Bulletin Nr. 37; März 2003

Kein exterritorialer Knast für westafrikanische Flüchtlinge!

Legal, illegal, Senegal

Das mit der Schweiz unterzeichnete Transitabkommen ist im Senegal ins Zentrum des öffentlichen Bewusstseins gerückt. Die Opposition, die Medien und die Bevölkerung sind empört. augenauf hat die asylpolitischen Gruppierungen Waripnet und Raddho besucht.

Eine Mehrheit der senegalesischen Bevölkerung hegt den Traum, ins reiche Europa oder in die USA auszureisen. Sie lässt sich vom Transitabkommen nicht überzeugen, welches die konservative Regierung unter Präsident Abdoulaye Wade Mitte Januar mit der Schweiz unterzeichnet hat. Die Menschen stellen sich vor, sie selbst wären «Modou-Modous», Auswandernde. Als potenziell Betroffene können sie sich die Auswirkung eines Schweizer Ausschaffungsgefängnisses im Senegal vorstellen, wo versucht würde, «die Herkunft von in der Schweiz abgewiesenen westafrikanischen Flüchtlingen zu klären».
Am 19. März jährt sich der Regierungswechsel in Senegal zum dritten Mal. Zeit für die Rechnung: In der Kritik der Opposition an der neoliberalen Regierung hat das Transitabkommen einen Spitzenplatz inne. Am Mittwoch, den 19. Februar, lehnte die oppositionelle Sozialistische Partei (SP) in einer Fraktionssitzung das Abkommen einstimmig ab. Am Donnerstag folgte ihr die gesamte Opposition, die zusammen fast die Hälfte der Parlamentssitze inne hat: «Die Zeit der Desillusion ist für diejenige Bevölkerung gekommen, die auf einen Wechsel am 19. März 2000 hoffte».
In der Schweiz wird das Thema nicht vor der Sommersession vom Parlament behandelt, in Senegal will es die Regierung so bald wie möglich unter Dach und Fach bringen. In Dakar wird gemunkelt, Präsident Wade wolle sich anlässlich des G8-Gipfels in Evian im Juni damit brüsten. Bis jetzt hat sich seine Partei zu den Vorwürfen nicht geäussert. Sie wird es jedoch schwer haben, ihren Diskurs aufrechtzuerhalten, wonach sie das Abkommen ohne jegliche Gegenleistung und als humanitäre Geste unterschrieben habe.
 
Lebensgefährlicher Datenaustausch
Der SP-Parlamentarier Babacar Mbaye kritisiert, dass Schweizer Behörden auf senegalesischem Boden tätig werden dürfen (Art. 11. 2.): «Das ist ein krasser Angriff auf Senegals Souveränität und kann niemals akzeptiert werden.» Dass in Artikel 11. 1. die senegalesische Polizei Botschaftsvorführungen für die Schweiz durchführen soll, komme schon gar nicht in die Tüte. Scharf reagiert die Opposition auch darauf, dass über die senegalesische Polizei nicht nur die Daten der Betroffenen, sondern auch diejenigen ihrer Eltern - wenn vorhanden - an die jeweiligen Botschaften weitergeleitet werden (Art. 13. 2.). Zumindest für die ehemaligen Asylsuchenden ist dies ein sehr heikles Unterfangen und für die im Land verbliebenen Familienangehörigen gar lebensgefährlich.
Für Sadikh Niass, Koordinator des Westafrikanischen Netzwerkes für Flüchtlinge und Vertriebene (Waripnet) und der Afrikanischen Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte in Dakar (Raddho), ist es unverständlich, dass das Abkommen weder der Afrikanischen Flüchtlingskonvention von 1969 untersteht, noch mit den Bestimmungen innerhalb der Cedeao, der Wirtschaftsgemeinschaft der Westafrikanischen Staaten, übereinstimmt (Art. 2. 1.). Demnach müssten BürgerInnen aus Cedeao-Staaten unverzüglich freigelassen werden, sobald sie senegalesischen Boden betreten.
 
Kontrolle von unten
Bereits berichtet Tidiane Dieye von der Association des Sénégalais à Genève et France voisine von mündlichen Einschüchterungen gegenüber senegalesischen StaatsbürgerInnen in der Schweiz. Niemand könne für die Handlungen seiner/ihrer Regierung haftbar gemacht werden, sie würden jedoch deren Folgen spüren, denn ihre KollegInnen in der Schweiz sind von diesem Abkommen womöglich betroffen.
Auf Initiative von augenauf und der Wochenzeitung «Vorwärts» trafen wir uns mehrmals in der dritten Februarwoche, um einen zukünftigen interkontinentalen Menschenrechtsdialog zu besprechen. Ein erstes Resultat war die Pressekonferenz vom Freitag, 21.Februar, in den Räumlichkeiten von Raddho, die auch in der Schweiz auf grosses Interesse stiess.
Um den Druck vor der Ratifizierung vor allem in Senegal zu erhöhen, soll in nächster Zeit ein offener Brief an die ParlamentarierInnen der beiden Ländern versandt werden. Weitere Aktionen sind im Gespräch. Nach einer allfälligen Ratifizierung muss zuerst noch der Knast gebaut werden, erst dann - voraussichtlich im nächsten Jahr - kann die Schweiz bestenfalls ihr Ausschaffungsprojekt realisieren. Und dann fängt unsere Arbeit erst an: In Vertretung derjenigen, die von den Massnahmen betroffen sein werden.
Salvatore Pittà
 
 
Spendenaufruf
Die sozialistische Wochenzeitung «Vorwärts» und das augenauf-Bulletin haben schon vor Monaten über das geplante exterritoriale Ausschaffungsgefängnis in Senegal berichtet. Der Journalist Salvatore Pittà ist im Auftrag der beiden Publikationen nach Senegal gereist, um vor Ort zu recherchieren, sich mit Gruppen zu treffen, die sich gegen das Transitabkommen wehren, und um Vernetzungsarbeit zu leisten. Diese Reise hat viel Geld gekostet. Bitte spenden Sie mit dem Vermerk «Senegal» auf das Konto PC 80-700 000-8. Herzlichen Dank.


Buchtipp: Die Forschungsgesellschaft Flucht und Migration hat in Zusammenarbeit mit Solidarité sans Frontières ein Buch zur Transitproblematik im afrikanischen Kontinent herausgegeben. Salvatore Pittà, Anja Zickuhr: Marokko - Transit Non Stop, FFM-Heft Nummer 9, Assoziation A, Berlin-Hamburg-Göttingen 2002, ISBN 3-935936-10-9
 
 
Weitere Infos zum Thema
www.lesoleil.sn: Tageszeitung, etwa mit dem Schweizer Blick vergleichbar
www.sudonline.sn : Linksliberale Tageszeitung
www.ecowas.int : Homepage der Cedeao
www.enda.sn : Enda Tiers Monde ist eine entwicklungspolitische NGO in Senegal


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