Bulletin Nr. 32; September 2001

Autopsiebericht zum Tod von Samson Chukwu: Erstickung wegen polizeilicher Festnahme-Methode

Die Polizei hat gehandelt wie immer

Samson Chukwu, der zweite Mann, der in der Schweiz bei der Ausschaffung gestorben ist, erstickte jämmerlich. Der Autopsiebericht bestätigt, was augenauf von Anfang an befürchtet hat: Die Polizeibeamten haben zur Fesselung des Nigerianers eine Methode angewandt, die lebensgefährlich ist und vor deren Anwendung in der Fachliteratur gewarnt wird.
Am 28. August wird in Zürich Kloten ein Sarg ins Flugzeug mit der Flugnummer SR 264 eingeladen. Samson Chukwu, am 1. Mai in der Zelle im Ausschaffungsgefängnis Granges getötet, wird in seine Heimat zurückgebracht. Begleitet von seinem älteren Bruder und verabschiedet von Schweizer FreundInnen, der nigerianischen Community in der Schweiz und augenauf, startet das Flugzeug um 12.55 Uhr nach Lagos. Die sterblichen Überreste des zweiten Todesopfers aktueller schweizerischer Ausschaffungspolitik verlassen das Land. Am 7. September findet die Beerdigung in seinem Heimatdorf Enugu statt.
Samson Chukwu, der am 24. Mai 1999 in der Schweiz um Asyl nachgesucht hatte, war in Nigeria Mitglied einer kleinen politischen Gruppierung, die im Rahmen der demokratischen Bewegung aktiv war. Der Student der Fakultät für Business und Management kam ins Visier der Militärs und flüchtete aus Nigeria - weil er um sein Leben fürchtete. Den Tod hat er in der sicheren Schweiz gefunden.
Im Mai 2000 wird sein Asylgesuch abgelehnt. Zu dieser Zeit sitzt Chukwu im Wallis in Untersuchungshaft, weil er beschuldigt wird, mit Drogen zu handeln, was er bis zu seinem Tode dezidiert bestreitet. Die Behörden schicken den negativen Asylentscheid nicht ins Gefängnis - die Rekursfrist verstreicht, ohne dass der Betroffene davon weiss. Als er im August aus der Untersuchungshaft entlassen wird, ist es zu spät. Wegen ungeregelten Aufenthaltes wird er eine Woche nach der Entlassung ins Ausschaffungsgefängnis Granges gesteckt, wo er bis zu seinem Tod bleibt.
 
Die letzte Viertelstunde
Die Polizeibeamten der Walliser Spezialeinheit, die den Auftrag hatten, Samson Chukwu am 1. Mai 2001 nach Zürich zu bringen, haben den Nigerianer getötet. Maduka Chukwu, der ältere Bruder Samsons, hat mit den beiden Beamten geredet. Sie sind sich keiner Schuld bewusst, auch wenn einer der beiden sich wenigstens dazu durchringt zu sagen, es täte ihm leid.
Der Ablauf des frühen Morgens lässt sich etwa so zusammenfassen: Um 01.45 Uhr kommen die beiden zivil gekleideten Polizeibeamten der Walliser Spezialeinheit, X. und Y., im Ausschaffungsgefängnis von Granges (VS) an. Der Wärter lässt sie herein, sie unterhalten sich kurz. Zirka um 01.50 Uhr gehen sie zur Zelle, in der noch Licht brennt. Samson Chukwu weiss nicht, dass er ausgewiesen werden soll - im Gefängnis herrscht strenge Anweisung, ihm nichts davon zu sagen. Mit gutem Grund. Schliesslich weiss der 27-Jährige, dass er am 7. Mai 2001 freigelassen werden muss, dann hat er insgesamt neun Monate in Ausschaffungshaft verbracht.
Zuerst fordern die Polizisten Chukwu auf, ihnen nach Zürich zu folgen. Als er nicht reagiert, nehmen sie ihm die Decke weg und zerren die Matratze unter ihm hervor. Chukwu hält sich am Bettgestell fest, X. und Y. versuchen, ihn wegzureissen, fordern den Wärter auf mitzuhelfen, was dieser ohne grossen Erfolg auch tut. Schliesslich gelingt es ihnen, Chukwu auf den Boden zu legen und seine eine Hand mit Handschellen zu fesseln. Um die zweite Hand auch auf den Rücken zu kriegen, setzt sich einer der Beamten, der 79 kg schwere Y., auf den Rücken Chukwus. Nachdem beide Hände hinter dem Rücken gefesselt sind, legen die Beamten dem Nigerianer zusätzlich Fussfesseln an. Chukwu regt sich nicht mehr.
Als die Beamten realisieren, dass Chukwu nicht - wie sie wohl vermuten - simuliert, schleppen sie ihn aus der Zelle auf den Gang und beginnen mit Mund-zu-Mund-Beatmung, während der Wärter die Ambulanz ruft. Es ist 02.08 Uhr.
Um 02.27 Uhr trifft der Krankenwagen ein, wenige Minuten später der Arzt. Die Anstrengungen, Samson Chukwu wieder zu beleben, scheitern. Er ist erstickt. Um 03.05 Uhr stellt der Arzt den Tod fest.
 
Courant normal
Die beiden Beamten der Walliser Spezialeinheit betonen, dass sie gehandelt hätten, wie sie immer handeln - es sei gar nichts Aussergewöhnliches passiert, und sie könnten sich den Tod des muskulösen 27-Jährigen nicht erklären. Dabei führten beispielsweise schon 1999 die deutschen Polizeitrainer Schulungskurse durch, um ihren Polizisten klarzumachen, dass die Position auf dem Bauch nach einer grossen Anstrengung und unter Stress zu Atemnot und damit zum Tode führen kann - ganz zu schweigen davon, wenn sich noch ein schwerer Mann auf den Rücken setzt. Diese Todesart wird «plötzlicher Gewahrsamstod» genannt. In der Schweiz wurde er nach dem Tod des Palästinensers Khaled Abuzarifas im März 1999 in Kloten öffentlich diskutiert. Doch bis heute haben die politisch Verantwortlichen daraus keine Lehren gezogen.
Die Frage, wer die Walliser Beamten gelehrt hat, Leute auf diese Art zu fesseln, ist ungeklärt. Im entsprechenden Ausbildungshandbuch für Sicherheit und Interventionstechnik des Eidg. Grenzwachtkorps findet sich keine Anleitung, Leute auf diese Weise festzunehmen. Als äusserste Massnahme wird dort empfohlen, mit dem Knie den Unterarm zu blockieren und mit dem Ellbogen die Schulterpartie zu fixieren.
Lernen die angehenden Polizisten in der Ausbildung trotzdem potenziell tödliche Festnahmemethoden? Oder zeigen gestandene Polizisten den Polizeischule-Neulingen, «wie es richtig geht»? Die Antwort auf diese Frage steht noch aus. Der Untersuchungsrichter hat sich auch noch nicht entschieden, ob er Anklage gegen die beiden Beamten erheben wird.
 
augenauf fordert:
- Die offizielle Übernahme der Verantwortung am Tod Samson Chukwus durch die entsprechenden Behörden. Insbesondere sind dies die Vorsteherin des EJPD, Bundesrätin Ruth Metzler, der Präsident der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren, Regierungsrat Jörg Schild, und der Polizeidirektor des Kantons Wallis.
- Ohne Verschleppung sind alle Zwangsausschaffungen sofort zu sistieren.
- Der Familie von Samson Chukwu ist unbürokratisch Schadenersatz zu leisten. Die Behörden sollen sich offiziell bei der Familie entschuldigen.
 
 
Der Autopsiebericht
Am 26. Juli 2001 gab das Untersuchungsgericht des Mittelwallis die Resultate des gerichtsmedizinischen Instituts der Universität Lausanne bekannt. Die Schlussfolgerungen des Autopsieberichtes:
- «Der Betroffene wollte nicht in sein Heimatland zurückgeschafft werden und wehrte sich entschieden dagegen.
- Er befand sich in einem Zustand grosser Erregung und möglicherweise in einer Stresssituation.
- Während des minutenlangen Handgemenges hat er eine beachtliche physische Anstrengung vollbracht, die sein Bedürfnis nach Sauerstoff verstärkte. Er wurde in eine zum Atmen ungünstige Lage gebracht (mit blockierten Armen hinter dem Rücken auf dem Boden).
- Er musste das Gewicht eines Polizisten auf seinem Brustkorb aushalten, was die Atembewegung beeinträchtigte.
- Die Autopsie des Instituts entsprach dem in der Fachliteratur erwähnten Fall eines Todes bei Verhaftungen mit Festhalten des Häftlings und entsprechend schwachen morphologischen Spuren (punktförmige Hautblutungen bei der Bindehaut der Augen, Blutergüsse am Herzkranz und den Lungengefässen) und den bei ähnlichen Hinschieden auftretenden Verletzungen (in einer Bodenlage mit auf dem Rücken verschränkten Armen).
- Somit ist der Tod von Samson Chukwu einer Erstickung durch Festhalten auf dem Bauch mit verschränkten Armen auf dem Rücken und dem Körpergewicht auf dem Brustkorb zuzuschreiben. Dies nach einer grösseren physischen Anstrengung des Opfers. Zudem konnte der erlebte Stress, dem das Opfer ausgesetzt war, eine wichtige Rolle in der fatalen Abfolge der Ereignisse gespielt haben.»


 
 
Solidarität und Widerstand
augenauf organisierte am 30. Juni zusammen mit der Gruppe Antimythes eine Demonstration in Sion. Die zentrale Forderung: Schluss mit den mörderischen Ausschaffungen! Die Manifestation, an der sich etwa 200 Leute aus der Deutsch- und der Welschschweiz sowie aus diversen afrikanischen Ländern beteiligten, verstand sich als Solidaritätsveranstaltung mit der Familie Samson Chukwus. Vom Bahnhof zog die Demo vor das Rathaus in Sion, wo ein Vertreter der nigerianischen Community sowie je eine Vertreterin von Antimythes und augenauf die Ausschaffungspolitik der Schweiz denunzierten. Zum Schluss wurde ein Communiqué verabschiedet, das den sofortigen Stopp der Zwangsmassnahmen verlangt.
Anschliessend wollte die Demo in Granges einen Kranz niederlegen und Kerzen anzünden. Der Zugang zum von der Öffentlichkeit völlig abgeschotteteten Gefängnis ausserhalb Sions wurde allerdings von der Polizei verhindert.
 
Hommage à Samson Chukwu
Am 25. August, drei Tage vor der Repatriierung des Leichnams von Samson Chukwu nach Nigeria, fand in Sion eine Abdankung für den Getöteten statt. Organisiert von der Familie und FreundInnen, vom Centre Suisses-Immigrés Valais, dem Comité Valaisan pour la Défense du Droit d'Asile, Amnesty International und Les Antimythes fanden sich gegen 30 Leute zusammen, um in der Kirche von Samson Chukwu Abschied zu nehmen.
Thesy, eine Freundin Samsons aus dem Aargau, erzählt, der Anlass sei sehr schön, aber auch unglaublich traurig gewesen. Sie könne es noch immer nicht fassen, dass Samson, der für sie und ihre Familie wie ein Adoptivsohn gewesen sei, getötet wurde. Sie hätte sich nie vorstellen können, dass so etwas in der Schweiz passiert.


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