Bulletin Nr. 25; Juli 1999

Dieser Artikel erschien in der Juniausgabe von CARF (Campaign Against Racism and Fascism)

Lizenz zum Töten

Es ist schon wieder geschehen: Ein weiterer Abgeschobener ist in Europa gestorben

Der Erstickungstod des nigerianischen Asylbewerbers Marcus Omafuma während seiner Ausschaffung aus Österreich am 1. Mai war unvermeidlich. Dies deshalb, weil europäische Regierungen immer häufiger die Haltung einnehmen, es sei akzeptabel, dass man Menschen, die man ausgeschaffen will, Ketten anlegt und sie knebelt, dass man sie medikamentös ruhigstellt und dass man ihnen Kissen ins Gesicht drückt. Diese Regierungen gehen davon aus, dass Todesfälle und schwere Verletzungen nun einmal der Preis seien, der für das Festhalten an einer harten Ausschaffungs-Politik zu bezahlen sei. Im September 1998 wurde Semira Adamu während ihrer Ausschaffung nach Togo von Polizeibeamten getötet, die ihr ein Kissen aufs Gesicht drückten. Dieses Ereignis führte zum Rücktritt des belgischen Innenministers Louis Tobback. Es bleibt abzuwarten, ob der österreichische sozialdemokratische Innenminister Karl Schlögl die Prostestwelle nach dem Tod von Omafuma übersteht. Omafuma wurde auf dem Balkan-Air Flug von Wien nach Sofia in Ketten gelegt und sein Mund mit Klebestreifen zugeklebt. Schlögls Ministerium liesst mitteilen es tue ihm sehr leid aber der Tod von Omafuma sei durch dessen “starken Widerstand” verursacht worden, er habe ausserdem so viel Lärm gemacht, dass das Kabinenpersonal darauf bestanden habe, dass er zum Schweigen gebracht werde; da sie andernfalls nicht mit ihm fliegen würden. Wiener Flughafenpersonal bestreitet, dass Omafuma gewalttätig gewesen sei. Aber Schlögl hat klar gemacht, dass er nicht vorhabe zurückzutreten und gemäss Meinungsumfragen hat er 88% des Landes hinter sich.
 
Polizisten, die Menschen umbringen müssen vor Gericht
Omafuma ist das fünfte aktenkundige Ausschaffungs-Todesopfer seit 1991 (siehe Aufführung am Schluss dieses Artikels). Wahrscheinlich sind es aber viel mehr. Gemäss Amnesty International starben 1982 ein Marokkaner und 1987 ein Zairer als Folge der sogenannten “Kissen-Technik” die bei Ausschaffungen angewandt wird. Was ist mit den hinterbliebenen Familien von Semira Adamu, Kola Bankole, Joy Gardner, Arumugam Kanapathipillai und Omafuma? Haben sie Gerechtigkeit erhalten? Bis heute ist kein einziges Mitglied der Ausschaffungspolizei erfolgreich gerichtlich wegen Totschlags (geschweige denn wegen Mord) belangt worden. In England wo eine gerichtliche Untersuchung zum Tod von Joy Gardner ö nach sechs Jahren - erst noch stattfinden muss, engagieren sich in der Sache Anwälte, die im Namen ihres Sohnes handeln. Dieser ist durch den Tod seiner Mutter traumatisiert. Er war fünf Jahre alt, als er zusehen musste, wie seine Mutter von einem Ausschaffungskommando gefesselt und geknebelt wurde.
Der bereits erwähnte Fall von Omafuma hat bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit dem Fall des tamilischen Asylbewerbers Arumugam Kanapathipillai dessen Tod in Frankreich 1991 später vertuscht wurde. Wie Omafuma starb auch Kanapathipillai durch Ersticken als man ihn in ein Flugzeug nach Colombo zwang und ihn dabei knebelte und in ein Tuch wickelte. Acht Jahre später ist das Verfahren gegen die Polizisten, die Kanapathipillai umgebracht haben, noch immer nicht vor Gericht verhandelt worden. Obwohl das österreichische Innenministerium eine gründliche Untersuchung des Todes von Omafuma versprochen hat, erwartet niemand, dass dadurch Gerechtigkeit geschaffen wird. Das Innenministerium hat bereits seine eigenen Untersuchungen unterminiert indem es die Behauptung in Umlauf setzte, Omafuma hätte die drei Polizisten, die ihn ausschaffen sollten, gebissen. Dies obwohl in den ursprünglich gemachten Aussagen der betreffenden Polizisten davon nicht die Rede ist. Diese Polizisten wurden nicht einmal für die Zeit der Untersuchung suspendiert. Gleichzeitig warten in Belgien AntirassistInnen seit über sechs Monaten auf die Ergebnisse der gerichtlichen Untersuchung des Todes von Semira Adamu und auf Informationen über allfällige Schritte, die gegen die beiden verantwortlichen Polizisten unternommen werden.
 
“Bessere” Ausbildung ist keine Lösung
Anstelle eines sofortigen Stopps von gewaltsamen Ausschaffungen behaupten europäische Regierungen es brauche bloss eine bessere Ausbildung der Polizisten, als ob die effiziente Anwendung von staatlich organisierter Gewalt die Antwort wäre. Das österreichische Innenministerium hat angekündigt, dass in Zukunft die besser ausgerüstete Anti-Terror- und Aufstandsbekämpfungspolizei, WEGA, Ausschaffungen vornehmen wird. Ein grosser Anteil der Mitglieder von WEGA unterstützt die rechtsextreme Freiheitspartei.
Belgische Anti-AusschaffungsaktivistInnen sind besonders kritisch eingestellt gegenüber einem Philosophieprofessor, der sich einverstanden erklärt hat, ein staatliches Komitee zu präsidieren das entscheiden soll in welchem Fall die Anwendung von Gewalt gerechtfertigt ist und das ausserdem die Ausbildung der Polzei in Ausschaffungstechniken leiten soll. Der Einbezug von AkademikerInnen in staatliche Komitees zum Thema Asyl und Ausschaffung ist nicht neu. Kürzlich hat sich Heleen Dupuis, eine Ethik-Professorin an der Universität Leiden, mit einer Streitschrift gegen AsylbewerberInnen geäussert und die sofortige Schliessung der holländischen Grenzen gefordert; dies um die Öffentlichkeit vor angeblich missbräuchlichen Forderungen von Leuten zu schützen die “in Boeings ins Land kommen und die nicht wirklich in Not sind”.1993 war Dupuis Mitglied eines Komitees zum Thema Ausschaffungen, das gebildet wurde nachdem ein asylsuchender Mensch aus Rumänien einen Hirnschaden erlitten hatte nachdem ihm während eines Ausschaffungsversuchs der Mund zugeklebt wurde.
 
Es regt sich Widerstand
In England wehren sich Beamte von Immigrationsbehörden gegen ihren Einbezug in den Ausschaffungsprozess. Die englische ISU, die Gewerkschaft dieser Beamten lehnen Vorschläge der Regierung ab, dass ihre Mitglieder in Zwangstechniken und im Einsatz von Tränengas ausgebildet werden, die es ihnen ermöglichen sollen, Verhaftungen und Ausschaffungen auszuführen. Österreichische AktivistInnen haben zu Tausenden demonstriert und das Hauptquartier der Sozialdemokraten besetzt. Sie haben ausserdem eine Manchwache vor dem Innenministerium angekündigt, die erst aufhören soll wenn Schlögl zurückgetreten ist. Dies hat dazu geführt, dass die Regierung einen vorläufigen Ausschaffungsstopp angekündigt hat. Aber der Druck muss aufrechterhalten werden. Nach dem Tod von Semira Adamu hat die belgische Regierung einen zweimonatigen Ausschaffungsstopp angeordnet. Einen Monat später wollte die Polizei eine zwanzigjährige schwangere ruandesische Frau ausschaffen. Der Ausschaffungversuch scheiterte, aber die Frau hatte eine Fehlgeburt.
Österreichische Fluggesellschaften sind das nächste Ziel der AktivistInnen. Seit 1996 hat der Druck auf Fluggesellschaften in Europa zugenommen. Damals hat das niederländische Autonoom Centre die Fluggesellschaft Martinair besetzt und damit erreicht, dass die Gesellschaft mit Gruppenauschaffungen nach Zaire und in die Dominikanische Republik aufhören musste. Ähnliche Proteste in Frankreich haben zu einem totalen Ausschaffungstopp nach Mali durch Air France und Air Afrique geführt. Im Oktober haben etwa Tausend Flughafenangestellte in einem beispiellosen Solidaritätsakt auf dem nationalen Flughafen in Brüssel an einer Kundgebung teilgenommen. Zusammen mit den Mitgliedern des Collectif Contre les Expulsions haben sie eine Minute lang im Gedenken an Semira Adamu geschwiegen. Niederländische AntirassistInnen haben ihre Aufmerksamkeit der KLM-Fluggesellschaft zugewandt, die jahrlich fast 2000 Ausschaffungen vom Schiphol-Flughafen in Amsterdam aus vollzieht. Bis jetzt hat die KLM auf die Proteste des Autonoom Centre arrogant reagiert und gesagt, dass als Unternehmen ihre Prioritäten durch die ökonomische Realität diktiert seien. Möglicherweise wird die KLM ihre Arroganz bereuen. An der einmal jährlich stattfindenden Tourismus-Messe in Utrecht hat das Autonoom Centre die KLM in grosse Verlegenheit gebracht, indem es auf die oben genannten Praktiken der KLM hingewiesen hat. Einige Protestierende, die sich mit KLM-Pilotenuniformen verkleidet hatten, schafften es, die Presse und die Öffentlichkeit glauben zu machen, sie seien KLM-Angestellte, die empört sind über die Beteiligung der KLM an Ausschaffungen.
Die Lösung die Belgien nun anwendet, und die von anderen Staaten kopiert werden könnte, ist der Verzicht auf die Benützung von öffentlichen Fluggesellschaften zugunsten von Ausschaffungen in Miltär- und Privatjets. Wenn die Zukunft tatsächlich so aussieht, wer wird dann von Gewalt und Tod bei Ausschaffungen erfahren? Und wohin werden wir unsere Proteste richten müssen?
 
 
Todesfälle während Ausschaffungen
September 1998, Belgien:
Semira Adamu, eine 20jährige Nigerianierin, wird in ein Flugzeug nach Togo gezwungen. Sie stirbt an Hirnblutung durch Ersticken nachdem ihr ein Kissen ins Gesicht gedrückt wurde.
1994, Deutschland:
Der Nigerianer Kola Bankole stirbt auf dem Frankfurter Flughafen nachdem ihm eine hohe Dosis von Beruhigungsmitteln injiziert wurde.
Oktober 1993, England:
Joy Gardner (40) aus Jamaica stirbt im Spital; drei Wochen nachdem sie von einem Ausschaffungskommando geknebelt wurde.
1991, Frankreich:
Der Tamile Arumugam Kanapathipillai (33) stirbt auf dem Flug von Paris nach Colombo nachdem er geknebelt und in ein Tuch eingewickelt wurde.


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