Bulletin Nr. 29; November 2000

Mit Privatjet nach Kinshasa

Ausschaffung in Kabilas Gefängnis

Erneut ist es den Beamten der Ausschaffungsmaschinerie gelungen, sich über sämtliche Regeln und Gesetze hinwegzusetzen. Drei Afrikaner sind nach einer Ausschaffung in den Gefängnissen Kongos verschwunden.
Die Demokratische Republik Kongo, vormals Zaire, gilt in Menschenrechtskreisen als ein heisses Pflaster. Ausschaffungen nach Kinshasa sind nach übereinstimmenden Aussagen von Amnesty International, dem UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) nur unter grösster Vorsicht möglich. Absolut verhindert werden müsse, dass Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen, GewerkschafterInnen, Medienschaffende, ehemalige Führungskräfte oder SympathisantInnen der Oppositionsparteien in die Hände kongolesischer Sicherheitskräfte geraten, schreiben die Organisationen in ihren aktuellen Länderberichten. Strikt zu vermeiden seien ausserdem Ausschaffungen von Personen, die einer der vom Kabila-Regime verfolgten Stammesgruppen zugerechnet werden könnten.
Da in absehbarer Zeit überhaupt keine Ausschaffungen in dieses Land mehr möglich sein werden, unternehmen die Beamten von BFF und der Zürcher Kantonspolizei alles, um vorher noch einige «Pendenzen» loszuwerden - und missachten dabei alle Warnungen und Weisungen.
 
Ausschaffung in Windeln
Am 11. August wird der Angolaner J.L. auf die Fremdenpolizei zitiert und dort verhaftet. Die Fremdenpolizei wollte ihn schon einmal unter einem anderen Namen in den Kongo ausschaffen, was jedoch nicht glückte. Diesmal werden sie mehr Erfolg haben. Er wird ins provisorische Polizeigefängnis (Propog) gebracht, ohne dass er mit seiner Rechtsvertreterin Kontakt aufnehmen kann. Auch seine Kleider und weitere Habe darf er nicht mehr abholen. Das Geld, das er bei sich trägt, wird ihm abgenommen. Am Montag 14. August wird er zusammen den beiden Kongolesen V.K. und J.M., die schon länger im Zürcher Ausschaffungsgefängnis einsitzen, für den Abflug präpariert. Die drei Afrikaner müssen sich vollständig entkleiden, danach werden ihnen Windeln angezogen. Was sie danach noch an Kleidern wieder anziehen dürfen, entzieht sich unserer Kenntnis. Schliesslich werden die drei im üblichen Stil für eine Ausschaffung Level 3 gefesselt.
 
Hat Rita Fuhrer den Kantonsrat belogen?
Gemäss Aussagen der drei Gefangenen sind sie mit einem Mundschutz gekebelt worden, um ihr Schreien zu verhindern. Knebelung? Wir erinnern uns: Nach dem Tod von Khaled Abuzarifa, der am 8. März 1998 bei seiner Ausschaffung auf dem Flughafen Kloten an seinen Knebelungen erstickte, liess die Zürcher Polizei verlauten, sie benütze fortan einen eigens entwickelten Ausschaffungshelm mit eingebautem «Mundschutz». Seit September 1999 soll dieser Helm allerdings nicht mehr in Gebrauch sein, wie Rita Fuhrer das Zürcher Kantonsparlament kürzlich informierte, sondern es würden nur noch «normale» Boxerhelme eingesetzt. Bei der Anfrage im Kantonsrat ging es um die Intervention von Amnesty International, die vor allem den Mundverschluss kritisiert haben. Ob nun Rita Fuhrer einfach nicht weiss, was ihre Mannen und Frauen treiben, oder nicht ganz wahrheitsgemäss antwortete, liess sich bisher noch nicht feststellen.
 
Misshandlung im Charterflugzeug nach Afrika
Die Ausschaffung der drei Afrikaner wird mit einem kleinen Charterflugzeug der Firma SkyWork AG mit Sitz am Flughafen Bern-Belpmoos durchgeführt. Andere Fluggesellschaften in der Schweiz weigern sich inzwischen aus Image- oder Sicherheitsgründen solche Ausschaffungen noch zu vollziehen. Die drei Afrikaner werden von sechs Polizeibeamten begleitet und bleiben während des ganzen Transportes gefesselt und geknebelt. Nur für eine kurze Nahrungsaufnahme wird ihnen der Mundschutz entfernt. Die Betroffenen sagen später, sie wurden während des Fluges bedroht und gefoltert (wobei dies nicht näher spezifiziert ist). Die sechs Polizisten seien maskiert gewesen.
 
Zwischenlandung in Niger
Der Ausschaffungsjet fliegt nach Niamey, Niger. Die Schweizer Beamten versuchen dort allem Anschein nach, die drei Afrikaner der örtlichen Polizei zu übergeben, was jedoch aus unbekannten Gründen misslingt. Die Behörden Nigers verweigern den Ausstieg der Ausgeschafften. Nach diesem Misserfolg wird entschieden, selbst nach Kinshasa weiterzufliegen. Die weiteren Ereignisse lassen vermuten, dass dieser Weiterflug vorher nicht geplant war.
 
Gefährliche Landung in Kinshasa
Kinshasa ist beim Flugpersonal keine beliebte Destination. Öfters liefern sich verfeindete Milizen ihre Gefechte ausgerechnet im Bereich der Anflugschneise. Die Swissair entwickelte deshalb für ihre Flüge dorthin ein spezielles Verfahren: Bei der Zwischenlandung in Yaoundé wird abgeklärt, ob ein Weiterflug mit vertretbarem Risiko überhaupt durchgeführt werden kann. Scheint die Lage ruhig, so verläuft der Aufenthalt in Kinshasa im Minutentakt: Landen, ausladen, neue Passagiere an Bord und sofort wieder starten - im Fachjargon nennt man das einen «Quick Turn-around».
Als nun das kleine Privatflugzeug aus der Schweiz am 14. August in Kinshasa aufsetzt, bereitet man den Insassen und Piloten der Maschine nicht gerade eine freundlichen Empfang. Einer der Auschaffungspassagiere vermutet, die Landeerlaubnis sei durch Angabe einer falschen Identifikation erteilt worden. Das habe auf dem Flughafen Kinshasa einen Sicherheitsalarm ausgelöst. Als die kongolesischen Behörden dann noch die schwer gefesselten Gefangenen sehen, erteilen sie den Sicherheitskräften den Befehl zur Festnahme sämtlicher Insassen. Erst aufgrund einer Intervention der Schweizer Botschaft in Kinshasa werden schliesslich die Polizisten und die Piloten wieder freigelassen. Der Angolaner J.L. und die beiden Kongolesen V.K. und J.M. bleiben in Haft. augenauf hat von dritter Seite erfahren, dass dieser Zwischenfall sehr schnell im ganzen Flughafen bekannt wurde. Gerüchteweise wurde herumgeboten, die gefesselten Kongolesen hätten in der Schweiz Gelder von Mobuto abholen wollen. Die Herkunft dieser Gerüchte liess sich bisher nicht klären, es ist jedoch nicht auszuschliessen, dass auch die verhafteten Schweizer Beamten ein Interesse daran hatten, eine Rechtfertigung für die harte Behandlung ihrer afrikanischen Gefangenen zu finden.
 
Vom Ausschaffungsgefängnis in Kabilas Kerker
Seit ihrer Landung am 14. August 2000 werden die drei Afrikaner von der Agence national de Renseignement (A.N.R.) gefangengehalten, verhört und gemäss eigenen Angaben gefoltert. A.N.R. ist einer der Geheimdienste, der für die massiven Menschenrechtsverletzungen im Kongo die Hauptverantwortung trägt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Gefangenen ohne Kleidung und Geld ausgeliefert wurden. In diesen Gefängnissen müssen jedoch die Insassen für ihre Ernährung und Kleidung selbst sorgen. Was den Inhaftierten konkret vorgeworfen wird, ist bislang nicht bekannt geworden. Der Angolaner J.L. ist inzwischen ins Militärgefängnis Makala verlegt worden. Dies ist auf jeden Fall Anlass zur Besorgnis, zumal er nicht unter seinem richtigen Namen, sondern unter dem Namen von A.B. ausgeschafft wurde. Dieser Name wird gemäss eines Informanten von augenauf in Kinshasa in den Zusammenhang mit dem Exdiktator Mobutu gebracht.
Der genaue Aufenthaltsort der anderen beiden Deportierten ist nicht bestätigt, aber auch in diesen Fällen gibt es keine Grundlage für eine optimistische Prognose. Nachdem uns anfänglich noch kurze Briefe erreichten, ist der Kontakt seit Mitte September abgebrochen. Mindestens von einem der Afrikaner kann mit Sicherheit gesagt werden, dass er sich melden würde, sobald er frei ist, da er ja noch seine Habe in der Schweiz zurückgelassen hat, um die sich nun seine Rechtsvertreterin kümmert.
 
Die Behörden stellen sich stumm
Die Reaktion der Schweizer Behörden auf Anfragen der Rechtsvertretung und von augenauf zeigt die Arroganz, mit der die Ausschaffungsbürokraten des BFF und die ausführende Kantonspolizei Zürich an die Arbeit gehen, wenn es darum geht, unerwünschte Afrikaner abzuschieben.
Die Rechtsvertreterin des Angolaners J.L. hat sich nach seinem Verschwinden am 11. August nach dessen Aufenthalt erkundigt, jedoch keine Antwort erhalten. augenauf ist am 29. August von dritter Seite informiert worden, dass sich der Gesuchte in Kinshasa in Sicherheitshaft befindet.
Am 5. September hat sich augenauf an den Direktor des BFF, Jean-Daniel Gerber gewandt, um mitzuteilen, dass sich die drei Ausgeschafften in Haft befinden. Es wurden unsererseits Massnahmen zur Befreiung und Rückführung in die Schweiz gefordert.
Am 12. September erhielt augenauf eine Empfangsbestätigung des BFF, die «in den nächsten Tagen eine formelle Antwort» versprach. Unterschrieben war das Papier vom Sektionschef der Abteilung Vollzugsunterstützung, Laurent Perriard.
Am 15. September forderte augenauf das Bundesamt schriftlich auf, mindestens bis zur detaillierten Abklärung des Verbleibs der drei ausgeschafften Afrikaner eine Sistierung weiterer Ausschaffungen nach Kongo zu erlassen. Am 22. September informierten wir die Medien in einer Pressekonferenz über den Vorfall. Unsere Forderungen:
- Sofortiger Ausschaffungsstop in die Demokratische Republik Kongo
- Sofortiger Stop aller Ausschaffungen Level 3
- Einstellung und Ahndung der Folterpraktiken Atmungsbehindernde Massnahmen, Vollständiges Entkleiden und Verwendung von Windeln, Einsatz von maskierten Beamten für Ausschaffungen)
- Freilassung und Rücktransport der drei Afrikaner in die Schweiz
- Unabhängige Untersuchung gegen die betroffenen Ämter
Das BFF wollte zu unseren Vorwürfen keine Stellung beziehen. Da das Bundesamt unsere Angaben nicht einmal bestätigte, waren die Medien nicht bereit, über diese brisante Geschichte zu berichten.
Am 4. Oktober erreicht augenauf endlich ein Schreiben des Bundesamtes. Darin wird mit allgemeinen Ausführungen zur geforderten Sistierung von Ausschaffungen Stellung genommen: «Die rechtlich geltenden Vorschriften sehen vor, dass jede Rückführung aufgrund einer individuellen gründlichen Evaluation entschieden werden muss. Mit anderen Worten heisst das, dass das Bundesamt für Flüchtlinge keine Rückführung durchführen wird, wenn es zum Schluss kommt, dass die rückzuführende Person bei der Ankunft in ihrem Heimatland einem Risiko unterstehen würde. Unsere Praxis ist somit fallbezogen und die Rückführungen werden entsprechend vorgenommen. Somit ist eine generelle Sistierung der Rückführung nach der Demokratischen Republik Kongo nicht in Betracht zu ziehen.»
Unterzeichnet ist das Papier wiederum von Herrn Perriard. Über den konkreten Fall, der seine Ausführungen Lügen straft, verliert er kein Wort, entgegen seinem inzwischen drei Wochen alten Versprechen.
Von den drei Afrikanern fehlt seit Mitte September jede Meldung. Dies kann kaum als gutes Zeichen betrachtet werden, es wären nicht die ersten, die in diesem bürgerkriegsgeplagten Land im Gefängnis verschwinden.

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