Bulletin Nr. 37; März 2003

Zu den «zehn Zürcher Regeln für eine neue Schweizer Asylpolitik»

«Söll ämol schaffe»

Der Stadtrat von Zürich verlangt «produktive Lösungen» im Umgang mit Flüchtlingen und propagiert «zehn Regeln für eine neue Schweizer Asylpolitik». Darunter findet sich Vernünftiges, Idiotisches - und kruder Kolonialismus.

Die Stadtzürcher Asylpolitik ist keine SVP-Politik. Es gibt beispielsweise in der «Asylorganisation», die für Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen unter anderem in der Stadt Zürich zuständig ist, durchaus vernünftige Leute, mit denen man reden kann. Und der Zürcher Stadtrat stellte in den schweizweit abgedruckten Inseraten unter dem Titel «Asylpolitik: Nur so kommen wir weiter!» richtigrerweise fest, dass die miserable Unterbringung von Asylsuchenden diese teilweise richtiggehend in die Kleinkriminalität treibt. «Mit lediglich 3.- Taschengeld pro Tag können diese Leute ja nichts anfangen und nichts kaufen. Weder ein Paket Zigaretten noch einen Kaffee können sie sich leisten, keinen Kinoeintritt und keinen Telefonanruf nach Hause bezahlen.» Die Kritik des Zürcher Stadtrats an der Unterbringung von Flüchtlingen ist richtig und genau. Betrachtet man die «zehn Vorschläge» aber näher, so stellt man schnell fest, dass sie den rassistischen Konsens in der Schweiz nicht brechen und geprägt sind von einem paternalistischen bis kolonialistischen Menschenbild.
 
Waldarbeit für ein Taschengeld?
Tatsächlich würden viele Flüchtlinge gerne eine nützliche Arbeit leisten (Punkt 1 bis 3 der Vorschläge) statt in einem Bunker zu versauern und zu verzweifeln. Doch die Vorschläge des Stadtrates gehen viel weiter. Flüchtlinge sollen keinen richtigen Lohn bekommen, sondern die Kosten für ihren Aufenthalt (Securitas-Wächter, Stacheldraht und Infoveranstaltung für die Schweizer NachbarInnen inbegriffen?) sollen vom «Lohn» abgezogen werden. Der Rest wird ausser einem «Taschengeld» staatlich verwaltet und soll für «Rückkehrhilfe» eingesetzt werden. Was unter Rückkehrhilfe zu verstehen ist, wird genauso wenig erläutert wie die Tatsache, dass sehr viele AsylbewerberInnen, beispielsweise solche aus Bürgerkriegsländern wie der Demokratischen Republik Kongo, trotz abgelehntem Asylgesuch gar nicht zurückkehren können. Hinter den Vorschlägen steckt viel SP-Paternalismus: Vater Sozialstaat nimmt die «Negerli» an die Hand, und weil diese bekanntlich ja nicht mit Geld umgehen können und auch nicht wissen, was für sie gut ist, zwackt er von ihrem Lohn gleich noch den Grossteil für Entwicklungs-, sprich «Rückkehr»-Hilfe ab. Dahinter steckt die fixe, europäische Idee, dass die meisten Flüchtlinge aus einer diffusen Abenteuerlust den Aufbruch nach Europa gewagt haben.
Punkt vier und fünf der «zehn Vorschläge» (Selbstorganisation der Unterkünfte und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen) finden wir unterstützenswert. Das Verlangen, dass Flüchtlinge durch Landsleute unterstützt werden sollen (Vorschlag 6), ist hingegen schlicht idiotisch. Was glaubt denn der Stadtrat, wie sich bereits heute Asylsuchende über Wasser halten, wie sie sich juristischen Beistand holen und wohin sie aus den tristen Lagern flüchten? Und wie will der Stadtrat seinen Vorschlag durchsetzen? Sondersteuer für alle Tamilen? Erhöhte Mehrwertsteuer für Menschen aus der Türkei oder eine Kopfsteuer für afrikanische Menschen? Bereits heute betreuen «ausländische» Menschen in der Schweiz Flüchtlinge besser und öfter als der teure staatliche Apparat.
 
Rrrraus mit den Kriminellen!
Mit der Forderung nach der Beschleunigung der Asylentscheide (Punkt 7) und der sofortigen Ausschaffung von kriminellen (sprich verurteilten) Asylsuchenden (Punkt 9) macht der «rot-grüne» Zürcher Stadtrat dann doch noch die Verbeugung vor der SVP. Die Asylentscheide des BFF sind bereits heute höchst zweifelhaft: Schnellentscheide im Flughafentransit ohne Hilfswerkvertretung, Nichtbeachtung von Beweisen unter dem Etikett «Widersprüche», pauschale Abweisung von Flüchtlingen aus «safe countries» etc. sind nicht die Ausnahme, sondern die Norm. Wer die Entscheide aus dem Hause BFF kennt, weiss, dass es vor allem um das Erreichen einer möglichst hohen negativen Quote geht. Wer nun eine Beschleunigung der Entscheide verlangt, kann nur meinen, dass die wenigen und schlecht nutzbaren Rechtsmittel abgebaut werden sollen.
Mit der Forderung, kriminelle Asylsuchende sofort auszuschaffen, stimmt der Stadtrat zum Schluss in den Schweizer Chor von SVPFDPCVPSP ein. Der Grund, warum bis heute nicht alle Flüchtlinge, die Kontakt zur Justiz hatten, ausgeschafft werden, ist eben, weil sie Flüchtlinge sind. Sie kommen zum Beispiel aus Ländern, wohin kein Flugzeug fliegt (zu gefährlich), oder sie sind klar gefährdet, wie zum Beispiel geflüchtete Armeeangehörige oder Angehörige einer verfolgten Minderheit. Punkt 7 und 9 der stadträtlichen Vorschläge lenken Wasser auf die Mühlen jener Rechtsextremen, die am liebsten per sofort die UNO-Flüchtlingskonvention und die Mitgliedschaft im Europarat künden möchten.
 
Kolonialismus ohne Neo
Den Vogel schoss allerdings die grüne Stadträtin Monika Stocker in einem Interview mit der «WochenZeitung» ab. Sie sagte, dass Asylsuchende, die «ja doch wieder gehen müssen», in diesen Beschäftigungsprogrammen für «wartende Asylsuchende» … «um zwei Erfahrungen reicher» werden: «Erstens, dass Leistung/Gegenleistung ein Konzept der industrialisierten Welt ist. Zweitens lernen sie Sprachen und Arbeitstechniken, die sie im Heimatland brauchen können.» Wie schön: Monika Stocker lehrt die unbedarften Flüchtlinge, wie ein blitzblankes Tram aussieht, wie frau das Füdli von Schweizer Alten schön hygienisch putzt und dass man um 6.30 Uhr morgens aufstehen muss, damit es Batzeli gibt. Aber nicht zu viel Batzeli, sonst würden sich die Asylsuchenden hier gar noch wohl fühlen und nicht mehr gehen wollen.
augenauf Zürich
 
 
Kasten: Die «zehn Zürcher Regeln»
1. Asylsuchende sollen möglichst schnell arbeiten dürfen. Aber:
2. Kantone, Städte und Gemeinden sollen für Asylsuchende Beschäftigung in «nützlichen Dienstleistungen» finden. Beispiele: Parkpflege, Putzen von Trams, Dienste in Spitälern und Pflegeheimen.
3. Die Asylsuchenden sollen ihren Aufenthalt durch eigene Arbeit finanzieren. Flüchtlingen sollen vom «Lohn» ihrer Arbeit die Kosten für Unterbringung, Krankenkasse etc. abgezogen werden. Vom Rest bekommen sie ein Taschengeld, was übrig bleibt, wird staatlich verwaltet und für «Rückkehrhilfe» verwendet.
4. Kinder und Jugendliche sollen ausgebildet werden.
5. Flüchtlinge sollen sich in den Unterkünften selbst organisieren.
6. Flüchtlinge sollen durch Landsleute unterstützt werden.
7. Asylentscheide sollen beschleunigt werden.
8. Die Leistungen von Gemeinden sollen durch Bund und Kantone finanziert werden.
9. Kriminelle Asylsuchende sollen sofort ausgeschafft werden.
10. Eine dringliche Asylkonferenz.


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