Bulletin Nr. 34; Mai 2002

Zunehmende Gewalt auf Zürcher Strassen

Fahnder ausser Rand und Band

Die Fälle brutalster Gewalt auf Zürcher Strassen häufen sich. Die Gewalttäter sind Fahnder in Zivil oder Uniform. Doch es regt sich erfolgreich Widerstand in der Bevölkerung.

Der zwanzigjährige E.S. lebt ein ruhiges Leben. Er arbeitet in der Garage seines Vaters in einem ruhigen, bürgerlichen Quartier Zürichs. Seine Freizeit verbringt E.S. oft in einem Fitnessclub. Vater und Sohn sind beliebt im Quartier - sie betreiben die letzte bediente Tankstelle weit und breit. Feinde hat die bosnische Flüchtlingsfamilie keine. Dies zumindest dachten Vater und Sohn bis zum verhängnisvollen Sonntagabend am 21. April.
Gegen 18 Uhr will E.S. im naheliegenden Hauptbahnhof noch etwas einkaufen. Auf dem Weg kommen ihm zwei riesige kurzhaarige Männer entgegen. Faschos? Er will Ärger vermeiden und geht ganz ruhig an ihnen vorbei. Kurz nachdem er an den Männern vorbei ist, wird E.S. von hinten mit voller Wucht niedergeschlagen. E.S. wird es kurz schwarz vor den Augen. Er hat panische Angst. Die Schläger scheinen Psychopathen zu sein. E.S. versucht zu fliehen, doch die Schläger schlagen weiter auf ihn ein. Sie sind mit einer Art Schlagring, der auf der Innenseite der Hand befestigt ist, bewaffnet. E.S. bricht zusammen. Die Schläger fesseln ihn mit einer Handschelle an das Geländer des Weges. Er ruft um Hilfe. Die Schlager traktieren E.S. mit Fusstritten, er blutet aus mehreren Wunden.
 
Die Retter, die keine waren
E.S. glaubt sich gerettet, als er Polizeisirenen hört und sechs bewaffnete Polizisten auf die Schläger zustürmen. Doch der Horror hört nicht auf. E.'s Peiniger zücken Polizeiausweise. Sie sagen den Uniformierten, E. sei ein gefährlicher ("stark wie eine Sau") Mann, den sie verhaftet hätten. E. versucht zu erklären, doch die Beamten verbieten ihm zu sprechen ("Halt doch endlich die Schnauze!"). E. wird gefesselt und blutüberströmt zum Polizei-Kombi geführt.
Auf der Polizeiwache "Urania" geht der Albtraum erst recht los. Zwei uniformierte Polizeibeamte, beide mit schwarzen Handschuhen, holen ihn aus dem Kombi. E. versucht weiter zu erklären, er sei kein Krimineller und werde keinen Widerstand leisten. Wieder wird ihm bedeutet, die Klappe zu halten und nicht um Hilfe zu rufen. E. wird durch einen Seiteneingang in einen dunklen Gang geführt. Er hat Angst und spürt, dass etwas gewaltig schief läuft.
Plötzlich spürt er einen gewaltigen Schlag gegen den Hinterkopf. Gefesselt wie er ist, fällt E. nach vorne um. Die zwei uniformierten Polizisten stürzen sich "wie Bestien" (aus dem Bericht E.s) auf ihn. Sie treten ihn in die Wirbelsäule, die Nieren und die Genitalien. E. liegt auf dem Boden, versucht den Kopf zu schützen und schreit um Hilfe. Die Polizisten pressen ihm die Hand auf den Mund und würgen ihn, um das Schreiben zu verhindern. E. glaubt, wer würde nun getötet.
Ihn als "Saujugo", "Arschloch" und "Hurensohn" beschimpfend prügeln die Beamten weiter. E. versucht den Beamten zu sagen, dass sie ihn umbringen werden, wenn sie weitermachen. Einer der beiden verliert die Kontrolle über sich. E. wird aufgestellt und die Polizisten knallen mehrmals seinen Kopf gegen die Wand.
 
Zelle, Arzt, Drohungen
Die Prügelei dauerte vielleicht 10 Minuten, so E.'s Bericht. Als eine Frau (Polizistin?) nachfragt, was den los sei, wird E. in eine Zelle geführt. E. verlangt nach Wasser. Er wird von bewaffneten Polizisten bedroht und muss sich nackt ausziehen. Es gibt kein Wasser. E. ist schwer verletzt und nackt in der Zelle. Er weiss, er muss hier raus. Er poltert gegen die Zellentüre und gibt sich als zuckerkrank aus. Wieder Drohungen. Doch die Polizisten scheinen doch Angst zu bekommen. Man gibt ihm endlich zu trinken und holt einen Arzt.
Er wird nach langen langen Minuten aus der Zelle geholt und einem Arzt vorgeführt. Dieser untersucht ihn und verlangt, dass er ins Kantonsspital gebracht werde. Doch dies passiert nicht. E. wird einem Detektiv und einem Gerichtsmediziner vorgeführt. E. muss einen Entlassungsschein unterschreiben. Er sagt dem Detektiv: "falls ich hier jemals lebend rauskommen, werde ich zu den Medien gehen."
E. wird wieder in die Zelle gebracht. Beide der uniformierten Schläger geben ihm zu bedeuten, man kenne ihn und wisse wo er wohnt, arbeitet und die Freizeit verbringt. Dann wird E. erkennungsdienstlich behandelt und man nimmt ihm Blut und Urin ab. Wieder die Zelle.
Endlich wird E. (immer noch gefesslt) zu einem Transporter gebracht und ins Spital gefahren. Plötzlich interessieren sich die Schläger für ihn. Ob die Handschelle auch nicht zu fest sitze, wollen sie wissen. Ein Beamter ihn Zivil warnt ihn ein letztes Mal. Es sei eine dumme Idee zu den Medien zu gehen.
 
Im Spital
Im Kantonsspital wird E. endlich behandelt. Doch am nächsten Tag versuchen ihn 6 uniformierte und vier Polizisten in Zivil zu verhaften oder ihn zumindest auf einen Posten zu bringen. Auch E.s Vater wird gewarnt, mit der Geschichte an die Medien zu gelangen.
Die Familie S. informiert trotzdem Tele24 und "Schweiz Aktuell". Bei beiden Medien erscheinen Berichte, die E.'s Verletzungen dokumentieren. Der Vorgesetzte der beteiligen Polizisten behauptet gegenüber den Medien, E. habe sich eben stark gewehrt, auch seien zwei Polizisten "erheblich" verletzt.
Um. E.'s Verhaftung zu verhindern, wird ein Psychiater beigezogen, der E. in eine psychiatrische Klinik einweist. Die Familie S. reicht eine Strafanzeige gegen die vier Polizisten ein.
 
Verleumdung misslungen
Die Stadtpolizei Zürich reicht - wie immer in solchen Fällen - auch gegen E. eine Strafanzeige ein. Ausserdem verschickt sie ein Pressecommuniqué in dem von E. als einem "mutmasslichen Drogenhändler" die Rede ist. Die Zürcher Tagespresse berichtet über den Fall, je nachdem werden der Schilderungen E.'s mehr oder weniger Platz eingeräumt. Geradezu verleumderisch agiert die Gratis-Zeitung "ZürichExpress". "Dealer bezog üppig Prügel", heisst es auf dem Aushang der Zeitung, der 3. Mai an jeder Ecke der Stadt zu sehen war.
Vier Tage später wehrt sich E.S. zusammen mit seinem Vater, engagierten Nachbaren und augenauf an einer Pressekonferenz gegen die Verleumdung. Für einmal nehmen viele Medien vom Lokal-TV bis zu den grossen Tageszeitungen das Thema auf und berichteten breit. Sogar der ZürichExpress sah sich zu einer Richtigstellung genötigt und macht E.'s Geschichte gross auf. "Stadtpolizei unter Druck" heisst nun die Schlagzeile.
 
Kein Einzelfall
Die Fahnder der Zürcher Stadtpolizei scheinen ausser Rand und Band geraten zu sein. Denn das schreckliche Erlebnis von E. ist kein Einzelfall. So schildert ein offener Brief von MitarbeiterInnen des SAH (Schweizer ArbeiterInnen Hilfswerk) an die Zürcher Polizeivorsteherin Esther Maurer die Verhaftung eines schwarzafrikanischen Mannes. Der Mann wurde aus zwei bis drei Metern mit der Pistole bedroht. Er musste sich (obwohl er einen Ausweis vor sich hielt) auf den Boden legen. Aus dem offenen Brief: "Ein Polizist drückte mit seinem Knie das Gesicht des Mannes seitlich auf den Asphalt und drehte ihm die Arme auf den Rücken. In kürzester Zeit wurde der Mann von weiteren Polizisten festgehalten und auf die Strasse gedrückt."
Eine Beobachterin wurde mit einer Verzeigung bedroht, falls sie sich nicht entferne. Als Begründung für die Gewaltanwendung meinte ein Polizist, er sei von einem "Kaffer gebissen worden."
Unter dem Vorwand der Fahndung nach gefährlichen Drogenhändlern versucht die Stadtpolizei Zürich (oder ist es nur eine Fraktion), die Macht auf den Zürcher Strassen zu übernehmen. Wer auch nur den Anschein macht, sich wehren zu können oder zu wollen, riskiert brutale Misshandlungen.
 
Erschreckende Parallelen
Ein ganz ähnlicher Fall wie bei E.S. ereignete sich am 8. März ebenfalls in Zürich. Abends um etwa 19 Uhr verliess V., ein politischer Flüchtling und Asylbewerber, die Jugendherberge Wollishofen, wo er eine Bekannte besucht hatte. Beim Ausgang kamen zwei ihm unbekannte Männer in Zivil auf ihn zu. Ohne ein Wort zu sagen, schlügen sie ihm mehrmals auf den Kopf und den Körper. V. fiel zu Boden. Da er glaubte, entführt zu werden, wehrt er sich.
Erst zu diesem Zeitpunkt sagten ihm die zwei Männer, sie seien Polizisten. Leider glaubte ihnen V. nicht. Die beiden Männer forderten V. auf, in ihren (zivilen) Wagen einzusteigen. Da V. sich weigerte, benützten die Polizisten Pfefferspray.
V. wurde bei dieser etwa 10-minütigen Aktion an den Knien, im Gesicht und an den Armen verletzt. Vor dem Verhör musste er im Spital behandelt werden.
V. wurde wegen Kontakten zu Drogenhändlerinnen verhört und für 25 Tage in U-Haft genommen. Erst bei der Entlassung aus der Untersuchungshaft, erklärte man ihm mündlich (!), die Untersuchung wegen Drogenhandel sei eingestellt worden. Hingegen erhielt V. später einen Strafbefehl wegen Sachbeschädigung (die Autotüre wurde bei seiner Verhaftung beschädigt) und wegen Hinderung einer Amtshandlung.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Zurück zum Archiv

URL dieser Seite