einem Gefäss zu gross wird. Wenn das Gefäss «Lebensbedingungen» heisst und zusätzlichem Druck ausgesetzt wird, funktioniert das Ventil effizienter. Je mehr inoffizielle Abgänge, desto weniger Kosten: Einschränkung der täglichen Unterstützungsgelder, erschwerter Zugang zu medizinischen Leistungen, monatelange Versenkung Asylsuchender in Zivilschutzbunkern und die rassistische Hatz der letzten Monate tun ihre Wirkung.
 
Trotz legalem Status «verschwunden»
Die Anerkennungsrate für Asylsuchende aus afrikanischen Ländern ist äusserst gering, für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Sierra Leone z. B. jahrelang 0 Prozent. Verschwinden aus der Schweiz nach letztinstanzlicher Ablehnung des Gesuchs bedeutet - besonders bei politischen Flüchtlingen - häufig Flucht aus der Schweiz, um einer zu gefährlichen Abschiebung ins Herkunftsland zu entgehen. Es gibt Nachrichten aus anderen Ländern, wo aus der Schweiz «Verschwundene» als Flüchtlinge anerkannt wurden.
Weiter ist zu lesen: «Gleichzeitig kommt es auch unter den nationalen Gruppen, die eine vorläufige Aufnahme bekommen können (Somalia, Angola*), selbst nach langen Aufenthalten in unserem Land zu relativ beträchtlichen inoffiziellen Abgängen. Die Gründe der Personen, die diese Option wählen, und ihr Ziel sind uns nicht bekannt.»
Nicht bekannt oder nicht gefragt? Nicht zur Kenntnis genommen? Vorläufig Aufgenommene mit dem F-Status, die während Jahren unter sozialer Ausgrenzung in der Schweiz leben müssen, könnten den AnalysiererInnen des Bundesamtes detailliert erklären, warum so viele «verschwinden» - trotz der Gnade des vorläufigen Geduldet-Seins. Ganz abgesehen davon, dass dieser Missstand in der Presse mehrmals thematisiert wurde.
 
Als Schwarzer vom Regen in die Traufe geraten
Leider hat das BFF nicht ausgeführt, wie viele Asylsuchende verschwinden, bevor sie einen Erstentscheid erhalten. Die Zahl nimmt zu, die meisten gehen lautlos, nur selten kommen Nachrichten über ihr weiteres Schicksal.
Einer ist nicht spurlos verschwunden. In einem ausführlichen Brief hat er dem BFF dargestellt, weshalb er seinen Asylantrag zurückzieht und in ein Land weiterreisen will, wo die Farbe der Haut keine Diskriminierung bedeutet. Er beschreibt eine Polizeikontrolle an einer Bushaltestelle, wo aus einer Gruppe Wartender er als Einziger herausgenommen und gefilzt wird, er beschreibt eine frühmorgendliche Polizeirazzia in der NUK («Notunterkunft») Effretikon, er beschreibt die Unterkunft im feuchten kalten Zivilschutzbunker als unerträglich und entwürdigend.
Als Angehöriger einer diskriminierten schwarzen Minderheit in einem afrikanischen Land musste er fliehen, weil er sich für die Rechte dieser Gruppe eingesetzt hatte. In der Schweiz - von ferne gesehen das Land der Demokratie, des Roten Kreuzes, der humanitären Tradition - ist er als Schwarzer vom Regen in die Taufe geraten.
Das Bundesamt für Flüchtlinge hat ohne Kommentar sein Asylverfahren abgewiesen und ihn angewiesen, seinen Pass und andere Originaldokumente beim Migrationsamt abzuholen. Dies hat er wohlweislich unterlassen: ohne Visum und ohne Asylstatus hätte er ohne weiteres verhaftet und in sein Heimatland abgeschoben werden können. In diese Falle ist er nicht getappt, hingegen hat er dem Uno-Hochkommissariat in Genf den ganzen Briefwechsel zugestellt, bevor er die Schweiz verlassen hat.
Ein Brief ging dann vom UNHCR an die zuständigen Zürcher Behörden - ob je eine Antwort kommt, wird sich weisen.

* Dies trifft für Angola nicht mehr zu. Seit dem 15. 11. 2002 werden auch Familien mit Kleinkindern weggewiesen.

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