Bulletin Nr. 29; November 2000

Fuhrer gegen Lombesi:

Von Opfern, Tätern und einer rassistischen Justiz

Sie soll am 6. Dezember in den Bundesrat gewählt, er zu 18 Monate Gefängnis verurteilt werden. Sie muss die Verantwortung für Misshandlung und Folter auf Ausschaffungsflügen nicht übernehmen. Er wird von der Zürcher Justiz fertiggemacht. Rita Fuhrer ist Schweizerin, Strahlefrau und Liebling der Nation. Lukombo Lombesi ist Kriegsflüchtling, Sans-Papier, völlig von der Rolle. Die Geschichte eines Justizskandals.
2. Juni 1999. Im Politmagazin Rundschau tritt der von der Polizei gesuchte Lukombo Lombesi auf. Er erzählt, wie er am 9. Mai 1999 beim Ausschaffungsversuch nach Kinshasa von Zürcher Polizisten misshandelt worden ist. Er erzählt, wie ihn afrikanische Passagiere bei der Zwischenlandung in Yaoundé, Kamerun, befreit haben und er an-schliessend in die Schweiz zurückfliegen konnte.
Zweieinhalb Wochen hat die Kantonspolizei über die Vorfälle geschwiegen. Als klar wird, dass die Angelegenheit an die Öffentlichkeit kommt, veröffentlich Kapo-Sprecher Robert Leiser am 27. Mai 1999 ein Communiqué. Lombesi habe die Passagiere gegen die Polizisten aufgehetzt und damit die Ausschaffung verhindert. Später schnappt sich Leiser aus den dem Amtsgeheimnis unterstehenden Akten ein Bild Lombesis und spielt dieses dem «Blick» zu. Am ersten Juni - einen Tag vor der Rundschau - druckt die Boulevard-Presse das Fahndungsfoto ab.
Der Fall beschäftigt die Justiz. Am 14. Juni reicht die Kantonspolizei Zürich Strafanzeige gegen Lukombo Lombesi ein. Anklage: Gewalt und Drohung gegen Beamte. Drei Tage später treffen bei der Zürcher Staatsanwaltschaft die von augenauf initiierten Strafanzeigen gegen Rita Fuhrer und die unbekannten Polizeibeamten ein, die bei den Ausschaffungen von Khaled Abuzarifa (3.März 1999) und Lukombo Lombesi beteiligt gewesen sind. Vorwurf im Fall Lombesi: Gefährdung des Lebens, Körperverletzung. Rechtsanwalt Marcel Bosonnet schliesst sich später im Auftrag des Misshandelten dieser Anzeige an. Er klagt unter anderem auch die unmenschliche und erniedrigende Behandlung Lombesis ein und verlangt Genugtuung und Schadenersatz. Ende November 1999 klagt Bosonnet auch noch den Pressesprecher der Kantonspolizei Zürich ein. Klage: Verletzung des Amtsgeheimnisses bei der Weitergabe des Fahndungsfotos an den Blick.
 
Sans Papier in Europa
Drei Verfahren, ein Hintergrund. Der 25-jährige Lukombo Lombesi stammt aus Uige, der französischsprachigen Nordprovinz Angolas. Er ist ein Kind des Bürgerkriegs. Mitte der 90er-Jahre lebte er in Kinshasa. Dorthin fliehen die von Zwangrekrutierungen bedrohten Angolaner aus dem Norden. Als sich die Lage im Kongo verschlechtert, reist Lombesi nach Europa. In Österreich reicht er als Kongolese namens Lukombo Dingamona ein Asylgesuch ein. Nach der Ablehnung dieses Gesuchs zieht er weiter nach Belgien. Im April 1998 kommt er in die Schweiz. Hier beantragt er unter seinem richtigen Namen Asyl.
Die Asylbehörden weisen ihn dem Durchgangszen-trum Affoltern am Albis zu. Die 91 Franken, die er pro Woche erhält, reichen nicht zum Leben. Er geht nach Zürich, wird wiederholt im Langstrassenquartier angehalten. Bei den Verhaftungen findet man des öfteren kleine Mengen Drogen. Als auch noch ein Natel auftaucht, das vor seiner Einreise in die Schweiz geklaut worden ist, klagt man Lombesi der Hehlerei an. Am 12. August 1998 verhängt die Fremdenpolizei ein Rayonverbot. Lombesi darf die Stadt Zürich nicht mehr betreten. Im Durchgangszentrum Affoltern hat er Hausverbot, weil er mehrere Tage nicht im Heim übernachtet hat. Das Aufgebot zur Asylbefragung wird vom DZ ans BFF zurückgeschickt. Dieses tritt darauf nicht auf das Asylgesuch Lombesis ein.
Am 31. August 1998 wird Lukombo Lombesi in Aussersihl verhaftet, zu 30 Tagen bedingt wegen des Ver-stosses gegen das Rayonverbot verurteilt und in Ausschaffungshaft genommen. Es beginnt der Spiessrutenlauf der Papierbeschaffung. Die angolanische Botschaft weigert sich für den Afrikaner, der kein portugiesisch spricht, ein Laisser-Passer auszustellen. Frepo und BFF konzentrieren sich nun darauf, den Mann als «Krypto-Kongolesen» zu enttarnen. Als aus Belgien die Information eintrifft, dass Lombesi sich dort als Lukombo Dingamona, ausgegeben hat, stellt die kongolesischen Botschaft im April 1999 ein Laisser-Passer aus. Doch die Zeit drängt. Die Ausschaffungshaft endet am 12. Mai 1999 - definitiv. Die Zürcher Kantonspolizei ordnet deshalb eine Level 3 - Ausschaffung an. Der Versuch, Lombesi mit «zivileren» Methoden nach Afrika zu bringen, wird gar nicht erst gestartet.
 
Level 3
Am Morgen des 9. Mai 1999 wird Lombesi aus der Zelle des Flughafengefängnis geholt. Man fesselt die Arme, steckt ihn in einen Polizeioverall, bindet die Füsse zusammen und schnallt ihn auf den Ausschaffungsrolli. Gegen 10 Uhr beginnt man mit dem «Kleben». Man zieht Lombesi einen Strumpf über den Kopf, fixiert den Mund mit einem straff über Schädel, Backen und Kiefer gezogenen Klebband. Weil Lombesi Probleme hat, durch die Nase zu atmen, entschliessen sich die Polizisten, beim Verkleben des Mundes eine für die Beatmung von Aids-Kranken entwickelt Mundplatte mit Röhrchen zu benutzen. Mit Klebband wird die Platte fixiert. Dann setzen die Polizisten dem völlig verdatterten Mann auch noch einen Sparringhelm auf. So wird Lombesi auf einen Sitzplatz im Heck des Swissair-Flugzeuges geschnallt, das an diesem Sonntag über Yaoundé nach Kinshasa fliegt. Ein Vorhang verdeckt die Sicht auf den verpackten Mann.
Zwei Stunden nach dem Kleben hebt die Swissair-Maschine von Flughafen Zürich-Kloten ab. Bereits nach einer Stunde spritzt der Speichel durch Lombesis Mundröhrchen. Um zu verhindern, dass Lombesi erstickt, müssen die Polizisten die Kleber abnehmen. Später darf er sogar aufs WC gehen. Irgendwo über der Sahara beginnt der Gefangene zu wimmern. Die begleitenden Polizisten sagen später, er habe «kill me» geschrien. Die Passagiere fangen an, sich für die Vorgänge hinter dem Vorhang zu interessieren. Um einen Aufruhr zu verhindern, hätten die Polizisten ihm zuerst den Mund zugedrückt, sagt Lombesi; dann habe man ihn von hinten gewürgt. Die Polizisten geben nur zu, dass sie dem ihm den Mund wieder zugeklebt haben - diesmal ohne Röhrchen. Anschliessend habe man ihn mit Kabelbindern an den Flugsessel geschnallt.
Drei Stunden sitzt Lombesi so fixiert in seinem Stuhl, hat Todesangst. Bei der Zwischenlandung in Yaoundé wirft ein Passagier einen Blick hinter den Vorhang. Beim Anblick des geknebelten Afrikaners schlägt der Passagier Alarm. Ein Tumult bricht aus. Flugreisende beschimpfen die Swissair-Crew als Rassisten. Zwei Flugbegleiter in Swissair-Uniformen müssen die Polizisten vor der aufgebrachten Menge schützen. Der Captain der Maschine kommt dazu. Sieht den Häftling. Ist geschockt über die barbarischen Methoden, die die Ausschaffer anwenden. Per Megafon ordnet er an, dass Lombesi sofort von seinen Fesseln zu befreien sei. Er lässt dem Gefangenen Trinkwasser bringen. Im Handgemenge erhält ein Polizist einen Kopfstoss der ihm das Nasenbein bricht. Sein Kollege will einen Faustschlag ins Gesicht erhalten haben. Der Captain fragt Lombesi, ob er in Yaoundé auf die Rückkehr der Maschine aus Kinshasa warten und dann nach Zürich zurückgebracht werden wolle. Er ist damit einverstanden.
Zwei Tage später wird Lombesi in Zürich aus der Haft entlassen. Er hat keine Papiere, soll sich wöchentlich bei der Fremdenpolizei melden. Von der Asylorganisation erhält er jede Woche 77 Franken. «augenauf» versucht den im Blick ausgeschriebenen Flüchtling ausserhalb von Zürich unterzubringen. Doch der traumatisierte Mann kehrt mit falschen Papieren an die Langstrasse zurück. Bei einer Kontrolle wird er am 23. Juni verhaftet, mit einer Portion Heroin zum Eigenkonsum.
 
U-Haft für Opfer
Wegen des gegen ihn laufenden Verfahrens-die Polizisten haben ausgesagt, dass Lombesi sie geschlagen habe - kommt er in Untersuchungshaft. Vier Monate später wird er entlassen. Der Bülacher Bezirksanwalt Peter Joho beantragt sechs Monate Haft gegen das Opfer.
Lombesi wird dem Durchgangszentrum Schlieren zugewiesen. Doch nun fällt der schwer traumatisierte Mann völlig von der Rolle. Mit kleinen Ladendiebstählen - vornehmlich Parfums - verschafft er sich Geld. Immer wieder läuft er den Detektiven und der Polizei in die Arme. Klage reiht sich an Klage. Nach der x-ten Festnahme wird er am 7. April 2000 wieder in U-Haft genommen. Nachdem das Bezirksgericht Zürich die Klage von Peter Joho im Februar zurückgewiesen und eine Untersuchung der Zurechnungsfähigkeit Lombesis zur Tatzeit im Flugzeug in Yaoundé angeordnet hat, übernimmt die Zürcher Bezirkanwältin Claudia Löffler das Verfahren. Lombesi bleibt in Haft. Am 1. September 2000 reicht Löffler die Anklage ein - noch bevor sie das medizinische Gutachten gesehen hat, das von einer schwer verminderten Zurechnungsfähigkeit Lombesis zur Tatzeit spricht. Der Antrag der Frau Löffler: 18 Monate wegen Raub, Gewalt- und Drohung gegen Beamte, Verstösse gegen das Betäubungsmittel- und das Ausländergesetz. Der Rechtsvertreter der Polizisten beantragt zudem für seine Mandaten eine Genugtuung von 500 und 1000 Franken. Das Gericht setzt die Hauptverhandlung auf Mittwoch, den 6. Dezember an. An diesem Tag findet in Bern die Ersatzwahl in den Bundesrat statt.
Die augenauf-Klage gegen die an der Ausschaffung von Lukombo Lombesi beteiligten Polizisten hat der Bülacher Bezirksanwalt inzwischen eingestellt. In den anderthalb Jahren hat er keine einzige Untersuchungshandlung getätigt. Die Klage gegen Rita Fuhrer als Auftraggeberin der Level 3-Ausschaffer hat die Geschäftsleitung des Zürcher Kantonsrates bereits am 11. November 1999 abgeschmettert, weil sie «offensichtlich unbegründet» sei. Nur im Fall Lombesi gegen Leiser gibt es einen Lichtblick. Der Rekurs gegen die Einstellungsverfügung von Bezirksanwalt Hans Maurer vom 5. April 2000 ist vom Bezirksgericht Zürich am 27. Juni 2000 gutgeheissen worden. Eine Anklage gegen den inzwischen aus dem Staatsdienst ausgetretenen Informa-tionschef der Kantonspolizei Zürich wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses ist allerdings bis heute noch nicht beim Gericht eingereicht worden.
 
Level 3 und Bundesrat
Für Lukombo Lombesi sieht die Lage zapenduster aus. Nach der Hauptverhandlung am 6. Dezember droht ihm die Ausschaffung in den Kongo. Mit Charter, Level 3 und Zürcher Kantonspolizisten. Und im Kongo? Dort erwartet ihn die Fortsetzung der Inhaftierung unter afrikanischen Bedingungen. Denn Level 3-Ausschaffungen, das zeigt die Erfahrung, sind faktisch Auslieferungen an die dortigen Sicherheitsbehörden.
Während Lombesi der Prozess gemacht wird, dürfte sich Regierungsrätin Rita Fuhrer in Bern aufhalten. Ein misshandelter Sans-Papier kann der Karriere einer Strahlefrau eben keinen Abbruch tun.

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