Bulletin Nr. 27; März 2000

Verschärfte Innenstadtpolitik in Zürich

Der Stadelhofen - Ein gefährlicher Ort?

Ein Beispiel für die verschärfte Innenstadtpolitik ist die Situation beim «Stadelhofer-Park», wo aus einer Gruppe herumhängender Jugendlicher plötzlich ein neuer Platzspitz, und aus dem Sitzen auf einer öffentlichen Bank ein krimineller Akt wird. In regelmässigen Abständen ist der Park am Bahnhof Stadelhofen – oder viel mehr die Jugendlichen und die Handvoll Alkis, die diesen Ort zu ihrem Treffpunkt erkoren haben – ein Thema in den Medien. Auch die umliegenden Geschäfte, die Polizei und das Sozialdepartement haben den Stadelhofen zu ihrem Dauerthema gemacht.
Ein grosser Teil der Besitzer umliegender Geschäfte laufen schon seit längerer Zeit Amok gegen die ungeliebten BenutzerInnen des Parks. Verschiedene Journalisten spielen brav ihre Rolle und lassen jegliche Objektivität vermissen. Da werden ein Plastik-WC, ein pinkelnder Alki, kläffende Hunde und eine Gruppe Jugendlicher mit bunten Haaren zu einer allgemeinen Bedrohung für den sozialen Frieden in Zürich hochstilisiert. Der Stadelhofen wird inzwischen in einem Atemzug mit dem Platzspitz oder dem Letten genannt; ein widersinniger Vergleich. Polizeikontrollen der BenutzerInnen sind seit langem an der Tagesordnung. So wird schon einmal eine Minderjährige mit Handschellen (!) abgeführt, nur weil der Hund nicht an der Leine war oder weil eine Bussenverfügung noch nicht abgeholt wurde. Damit wird das Bild einer äusserst gefährlichen Szene geschaffen. Ein Bild, welches helfen soll, das Vorgehen und die Repression seitens der Polizei zu legitimieren.
 
Die Realität sieht anders aus
Die Realität am Stadelhofen sieht jedoch anders aus. Täglich treffen sich auf dem Platz etwa 15 bis 30 Personen unterschiedlichster Couleur. Vom obdachlosen Alki über den Punk bis hin zur Gymnasiastin stellt der Park einen Treffpunkt dar, wo jeder und jede akzeptiert ist. Im Gespräch sind sich alle Betroffenen darüber einig, dass es nie irgendwelche nennenswerten Probleme mit PassantInnen oder den umliegenden Geschäften gegeben hat. Zwar kann es schon mal sein, dass jemand zu viel getrunken hat und an einen Baum pinkelt, der Grossteil der BenutzerInnen verhält sich aber unauffällig. Für sie ist der Stadelhofen ein Treffpunkt im Freien ohne Konsumzwang. Dem gesunden Menschenverstand fällt es schwer, die Reaktion des Gewerbes und der Behörden nachzuvollziehen.
 
Angriff von Rechtsradikalen im August
Der einzige schwerwiegende Vorfall am Stadelhofen im letzten Jahr war ein Angriff von Rechtsradikalen. Etwa 20 bis 30 Hooligans und Skinheads griffen im August am späten Abend die Leute auf dem Platz an und verletzten dabei mehrere Personen. Am schwersten traf es einen 17jährigen Punk, welcher einen Schädelbruch erlitt und mehrere Wochen im Spital lag. Der Tages-Anzeiger und der Züri-Express spielten in der Berichterstattung darüber eine fragwürdige Rolle. So wurde der Neonazi-Angriff kurzerhand unter «Bandenkrieg zwischen Punks und Skins» abgehandelt.
Es wurde schlichtweg unterschlagen, dass es zwischen den beiden Gruppen nie zuvor Rivalitäten gegeben hat, dass sie sich nicht einmal kannten, und dass es ein gezielter Angriff seitens der Rechtsradikalen war – wie im übrigen auch die Polizei bestätigte. Diese Art Berichterstattung wurde nicht ganz ohne Grund betrieben, da beide Zeitungen mit ihrer Hetze im Vorfeld das Terrain für den Angriff vorbereitet hatten.
 
Druck über die Eltern
Alle Jugendlichen unter 18 Jahren, welche im Park angetroffen werden, meldet die Polizei den Heimatgemeinden. Einige Jugendlichen (unter anderem mehrere GymnasiastInnen) wurden samt ihren Eltern von der jeweiligen Vormundschaftsbehörde zu einem Gespräch vorgeladen. Einigen unter ihnen wurde ausserdem mit einem Beistand und mit Heimeinweisung gedroht, falls sie noch einmal am Stadelhofen angetroffen würden. Der Umstand, sich im Stadelhofen-Park aufzuhalten führt scheinbar automatisch zur Annahme, verwahrlost, alkoholiker und drogenabhängig zu sein. Nach dieser Logik müssten wohl mit sofortiger Wirkung sämtliche Techno-Discos und Kneipen, wo sich Jugendliche treffen, geschlossen werden. Glücklicherweise haben nicht alle Eltern Verständnis für dieses Vorgehen der Behörden und reagieren dementsprechend.
 
Ausschaffung von deutschen Punks
In den letzten Wochen wurden mehrere Punks aus Deutschland bei Kontrollen am Stadelhofen aufgegriffen und aus der Schweiz ausgewiesen. Vielfach waren sie bei Bekannten in der Schweiz zu Besuch oder haben ein/e FreundIn hier. Obwohl keine strafbare Handlung vorlag und die Personen sich ausweisen konnten, wurden sie unter der Begründung der Mittellosigkeit oder gar der Verwahrlosung ausgewiesen. Teilweise gab es zusätzlich noch einen mehrjährigen Landesverweis.
 
Gewerbe macht Druck
Vor allem das Gewerbe macht immer massiver mobil gegen die Stadelhofer-Szene. Dem Gewerbe ist das Vorgehen seitens der Stadt und der Polizei viel zu lasch und es wird inzwischen offen gefordert (NZZ vom 4.2.00), dass die Jugendlichen und die Alkis mit allen Mitteln vom Stadelhofen vertrieben werden. Es ist sogar die Gründung einer Vereinigung geplant, eigens um die Leute vom Stadelhofen zu vertreiben. Die Gewerbetreibenden drohenmittlerweile damit, keine Steuern mehr zu bezahlen, bis die Szene weg ist. Ob sich die Stadt auf so plumpe Art und Weise erpressen lässt, wird die Zukunft zeigen.
 
Patrouillen von Polizei und SozialarbeiterInnen?
Seit geraumer Zeit laufen Gespräche zwischen der Polizei, dem Gewerbe und dem Sozialdepartement. Positive Lösungsansätze zugunsten der Betroffenen sind aber keine in Sicht. Unter anderem werden – ähnlich wie bei der Bäckeranlage – der Einsatz von Securitas-Wächtern oder gar gemischte Patrouillen von Polizei und SozialarbeiterInnen ins Auge gefasst. Solange die Polizei im Rahmen der Legalität handelt, wird es ihr wohl nicht möglich sein, die Menschen einfach so aus dem Park zu vertreiben. Schwieriger auch als bei anderen Szenen, wie zB. der bei in der Bäckeranlage, bei der auf ein grösseres Repertoir repressiver Möglichkeiten (z.B. die Verzeigung wegen Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz) zurückgegriffen werden kann, wird es schwierig sein, die Leute einfach so vom Platz wegzukriegen.
Die Benutzung eines öffentliches Parks ist noch keine strafbare Handlung. Dass der Stadelhofen eine wichtige Funktion für die BenutzerInnen hat, wird ignoriert. Während in anderen europäischen Grossstädten solche Orte toleriert werden, scheint es in Zürich keinen Goodwill zu geben. Bisher kam es auch zu keinem direkten Dialog mit den ParkbenutzerInnen, trotz mehrfachem Vorschlag von Seiten der Sozialtätigen. Dies verwundert nicht, da an einer echten Lösung scheinbar niemand interessiert ist. Es geht nur noch darum, wie man die Leute am besten vom Stadelhofen weg bekommt. Eine objektive Sichtweise und eine realistische Einschätzung der Situation existiert nicht. Es wird weiter wacker mit Kanonen auf Tauben geschossen.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Zurück zum Archiv

URL dieser Seite