Bulletin Nr. 32; September 2001

Der Lingua-Test und seine Wissenschaftlichkeit

Formalisierte Willkür bei Asylbefragungen

Bei Befragungen von Flüchtlingen durch das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) kommt immer wieder der Lingua-Test zum Zug. Dieser soll feststellen, ob Asylsuchende tatsächlich aus dem angegebenen Land stammen. Die im folgenden dokumentierten Geschichten von zwei Personen aus Angola machen deutlich, wie es um die Wissenschaftlichkeit dieses Tests steht.
Nicht immer ist es so leicht, in kurzer Zeit schlagende Beweise gegen das Ergebnis eines Lingua-Tests zu liefern, wie in der vorliegenden ersten Geschichte von M. aus Angola. Nach bald zwei Jahren in der Schweiz ohne Erstentscheid auf sein Asylgesuch muss sich M. einem Lingua-Test unterziehen, der in diesem Fall aus einem etwa 20-minütigen Telefongespräch mit einem anonymen Experten besteht. Resultat: M. sei ganz sicher nicht Angolaner, sondern mit grösster Wahrscheinlichkeit Kongolese.
 
Das BFF muss zurückkrebsen
Die Version des BFF stellt sich schon sehr bald als Humbug heraus: Drei Tage nach der Bekanntgabe des Lingua-Testergebnisses heiratet M. nämlich ganz offiziell als angolanischer Staatsbürger, mit allen notwendigen, durch Schweizer Behörden beglaubigten Papieren. Die Geburtsurkunde einer Tochter mit der Anerkennung des Vaters als Angolaner liegt ebenfalls vor. Tage später folgt die trockene Feststellung des BFF, M. habe nun Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung B und möge doch aus prozessökonomischen Gründen sein Asylgesuch zurückziehen.
Wieso haben aber nun die Lingua-Tester M. nicht als Angolaner anerkannt? Die Amtssprache von Angola ist Portugiesisch. M.s Kenntnisse dieser Sprache waren dem Experten des BFF aber offenbar zu mangelhaft. M. hat bei der Befragung durch den Experten aber auch eine Begründung für seine schwachen Portugiesischkenntnisse vorgebracht.
In Angola sprechen nämlich nicht alle BewohnerInnen gut Portugiesisch. In den nördlichen Provinzen von Angola ist die Mehrheit der Bevölkerung eher frankophon orientiert, die beiden Umgangssprachen heissen Kikongo und Lingala. Je nach Verlauf des angolanischen Bürgerkriegs flüchteten seit über 25 Jahren Familien über die Grenze und kehrten bei einer Beruhigung der Lage wieder zurück.
Ein zeitweiliger Aufenthalt im Nachbarland Demokratische Republik Kongo (ehemals Zaire) hat jedoch keineswegs die Änderung der Nationalität zur Folge. Da die nördlichen Provinzen über lange Zeit von der Rebellenorganisation Unita kontrolliert wurden und immer noch werden, war in den Dörfern häufig ein geregelter Schulbetrieb nicht möglich, sodass die Familien ihre Kinder auf der anderen Seite bei Verwandten liessen, damit sie eine Schulbildung erhalten konnten. So sind denn die Sprachkenntnisse in der Amtssprache Portugiesisch häufig mangelhaft. M. hat all dies bei der Asylbefragung angegeben und dem Experten gesagt, er habe seine ganze Schulbildung im Kongo absolviert.
Der anonyme wissenschaftliche BFF-Experte weist einen 14-monatigen Aufenthalt in der besagten Region auf, stammt aus Westeuropa und ist seit Juli 1999 beim BFF unter Vertrag.
 
Keine Chance auf Rechtsvertretung
Die zweite Geschichte betrifft ebenfalls Angola, war aber sehr viel aufwendiger und kostspieliger, bis sie zur Anerkennung von A. und ihrem Kind führte. A. stammt aus Cabinda, einer Exklave von Angola, und wird bei der Empfangsstelle einem Lingua-Test unterzogen. Obwohl zwei Befragungen in Portugiesisch gemacht wurden, kommt der Experte zum Schluss, die Frau stamme aus dem Kongo und nicht aus Angola. Folge: Nichteintreten wegen Täuschung der Behörden. Sie hatte zwar eine als echt anerkannte Identitätskarte abgegeben und einen Geburtsschein für das Kind, aber - so das BFF im Entscheid - diese seien leicht käuflich!
Im Empfangsstellenverfahren hatte die Frau keine Chance, eine Rechtsvertretung zu finden. Ein später eingereichter Rekurs wird nicht behandelt, weil der hohe Betrag für einen Kostenvorschuss nicht rechtzeitig bezahlt werden konnte. Die Interessenlage in diesem Fall ist klar: Nach Angola können Familien und allein Erziehende mit minderjährigen Kindern nicht zurückgeschickt werden, in die Demokratische Republik Kongo hingegen schon. Obwohl auch dort ein Bürgerkrieg tobt, mit vergleichbaren Schwierigkeiten für die Zivilbevölkerung.
In der Folge sollte nun A. der Botschaft von Kongo vorgestellt werden zur Beschaffung eines Reisepapiers. Für die zuständige Sachbearbeiterin der Fremdenpolizei ist das allerdings ein grösseres Problem: Weder die Mutter noch das Kind sprechen und verstehen ein einziges Wort Französisch, immerhin die Landesprache des wissenschaftlich verordneten Heimatstaates.
Es dauert Monate, während denen die Frau über keine Arbeitsbewilligung verfügt, bis eine Vertretung der angolanischen Behörden (die Botschaft befindet sich in Deutschland) nach Bern reist zur Identifikation abgewiesener angolanischer Flüchtlinge. A. ist auf Vorschlag der inzwischen eingeschalteten Rechtsvertreterin ebenfalls angemeldet. Sie hat nichts zu riskieren. Wenn sie anerkannt wird, kann sie nicht nach Angola weggewiesen werden.
In der Zwischenzeit beschafft A. mit geliehenem Geld noch einmal sämtliche Identitätsdokumente aus der Heimat und reicht diese ein. Die Rechtsvertreterin begleitet A. zur Vorstellung, was von der zuständigen Abteilung für Vollzugsunterstützung gar nicht geschätzt wird. Knapp fünf Minuten dauert das Gespräch mit dem Ergebnis: A. ist ohne Zweifel Staatsangehörige von Angola, wie sie von Anfang an ausgesagt hat. Ein Wiedererwägungsgesuch wird zwar nie beantwortet, aber das ordentliche Asylverfahren dann doch eingeleitet und schliesslich der vorläufige Aufenthalt F gewährt. Die eingereichte Rechnung für die Folgekosten des falschen Testresultats werden nie bezahlt. Der Werdegang und die Qualifikation des Lingua-Experten wurden A. zur Vernehmlassung nicht zugestellt.
 
Mit realer Willkür gegen angeblichen Missbrauch
Diese beiden Geschichten sind keine Ausnahmen. Die Irrtümer häufen sich. In afrikanischen Ländern ziehen sich Sprachregionen häufig über mehrere Nationalstaaten hinweg, die koloniale Grenzziehung hat auf ethnische und sprachliche Einheiten keinerlei Rücksicht genommen. Durch historische und aktuelle Migration, kriegsbedingt oder aus wirtschaftlichen Gründen, ist die Sprachwanderung noch verstärkt.
Das ist dem BFF natürlich alles bestens bekannt. Trotzdem: Im Bestreben, so viele Nichteintretensentscheide wie möglich zu produzieren, so viele Asylsuchende wie möglich des Missbrauchs zu beschuldigen, ist alles rechtens. Auch ein völlig falscher Lingua-Test. Dies bedeutet nicht nur die Entwürdigung dieser Menschen, sondern hat auch konkrete materielle Nachteile zur Folge. Die Wegweisung gelingt dann natürlich trotzdem nicht, aber während des langen Aufenthalts als Weggewiesene gibt es keine Arbeitsbewilligung, und es entstehen den Betroffenen oft hohe Kosten durch erfolglose Rekurse und durch die Neubeschaffung von Identitätspapieren, die den Irrtum der Behörden beweisen. Wenn es so weit ist, kommt kein Wort der Entschuldigung, auch die durch den Irrtum aufgelaufenen Kosten werden nicht zurückbezahlt.
augenauf Zürich
 
 
Was ist der «wissenschaftlich fundierte» Lingua-Test?
Immer wieder kommt es vor, dass das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) auf ein Asylgesuch hin einen so genannten Nichteintretensentscheid fällt. Es wird dann beschlossen, auf das Asylgesuch nicht einzugehen. Ein solcher Entscheid muss offiziell begründet werden. Eine häufige Begründung ist der Vorwurf der missbräuchlichen Täuschung der Behörden in Bezug auf die Nationalität. Um zu «beweisen», dass jemand nicht aus dem Land stammt, von dem er oder sie zu kommen angibt, wird mit dem oder der Betreffenden ein als «wissenschaftlich» angepriesender Lingua-Test gemacht, der im wesentlichen aus einer Befragung über sprachliche, kulturelle und geografische Gegebenheiten des angegebenen Herkunftslandes besteht. Das Ergebnis eines solchen Tests ist ohne Gegenbeweis praktisch nicht umzustossen - ausser, wenn das Ergebnis nicht den Absichten des BFF entspricht. Dann wird manchmal ein zweiter oder dritter Test mit einem anderen Experten angeordnet, bis das Resultat befriedigend ausfällt oder dann schliesslich doch nicht beachtet wird. Auch das kommt vor. Wenn nun also «wissenschaftlich» feststeht, dass eine asylsuchende Person die Behörden getäuscht hat, erhält sie das rechtliche Gehör und kann sich innert einer Frist von 10 Tagen dazu äussern und/oder Gegenbeweise einreichen. Der Brief in dem dies mittgeteilt wird, ist in einem arroganten Ton gehalten und lässt keine Zweifel offen, dass ein Nichteintretensentscheid in kürzester Zeit zu erwarten ist. Ein solcher Entscheid führt zum Entzug der aufschiebenden Wirkung einer allfälligen Einsprache. Eine noch so fundierte Entgegnung ändert an der vorgefassten Meinung der Entscheider nichts.


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