Bulletin Nr. 32; September 2001
Ausschaffungs-Bürokratie: Auch nach dem zweiten Toten keine Einsicht
Die Apparatschiks kennen kein Erbarmen
Auch nach der Gerichtsverhandlung im Tötungsdelikt Khaled Abuzarifa und der Feststellung der
Lausanner Gerichtsmediziner, dass Samson Chukwu wegen den gegen ihn angewandten Zwangsmassnahmen erstickt
ist, gilt für die Schweizer Ausschaffungsbürokratie «business as usual». Zumindest bis im Herbst 2002, bis
dann will man neue Verfahren und Richtlinien für den Vollzug der Zwangsausschaffungen erarbeiten. Diese
lassen aber nichts Gutes erwarten.
«Der Bundesrat bedauert diesen tragischen Todesfall», hiess es am 30. Mai 2001 auf eine parlamentarische
Anfrage von Ruth-Gaby Vermot-Mangold im Zusammenhang mit dem Tod von Samson Chukwu. Auch der Tod Khaled
Abuzarifas wurde seinerzeit von Bundesrat Arnold Koller «sehr bedauert». Wie ernst diese Äusserungen zu
nehmen sind, zeigt die Praxis: An eine Sistierung der Zwangsausschaffungen, wie sie augenauf fordert, wird
nicht gedacht.
Getan wird, was man schon lange im Sinn hat. Unter «kantonaler Leitung» arbeitet eine «Projektgruppe» an
einem «umfassenden Ausbildungs- und Einsatzkonzept für polizeiliche Begleitpersonen bei zwangsweisen
Rückführungen von weg- und ausgewiesenen ausländischen Personen», so Ruth Metzler in einer Antwort auf
Anfrage Josef Zisyadis' vom 18. Juni 2001.
Beat Hegg, Sekretär der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) erklärt, BFF-Chef
Jean-Daniel Gerber habe nach wiederholten Verzögerungen gefordert, dass diese «Projektgruppe» mit dem
neckischen Namen «Passagier» ihre Arbeiten bis spätestens zur Herbsttagung im Jahr 2002 abgeschlossen habe.
Hegg weist darauf hin, dass Föderalismus eben Zeit brauche. («Vorwärts», 1. Juni 2001). Bis dahin handeln
die Behörden im Stillen, um das Skandalpotenzial der Massenabschiebung unerwünschter Flüchtlinge zur
reduzieren. Es ist anzunehmen, dass die Polizeikommandos nach dem Tod von Samson Chukwu ihre Untergebenen
auf die Problematik des «plötzlichen Gewahrsamstods» hingewiesen haben - ganz im Stillen, versteht sich.
Interkantonale Ausschaffertruppe geplant
Was ist von der Projektgruppe «Passagier» zu erwarten? Sie möchte eine dreihundert Beamte umfassende
interkantonale Ausschaffertruppe auf die Beine stellen. Mit Fremdsprachenkenntnissen und psychologischem
Geschick. Geschult, jeden Widerstand im Keime zu ersticken, um - wenn immer möglich - billige
Ausschaffungen in den Linienflügen zu ermöglichen. Richtlinien sollen die Mitglieder dieser Sondereinheit
vor strafrechtlicher Verfolgung schützen. Wie diese aussehen, ist unklar.
Bisher hat erst die vom Departement Metzler und der KKJPD ins Leben gerufene Arbeitsgruppe
Ausländerkriminalität (AGAK) einen Vorschlag gemacht, wie künftig bei Zwangsausschaffungen vorzugehen sei.
Punkt 29 ihres Massnahmenkatalogs schlägt die Schaffung einer «gesetzlichen Grundlage für Zwangsmassnahmen
bei Ausschaffungen (z.B. medizinische Ruhigstellung)» vor. In der vom Thurgauer Möchtegern-Bundesrat Roland
Eberle (SVP) und Alt-Fichen-Boss Peter Huber (heute Chef des Bundesamtes für Ausländerfragen) geleiteten
AGAK sassen mit der Walliser Frepo-Chefin Françoise Giannada und dem Kommandanten der Kapo-Bern, Kurt
Niederhauser, zwei ausgewiesene Fachleute.
Seriöse ÄrztInnen weigern sich, KollaborateurInnen zu sein
Die medizinische Keule gegen «renitente Ausschaffungshäftlinge» wird jedoch kaum als offizielles Mittel
eingesetzt werden können. Einer der Gründe dafür besteht in akuten Personalproblemen. Bisher haben sich
halbwegs seriöse Ärzte geweigert, zu Kollaborateuren bei Zwangsausschaffungen degradiert zu werden. Der
Fall des in Bülach verurteilten B. spricht dabei Bände. Der Berner Ausschaffungsarzt hat vor Jahren nach
einer persönlichen Krise seinen Beruf an den Nagel gehängt. Seither lebt er von einer IV-Rente und steckt
in finanziellen Nöten. Dieser Mann war der einzige «Arzt», der sich der Berner Kantonspolizei als
Begleitperson für den Vollzug von Zwangsauschaffungen zur Verfügung gestellt hat.
Die Projektgruppe «Passagier» hat noch andere Probleme. Im Berufungsverfahren im Fall Lukombo Lombesi hat
das Zürcher Obergericht am 18. Mai 2001 festgestellt, dass es den Ausschaffungsbeamten bei der
Zwischenlandung der Swissair-Maschine in Yaoundé «an der örtlichen Zuständigkeit für die polizeiliche
Bewachung» des Angeschuldigten gefehlt habe. Lombesi wurde vom Vorwurf der mehrfachen Gewalt und Drohung
gegen Beamte - er soll die Zürcher Polizisten geschlagen haben - freigesprochen. Die Tragweite dieses
Urteils ist nicht zu unterschätzen. Spätestens nach der Landung der Ausschaffungsflieger, faktisch jedoch
schon nach der Schliessung der Türen beim Abflug in der Schweiz, erlischt das Recht der begleitenden
Polizisten, auch einfache Zwangsmassnahmen wie eine Fesselung vorzunehmen.
Wie die «Passagier»-Experten dieses Problem lösen, ist ungeklärt. Bis zur Klärung dieser Frage wird in den
Zellen der Ausschaffungsgefängnisse, auf dem Flughafen und in den Flugzeugen weiterhin geprügelt,
gefesselt, verpackt und gespritzt. Wie weit die «im Stillen» ergriffenen Massnahmen weitere Todesfälle
verhindern können, kann im Moment noch nicht gesagt werden.
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