Bulletin Nr. 31; Juni 2001

Lautloser Protest an den diesjährigen «Hannah Arendt Tagen»

Fuhrer und das Ende der Menschenrechte

Etwa 50 Personen protestierten am 19. April gegen die Teilnahme der SVP-Regierungsrätin Rita Fuhrer an den «Hannah Arendt Tagen 2001». Es waren Mitglieder von verschiedenen linken Gruppierungen, die Fuhrers Arendt-Lektüre nicht hinnehmen wollten.

Beteiligt an der Protestaktion waren: die «Gruppe augenauf», eine jüdische Frauengruppe, «rar. die junge bewegung» und das «Antirassistische Netzwerk» (anne). Die Zürcher SVP-Regierungsrätin Rita Fuhrer, die politisch Veranwortliche für tausende von unmenschlichen Ausschaffungen, las in der Helferei Grossmünster ausgerechnet aus dem Abschnitt «Der Niedergang des Nationalstaates und das Ende der Menschenrechte» aus Arendts Werk «Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft».
Die Protestierenden hielten ruhig und kommentarlos Plakate mit menschenverachtenden, rassistischen Fuhrer-Zitaten hoch. Auf weiteren Plakaten waren Ausschnitte aus «Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft» zu den Themen Menschenrechte, Flucht und Verfolgung zu lesen. Ausserdem wurde gleich neben dem RednerInnenpult ein wie für eine Ausschaffung gefesselter und geknebelter Mann auf einem Rollstuhl hingestellt. Dieser wurde allerdings von der SVP-Politikerin ignoriert, die ihre «Professionalität» bewies, indem sie ihren 20-minütigen Part eiskalt und unbekümmert vorlas, flankiert von zwei Bodyguards. Nachdem Fuhrer vorgelesen hatte, verliessen alle DemonstrantInnen - und auch einige Leute aus der «normalen» Zuhörerschaft - diskussionslos den Saal. Es stellt sich die Frage, worum es den Veranstaltern in dieser «gnadenlos harten Trophy» (Zitat Sebastian Hefti, Leiter der Politikinitiativen, über die Hannah Arendt Lesetage) eigentlich ging. Angeblich wollte man das Werk der jüdischen Theoretikerin und Schriftstellerin ehren mit einer «vielstimmige(n) Lesecrew», darunter auch Elisabeth Kopp, Esther Maurer, Ernst Cincera und Josef Estermann. Sebastian Hefti schreibt, man habe «den Tatbeweis erbracht, dass das mutige Experimentieren an neuen Formen der politisch-kulturellen Verständigung (...) nicht nur verstanden, sondern auch enthusiastisch realisiert wird.» Einziger Wermutstropfen sei dabei, dass die KritikerInnen «in den dazu berufenen Medien und Wissenschaften (...) es fast unisono vor(zogen), hämische und vulgäre Kurzkommentare zu verfassen, im übrigen aber vornehm zu schweigen.»
augenauf Zürich
 

Gegenüberstellung: Fuhrer und Arendt
 
Originalzitate der SVP-Regierungsrätin Rita Fuhrer
Zur Frage nach der Verhältnismässigkeit der Level-3- und Level-4-Zwangsausschaffungen: «Erstens ist das Leben der Ausgeschafften nie in Gefahr, und zweitens klingt 'renitent' so harmlos. Man muss bedenken, diese Leute sind zum Teil unglaublich gewalttätig. Selbst zwei Polizisten reichen nicht aus, um sie stillzustellen.»
«Seitdem die Swissair sich weigert, nach Level 3 auszuschaffen, macht die Knebelung keinen Sinn mehr. Denn bei Level 4 wird ein Flugzeug gechartert, und da dürfen sie schreien.»
«Ich stelle fest, dass es Ausländer gibt, die doch sehr gewaltbereit sind.»
Zur Frage: Ist das Eingesperrtsein im Ausschaffungsgefängnis wirklich so angenehm? «Die Häftlinge geniessen sehr viele Freiheiten (...) Deshalb haben viele auch keine Mühe, die maximal neun Monate Ausschaffungshaft durchzustehen, ohne ihren Widerstand aufzugeben und ihre Identität preiszugeben.»
 
Zitate aus Hannah Arendts Buch «Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft» (Teil II/9)
«...(dass) ein Mensch, der sich bereits durch die Tatsache, dass er existiert, strafbar macht, nur noch sein individuelles Gewissen zu befragen hat, um zu entscheiden, ob er sich zusätzlich noch einen Bankeinbruch leisten will oder nicht; denn die Strafe, die er für illegalen Grenzübertritt, illegalen Aufenthalt und illegale Arbeit zu erwarten hat, wird zumeist die, welche auf Einbruch steht, übertreffen.»
«Wen immer die Verfolger als Auswurf der Menschheit aus dem Land jagten (...) wurde überall auch als Auswurf der Menschheit empfangen, und wen sie für unerwünscht und lästig erklärt hatten, wurde zum lästigen Ausländer, wo immer er hinkam.»
«Dass es so etwas gibt wie ein Recht, Rechte zu haben (...) wissen wir erst, seitdem Millionen von Menschen aufgetaucht sind, die dieses Recht verloren haben und (...) nicht imstande sind, es wiederzugewinnen.»


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