Bulletin Nr. 31; Juni 2001

Der «sichere Drittstaat» Pakistan

Einfach abschieben - egal, wohin

Nur mit grosser Mühe gelang es augenauf, eine afghanische Frau und ihre drei kleinen Kinder vor der Abschiebung ins «sichere Drittland» Pakistan zu bewahren. Schliesslich half die zweimalige Intervention des UNHCR.

In Afghanistan ist Frauenarbeit verboten. Frau I. arbeitete früher als Personalchefin in einer Kabuler Firma und wurde verfolgt wegen verbotener Frauenarbeit, die sie heimlich verrichtet haben soll. Sie floh am 14. April 2001 mit ihren drei kleinen Kindern über Pakistan in die Schweiz. Eine Cousine von Frau I. informierte rechtzeitig augenauf. Zum Glück: Denn sonst wäre die Familie I. umgehend nach Pakistan zurückgeschafft worden.
augenauf reicht sofort nach der Meldung per Fax ein Asylgesuch ein, um eine Abschiebung der Familie I. als «Inadmissibles» (unerwünschte Personen) zu verhindern. I. wird darauf von Polizeibeamten befragt. Zwei Tage später entscheiden die Asylbehörden auf «vorsorgliche Wegweisung» in das «sichere Drittland» Pakistan. augenauf schreibt darauf innerhalb von 24 Stunden eine Beschwerde gegen diesen Entscheid und ersucht um die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Der Fall gelangt an die berüchtigte Kammer III der Asylrekurskommission (ARK). Diese verlangt regelmässig, entgegen den ARK-Regeln, einen Kostenvorschuss von 600 Franken.
In der Zwischenzeit stellt sich auch das Uno-Hochkomissariat für Flüchtlinge (UNHCR) gegen eine Abschiebung der Familie I. und setzt sich mit der ARK telefonisch in Verbindung. Auch Amnesty International und verschiedene Nichtregierungsorganisationen schicken Unterstützungsschreiben.
Pakistan hat die Flüchtlingskonvention nicht ratifiziert. Es verweigert VertreterInnen des UNHCR den Zugang zu Flüchtlingen. Es anerkennt die Taliban als legitime, rechtsstaatliche Regierung, weshalb es neu eintreffende afghanische Flüchtlinge zurückschickt oder inhaftiert. Für das UNHCR ist Pakistan aus diesen Gründen kein «sicheres Drittland» mehr, in welches Asylsuchende aus Afghanistan abgeschoben werden können. Die Schweizer Asylbehörden kümmert das jedoch nicht. Wohin man abschieben kann, soll man auch abschieben, scheint hier das Motto zu sein. Die ARK lehnt die aufschiebene Wirkung ab. Frau I. und ihre Kinder sollen sofort nach Pakistan abgeschoben werden. augenauf setzt jetzt alle Hebel in Bewegung. Die Zeit drängt: Der Flug nach Pakistan steht unmittelbar bevor. Per Fax schreibt augenauf dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Beschwerde und ersucht um vorsorgliche Massnahmen. Doch auch dort ist man für einen Aufschub des Wegweisungsvollzugs nicht zu haben. Das UNHCR schickt derweil eine schriftliche Stellungnahme und interveniert erneut bei der ARK. Eine Stunde vor dem Start des Flugzeuges nach Pakistan lenkt die ARK schliesslich ein: Frau I. und ihre Kinder können den Asylentscheid in der Schweiz abwarten. Vier Stunden später bewilligt das BFF die Einreise.
augenauf Zürich
 
 
Kein Recht auf Rechtsvertretung?
Der Fall von I. und ihren Kindern zeigt drastisch, wie zufällig inzwischen ein Asylverfahren in der Schweiz geworden ist: - Die unsichersten Länder der Welt werden von den Behörden als «sichere Drittländer» erachtet. Verfolgte werden im Schnellverfahren dorthin zurückgeschoben. - Die rechtzeitige Rechtsvertretung von Asylsuchenden ist Glückssache: etwa eine beherzte Cousine mit den richtigen Kontakten zu einer unermüdlichen augenauf-Aktivistin. - Die massive Verkürzung des Verfahrens verunmöglicht die Beschaffung von Dokumenten und Beweismitteln. - Die summarische Prüfung der Beschwerde und des Gesuchs um aufschiebende Wirkung durch die ARK bietet keinen ausreichenden Schutz vor Verfolgung und Bedrohung. - Asylbeschwerden sind zeitaufwändig und kostspielig: Auch bei erfolgreichem Ausgang erhalten RechtsvertreterInnen keine Spesenentschädigung.


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