Bulletin Nr. 36; Dezember 2002
Bei Asylsuchenden ist die Zwei-Klassen-Medizin bereits Realität
Ärztliche Hilfe für Flüchtlinge rationiert
Neoliberale Fantasten schwärmen von «Selbstverantwortung» in der
Medizin und meinen die Minimalversorgung von armen Leuten. Im Asylbereich
ist das Prinzip bereits umgesetzt.
Die Sparmassnahmen im Asylbereich und der Druck der Krankenversicherer
veranlassten den Bund, die Basis der Gesundheitsversorgung für
sozialhilfeabhängige Personen im Asylbereich zu ändern. In der
Asylverordnung 2 wurden vor zwei Jahren die Kantone verpflichtet, Verträge
mit Krankenkassen und Ärzten abzuschliessen, welche die freie Arztwahl
einschränken. Diese Regelung soll im Rahmen der nächsten Asylgesetzrevision
auf Gesetzesstufe verankert werden.
Die Kantone haben diese Vorgabe ganz unterschiedlich umgesetzt. Bern weist
AsylbewerberInnen jetzt direkt einem Hausarzt oder einer Hausärztin zu.
Zürich erstellte in Kooperation mit der Krankenkasse Helsana und der
Ärztegesellschaft eine so genannte Asyl-Ärzte-Liste. Der Kollektivvertrag,
den der Kanton mit der Helsana für AsylbewerberInnen führt, schränkt die
freie Arztwahl auf die auf der Asyl-Ärzte-Liste stehenden MedizinerInnen ein.
Von «Gatekeepern» und «managed care»
In der Praxis beginnt das Kontroll- und Rationierungssystem im
Durchgangszentrum, wo Asylsuchende in den ersten Monaten (bis Jahren) in
der Schweiz leben müssen. Dort fungiert eine der Betreuungspersonen als
vorgelagerter «Gatekeeper». Sie führt die lokale Hausapotheke und ist
Anlaufstelle für Flüchtlinge, die medizinische Probleme haben. Ihre
Funktion wäre es eigentlich, Leute rechtzeitig zum Arzt zu schicken. Die
unselige Verquickung von Betreuungsaufgabe, Überforderung und ständig
spürbarem Spardruck führt jedoch dazu, dass diese nicht mit Fachwissen
ausgestatteten «Gatekeeper» (ein Nothelferkurs ist Standard) zu
«Verhinderern» medizinischer Leistungen werden.
Die Asylorganisation der Stadt Zürich hat das Problem zumindest erkannt.
Sie führt spezielle Fachstellen für die medizinische Versorgung. Bei der
Zusammenstellung der Betreuungsteams achtet sie auf «Fachkenntnisse». Zudem
finden Schulungen statt. Die private ORS hingegen investiert keinen Franken
in diesen Bereich. Ihr fehlt nicht nur die Fachkenntnis, sondern auch das
Problembewusstsein. Keine andere Betreuungseinrichtung würde
methadonabhängige Personen in eine Unterkunft aufnehmen und unvorbereitetem
Personal die Aufgabe übertragen, im Auftrag des zuständigen Hausarztes
Medikamente an AsylbewerberInnen abzugeben. Offen ist, wie die ORS auf
allfällige Haftungsklagen reagiert.
Unerträglich ist auch die Haltung des Kantons, des Krankenversicherers und
der Ärzteschaft. Seit zwei Jahren gibt es im Kanton Zürich die so genannte
Asyl-Ärzte-Liste. Es gibt bis heute keine Kriterien, die ein Arzt auf
dieser Liste erfüllen muss. Es ist nicht einmal bekannt, welche Sprachen
die ÄrztInnen auf der Liste sprechen. Ausserhalb der Stadt Zürich sind den
Durchgangszentren einzelne oder mehrere HausärztInnen zugeteilt. Der Kanton
weigert sich aus Kostengründen, AsylbewerberInnen zu anderen, eventuell
spezialisierten ÄrztInnen zu schicken. Das Zugbillett ist zu teuer. Die
Ärzte verteidigen bei den Verhandlungen über den Asylvertrag die Handels-
und Gewerbefreiheit. Sie streiten mit der Helsana um die Einschränkung der
freien Arztwahl. Bei der Helsana wird der Asylvertrag von der Abteilung
«managed care» betreut. Vom vielfach geforderten Ansatz, eine
«migrationsspezifische Medizin» zu entwickeln, ist im Kanton Zürich nur
etwas zu sehen: eine migrationsspezifische Zwei-Klassen-Medizin.
augenauf Zürich
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