Bulletin Nr. 27; März 2000

Polizeigewalt und Medienhetze gegen BesetzerInnen in St. Gallen

Im Oktober und November letzten Jahres wurden in St. Gallen zwei leerstehende Häuser von Leuten besetzt, die für eine Autonome Kulturwerkstatt (AKW) kämpfen. Sie wollen einen Treffpunkt ohne Konsumzwang mit Raum für eigene Kultur. Beide Besetzungen endeten mit Polizeigewalt und einem juristischen Nachspiel gegen die BesetzerInnen, die friedlich auf ihre Anliegen aufmerksam machen wollten, während die Lokalpresse das Feindbild der «gewaltbereiten Jugendlichen» pflegte.
Die erste Besetzung galt der privaten Liegenschaft Bavaria. In der Nacht des 30. Oktobers 1999 wurde die seit Jahren leerstehende und dem Zerfall überlassene Liegenschaft von etwa 30 Jugendlichen besetzt. Die BesetzerInnen forderten einen Treffpunkt «an der Wärme für Jung und Alt, wo wir uns jederzeit, ohne Konsumzwang und aufdiktierten Regeln treffen können; Wohn-, Kultur-, Lebens- und Freizeitraum; Freiraum, mit Preisniveau für jedermensch».
Am nächsten Morgen stellte die Polizei das Ultimatum, die Liegenschaft bis 19 Uhr zu verlassen. Das Haus wurde von mindestens 20 Polizisten abgesperrt und Fussgänger aufgefordert, in eine andere Richtung zu gehen. Im Umkreis von mehr als einem Kilometer patrouillierten Zivilpolizisten, um eventuelle SympathisantInnen zu kontrollieren und wegzuschicken. Die Leute im Haus waren somit isoliert. Nachdem die BesetzerInnen vergeblich Verhandlungen gefordert hatten, stürmten kurz nach 23 Uhr Polizeigrenadiere das Haus.
18 BesetzerInnen befanden sich zu diesem Zeitpunkt noch im Haus. Ihr Bericht gegenüber augenauf: «Trotz friedlichem Verhalten unsererseits, wurden wir hart angefasst. In Handschellen oder im Klettverschluss gefesselt, wurden viele auf den Boden geworfen, mit dem Gesicht nach unten, das Knie eines Polizisten im Kreuz. Hundebesitzern wurde mit der Tötung ihrer Tiere gedroht, ein 16-jähriges Mädchen an den Haaren gezerrt. Liegende Personen wurden an ihrer Fesselung hochgerissen.» Auf dem Polizeiposten mussten sie sich beleidigende Ausdrücke gefallen lassen. Jenen, die die Aussage verweigern wollten, wurde mit wesentlich höheren Strafen gedroht.
Das Nachspiel: Drei weitere Besetzungsversuche im Bavaria scheiterten, im Dezember wurde die Liegenschaft plötzlich abgerissen. Eine Schadenersatzforderung für die inzwischen abgerissene Liegenschaft sowie die Anzeigen wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch bleiben bestehen.
 
Brutales Vorgehen der Polizei
Die zweite Besetzung betraf die unverschlossene Liegenschaft Tellstr. 20, die im Besitz der Stadt ist. Diese seit Jahren dem Zerfall überlassene und ungenutzte Liegenschaft wurde am 20. November 1999 von etwa 50 Jugendlichen besetzt. Kurze Zeit nach den BesetzerInnen war die Polizei vor Ort, umzingelte das Haus und wies private Beobachter weg. Es folgte dann ein ähnliches Prozedere wie im Fall Bavaria. Gegen Leute, die das Haus verliessen wurde Strafanzeige erhoben. Die Polizei reagierte nicht auf Versuche der BesetzerInnen, Verhandlungen aufzunehmen. Weder der Kulturbeauftragte der Stadt noch der Stadtamman zeigten Verhandlungsbereitschaft. Dafür fand der städtische Liegenschaftsverwalter Zeit, persönlich den Polizeiposten aufzusuchen, um ein Räumungsbegehren zu unterzeichnen.
Nach einigem Hin und Her stellte die Polizei ein neues Ultimatum und versprach bei dessen Einhaltung freien Abzug. Dieses Versprechen wurde allerdings nicht eingehalten. Auf der Strasse wurden die BesetzerInnen sofort von der Polizei eingekreist. Die BesetzerInnen berichteten augenauf, was dann geschah: «Ohne Warnung wurden plötzlich Pfeffersprays, Schlagstöcke, blosse Fäuste und Schuhspitzen eingesetzt.[...] Die Polizei hatte freie Hand (die Öffentlichkeit war schon lange weggejagt worden). [...] Ein Polizist musste gar von mehreren ‘Kameraden’ weggeschleppt werden, da dieser nicht aufhören konnte, auf einen widerstandslosen 18-Jährigen einzuprügeln. Während der ganzen Fahrt [auf den Posten] wurden Leute (in Handschellen!) geschlagen und bedroht.» Es fielen Äusserungen wie «das nächste mal schicken wir erst die Rechtsradikalen» und «den bringen wir in die Gaskammer».
Noch im Polizeigebäude wurden Leute geschlagen. Bei Aussageverweigerung wurde mit Prügel und Isolationshaft gedroht. Hinzu kommen Strafanzeigen unter anderem wegen Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, und wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte.
Die BesetzerInnen fordern nun unter dem Namen «AKW-Gruppe» unter anderem folgendes: einen «Rückzug sämtlicher Strafanzeigen gegen die BesetzerInnen», «Einen (nicht durch die Polizei) geschützten Treffpunkt an der Wärme für Jung und Alt», «Wohn-, Kultur-, Lebens- und Freizeitraum». Das brutale Vorgehen der Polizei wurde in den Medien gerechtfertigt mit Schlagzeilen wie «Comeback des Teeny-Terrors», «Knüppel und Ketten schwingende Jugendliche versuchten mehrmals Polizeisperren zu durchbrechen». Der Kommandant der Stadtpolizei St. Gallen, Pius Valier, erklärte im St. Galler Tagblatt: «Wenn die Polizei eine Aktion durchführt, zeigt sie Entschlossenheit und macht von Beginn weg klar, wie die Stärkenverhältnisse sind.»
Die Stadt St. Gallen ist offensichtlich nicht an Alternativen zum kommerziellen Alltag oder an friedlichen Initiativen der Bevölkerung interessiert, sie antwortet stattdessen mit Repression.
augenauf St. Gallen
 
 
Im Osten nichts Neues
Am 15. September 1999 wurde in St. Gallen der Verein «augenauf» gegründet,
- weil auch Flüchtlinge, welche in die Empfangsstelle nach Kreuzlingen gebracht werden, mit unmenschlichen Fristen und einem fremden Gesetz konfroniert werden
- weil auch im Ausschaffungs-Gefängnis in Widnau Menschen eingesperrt werden, ohne eine kriminelle Handlung verübt zu haben
- weil auch hier der Haftrichter Ausschaffungen über sogenannte Dritt-Länder vornimmt, und sich auch hier niemand fragt, mit welchen Mitteln die Deportierten «überzeugt» werden, einer weiteren Ausschaffung nichts entgegenzurichten
- weil auch hier Asylmissbrauch existiert! Hauptsächlich durch die SVP und Konsorten, welche Asylsuchende für ihre politischen Spielchen, Hetzereien und den Stimmenfang missbrauchen
- weil auch hier AusländerInnen von der Polizei durch häufige Personenkontrollen, Hausdurchsuchungen und ähnliches schikaniert werden
Aus diesen und noch vielen anderen Gründen haben wir uns entschieden, auch in St. Gallen die Augen aufzutun und gemeinsam die Interessen ausländischer MitbürgerInnen und marginalisierter SchweizerInnen wahrzunehmen.
Im Moment sind wir nur über unser Postfach erreichbar. Für Menschen welche unsere Hilfe in Anspruch nehmen wollen, um polizeiliche und behördliche Übergriffe oder anderes zu melden.


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