Bulletin Nr. 36; Dezember 2002
Die Versammlung der afghanischen Flüchtlinge ist fassungslos
«Loya Jirga» im Zürcher Kreis 5
Über 30 Leute drängen sich in einem bescheidenen Privatzimmer, die Schuhe
stehen vor der Türe, jüngere und ältere Männer und zwei Frauen teilen sich
den kargen Platz im Kreis auf dem Teppich. Ihre Gesichter sind gespannt,
besorgt.
Flüchtlinge aus Afghanistan haben sich versammelt und halten Rat. Seit Ende
Oktober/Anfang November hat das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) zahlreiche
Negativentscheide verschickt und damit die Gruppe afghanischer
Asylsuchender aufgeschreckt.
Während der Bombardierung ihres Heimatlandes wurden die Asylgesuche auf Eis
gelegt. Einem Pressecommuniqué des BFF vom 5. 9. 2002 ist zu entnehmen,
dass jetzt wieder entschieden wird. Am 6. 9. 2002 berichtete die
Gratiszeitung «20 Minuten» über ein missglücktes Attentat auf den
Übergangspräsidenten. Die Schlagzeile: «Der Krieg ist nach Kabul
zurückgekehrt». Ein Bombenanschlag in Kabul fordert 30 Tote. In einem
Kästchen daneben: «Bern - BFF: Rückkehr zur Einzelfallprüfung auf Grund der
sich stabilisierenden Situation in Afghanistan.» Nicht gerade das ideale
Timing von Seiten der Behörden!
Das BFF beobachtet
In der Pressemitteilung des BFF vom 5. 9. 2002 heisst es : «Das BFF
beobachtet und analysiert die Lage in Afghanistan laufend, insbesondere was
die Sicherheitssituation in den verschiedenen Landesteilen Afghanistans
betrifft.» In der NZZ vom 5. 11. 2002 steht, dass Human Rights Watch einen
Bericht veröffentlicht hat über die katastrophale Sicherheits- und
Menschenrechtslage in Herat, im Westen Afghanistans. In der Runde der
anwesenden Flüchtlinge sind auch Leute aus Herat.
BFF: «Die Wegweisung wird im Einzelfall geprüft, ob sie zulässig, zumutbar
und möglich ist …» Erachtet das BFF also tatsächlich eine Wegweisung nach
Herat als zumutbar?
In der Versammlung auf dem Teppich sitzen Menschen aus allen Gegenden
Afghanistans: Ost-, Nord-, Zentral-Afghanistan, von allen Orten, wo fast
täglich von Toten berichtet wird, wo die alten Kriegsherren neu an der
Macht sind. Die Internationale Schutztruppe bleibt in der Hauptstadt, die
Übergangsregierung hat keine Kontrolle über Kabul hinaus.
Hilfswerke und Menschenrechtsorganisationen aus vielen Ländern raten
dringend davon ab, Flüchtlinge zur Rückkehr zu zwingen. Zum einen wegen der
politischen Unsicherheit, zum andern, weil es schlicht nicht genug
instandgestellte Häuser gibt und das Geld nicht reicht, um eine
Hungerkatastrophe im nahenden Winter abzuwenden.
Zeitungsmeldung vom 11. November: «16 US-Soldaten in Afghanistan getötet.»
Safe country? Das BFF analysiert und prüft und zieht seine Schlüsse. Die
Frauen und Männer auf dem Teppich schütteln ungläubig den Kopf. Sie fassen
es nicht.
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