Bulletin Nr. 33; Dezember 2001

Illegale Haftbedingungen trieben einen jungen Algerier in den Selbstmord

Hamid Bakiris Tod in Chur

Trotz verschiedener Interventionen ist es nicht gelungen, die Bündner Behörden davon zu überzeugen, Hamid Bakiri aus dem Gefängnis zu entlassen. Am 20. September wäre er ausgeschafft worden. Am Vorabend hat er sich mit dem letzten verbliebenen Mittel dagegen gewehrt: Er erhängte sich.
Wer war Hamid Bakiri? Bakiri wurde am 17. Januar 1971 in Constantine im Nordosten Algeriens geboren. Im Alter von 17 Jahren erlebte er die grossen «Jugendunruhen», die das Ende des Regimes ankündigten. Zur Zeit des Militärputsches war er 21 Jahre alt, danach begann der Bürgerkrieg, der seither pro Tag durchschnittlich 40 Menschenleben gekostet hat.
Hamid Bakiri verliess Algerien, das ihm ausser Krieg keine Perspektive anbieten konnte. 1993 stellte er in der Schweiz ein Asylgesuch, das abgelehnt wurde. In der Schweiz gilt Desertion nicht als Fluchtgrund. Ausserdem wurde die Militärdiktatur in Algerien von den westlichen Ländern unterstützt, weil sie angeblich die Gefahr des Islamismus bekämpfte. Bakiri zog aus der Schweiz weiter, war einige Zeit in den Niederlanden, danach kam er bis nach Norwegen. Doch im kalten Skandinavien wurde er nicht heimisch. Nach einiger Zeit zog es ihn wieder fort, mit unbekannter Destination. Acht Jahre später kam er wieder in die Schweiz, wahrscheinlich wollte er nach Italien weiterreisen. Er geriet in eine Personenkontrolle und stellte nochmals ein Asylgesuch, dessen Behandlung im März 2001 postwendend abgelehnt wurde. Er wurde dem Kanton Graubünden zugewiesen, der seine Ausschaffung vollziehen sollte.
 
Die medizinische Schlamperei
In Landquart wurde Bakiri in einem Asylheim untergebracht. Bei einem Unfall brach er sich den Fuss. Der behandelnde Arzt hat den Knochenbruch übersehen und stellte eine Fehldiagnose. Die Folge: Bakiri wurde in die Physiotherapie geschickt, was seine Schmerzen ständig verstärkte. Seine Klagen wurden nicht ernst genommen, er wurde als Simulant verdächtigt. In dieser Zeit hat er das erste Mal versucht, sich das Leben zu nehmen, was aber verhindert wurde. In seiner Verzweiflung wandte er sich an den Pfarrer Thomas Mory, der sich von da an für ihn einsetzte. Am 15. Juli versuchte die Kantonspolizei Graubünden, Hamid Bakiri auszuschaffen, was er verhindern konnte, indem er dem Personal des Flugzeugs mitteilte, dass er nicht freiwillig fliegen werde.
Bakiri ist Berber, er kommt aus Constantine, das im Osten des Landes liegt und eine der Hochburgen der Berber-Bewegung ist, die seit einiger Zeit dem Regime in Algerien zusetzt. Er wollte auf keinen Fall in Algier landen, wo es für ihn einiges gefährlicher gewesen wäre als in Constantine.
 
Beugehaft nach dem Ausschaffungsversuch
Zurück vom Flughafen, wurde endlich festgestellt, dass Bakiri einen gebrochenen Knochen hatte, und er wurde entsprechend behandelt. Die Polizei beschloss, dass er die Ausschaffungshaft nicht wie üblich in Davos oder Realta absitzen sollte, sondern sperrte ihn in Thusis in eine Isolationszelle des Polizeipostens. Er war dort allein, die Zelle war den ganzen Tag geschlossen. Pro Tag durfte er einmal an die frische Luft, in einen Zwinger, den man auf das Dach des Gebäudes gestellt hatte. Die Post wurde vom Untersuchungsrichter kontrolliert, Telefone von Verwandten wurden nicht zu ihm durchgestellt, und der einzige, der ihn besuchen konnte, war Pfarrer Mory von Landquart, der ihn nach einer längeren Suche dort aufgespürt hatte. Beschäftigungsmöglichkeiten gab es in Thusis keine, hingegen wurde der verletzte Algerier angehalten, die Bandagen, die er für seinen Fuss brauchte, selbst zu waschen, statt dass sie ausgekocht worden wären. Das Ziel der Haftbedingungen war klar: Bakiri sollte für die verhinderte Ausschaffung bestraft werden, um den nächsten Versuch ohne Widerstand über sich ergehen zu lassen.
Dass die Bündner Kantonspolizei mit dieser Methode rechtswidrig gehandelt hat, steht ausser Zweifel. Alle oben beschriebenen Details widersprechen den vom Bundesgericht definierten Minimalstandards für Administrativhaft.
 
Vergebliche Interventionen zugunsten Hamid Bakiris
Nachdem Pfarrer Mory Hamid Bakiri in Thusis besucht hatte, war er sehr besorgt wegen dessen schlechtem psychischen Zustand. Er intervenierte bei den Behörden des Kantons und dem Bundesamt für Flüchtlinge (BFF), jedoch ohne etwas zu erreichen. augenauf erfuhr auf indirektem Weg von der Geschichte und wandte sich am 18. September mit einem Communiqué an die Öffentlichkeit, um die sofortige Haftentlassung von Bakiri zu bewirken. Es war zu jenem Zeitpunkt schon bekannt, dass am 20. September ein weiterer Ausschaffungsversuch stattfinden sollte. Auch auf diese Intervention wurde nicht eingegangen, die Schweizer Ausschaffungsmaschinerie wollte sich nicht bremsen lassen. Bakiri war in diesen Tagen einigermassen ruhig und erwartete gefasst seine bevorstehende Ausschaffung, die ihm mit der Zusage angekündigt worden war, dass er direkt nach Constantine gebracht würde, wo er auf die Unterstützung seiner Verwandschaft zählen konnte.
Am 19. September wurde Hamid Bakiri von Thusis ins Gefängnis Chur gebracht. Was dort passiert ist, entzieht sich bis heute unserer Kenntnis. Es gibt diverse Hinweise, dass Hamid Bakiri nach einem Gespräch mit einem Beamten der Fremdenpolizei aus Verzweiflung eine Zelle zertrümmerte, und dass er sich später in derselben Nacht als letzter Ausweg selbst erhängte.
 
Heinz Brand als Hauptverantworlicher
Fremdenpolizeichef Heinz Brand gilt als Experte in Sachen Ausschaffungshaft. Seit Jahren sitzt er in den einschlägigen eidgenössischen Kommissionen. Er hat sich als Vertreter der harten Linie einen Namen gemacht. Gerade ihm ist mit Sicherheit bekannt, dass die Inhaftierung Bakiris illegale Beugehaft war und keine gesetzlich geregelte Ausschaffungshaft.
 
Gedenkdemonstration in Chur
Am 3. November fand in Chur eine Demonstration in Gedenken an Hamid Bakiri statt. Es beteiligten sich ca. 200 Personen, darunter viele ausländische Leute. Die Schlussrede hielt Abbas Aroua vom Genfer Institut Hoggar, das sich mit der Menschenrechtssituation im Maghreb befasst.
augenauf Zürich

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