Bulletin Nr. 25; Juli 1999

«Gefesselt und geknebelt zurück nach Afrika»

Mit diesem Titel berichtete der Tages-Anzeiger über die am 3. Mai im Hotel Hilton, Glattbrugg von der Kapers (Vereinigung des Kabinenpersonals der Swissair) organisierte Podiumsdiskussion zu Zwangsausschaffungen. In diesem Rahmen wiederholte der Chef der Flughafenpolizei Zürich, Bernhard Herren, seine des öftern in verschiedenen Medien zitierten Lügen: «Wir setzen alles daran, dass die Ausschaffung ohne Gewaltanwendung erfolgt.... Erst beim zweiten Versuch, ihn auszuschaffen, würden nötigenfalls Zwangsmittel angewendet.» Und weiter: «Erfahrungsgemäss werden die Auszuschaffenden auf Flughöhe ruhiger. Sobald sie sich anständig verhalten, werden sie nach und nach befreit, erhalten Verpflegung und dürfen aufs WC.» In diesem Bulletin und in früheren Veröffentlichungen hat ´augenauf´ immer wieder berichtet, dass dem genau nicht so ist.
Im Folgenden zitieren wir aus der neuesten Ausgabe der ´Kapers´, da dieser Bericht am umfassendsten über diese Veranstaltung berichtet.


 
Auszug aus der aktuellen ´Kapers´-Nummer:
«Unter der umsichtigen, aber auch hartnäckig nachhakenden Gesprächsführung von Röbi Koller, bekannt vom Fernsehen DRS “Quer”, diskutierten Angehörige von Polizei- und Bundesbehörden mit AktivistInnen von Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International und der Gruppe ´augenauf´. Die Swissair liess sich von Werner Schaub (Swissair Security) und Cornelia Steinemann (Swissair Facilitations and Methods VPGD) vertreten. Der Spannungsbogen der Interessen und die damit verbundene Argumentation der erstgenannten Gruppen hätte unterschiedlicher nicht sein können: Während B.Caduff (BFF, Urs Grüter (Chef Frepo) und Bernhard Herren (Kapo Zürich) betont ruhig, sachlich und unter sorgfältiger Bezugnahme auf geltende Gesetzesgrundlagen argumentierten, waren in den Voten ihrer “GegenspielerInnen” die Emotionen und persönliche Betroffenheit enorm spürbar. Besonders C. Hugenschmidt von der Gruppe ´augenauf´ beeindruckte mit seiner emotionsgeladenen Art jenen Teil des Publikums, das ihm gefühlsmässig nahe stand wohl ebenso stark, wie er den anderen Teil durch seine Intervention und Zwischenrufe verärgerte. Die Stellungnahmen der zahlreichen Flight Attendants im Publikum machten es in der Folge deutlich, dass sie die besonnene, aber trotzdem konsequente Haltung von Denise Graf (AI Schweiz) und Salvatore Pitta (Asylkoordination Bern) am ehesten nachvollziehen konnten.
 
Der Ablauf einer Ausschaffung
Nach der definitiven Ablehnung eines Asylgesuches durch das BFF, erteilt dieses unter Fristsetzung der Frepo den Auftrag zur Ausweisung, resp. Repatriierung des / der Betroffenen. Die Frepo entscheidet, ob eine vorsorgliche Ausschaffungshaft im Flughafengefängnis angezeigt sei und beauftragt eie Kapo mit der Durchführung des Transportes. Die Kapo wiederum klärt mit der Swissair, genauer Frau Steinmann und Herrn Schaub von der Swissari, die Einzelheiten und Bedingungen des Fluges. Dabei stützen sich beide Seiten auf die im «General Basics» Handbuch Artikel 8.2.3ff festgelegten Vorgehensweisen, welche für eine Ausschaffung ein Drei-Stufenmodell vorsehen. Während die Stufe eins für die überwiegende Mehrzahl der Ausschaffungen zur Anwendung gelangt und denn auch meistens problemlos funktioniert, gelangen bereits in der zweiten Stufe Zwangsmassnahmen wie Polizeibegleitung und Handschellen zur Anwendung.
 
Umstrittene «Level 3» Auschaffungen
Die dritte und letzte Stufe gab in der Folge am meisten zu reden. Dies ist verständlich, denn die «amtlich erlaubten» und manchmal auch weitergehenden Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte und Würde dieser, zwar unfreiwilligen aber meistens NICHT kriminellen Passagiere, sind enorm. Die Menschenrechtsorganisationen berichteten von Hand- und Fussfesselungen, grossflächigen Klebebändern über Mund und Augen, Transport auf das Flugzeug in Zwangsjacken oder auf Rollstühlen gefesselt und medikamentöse oder handgreifliche «Ruhigstellungen» durch die Polizeibeamten. Diese häufig gehörten Vorwürfe mussten von anwesenden Flight Attendants leider bestätigt werden und sorgten für etwelche Unmutsäusserungen im Publikum. In der Tat ist diese Vorgehensweise für Flight Attendants schwer zu verkraften und menschlich kaum zu akzeptieren. Es ist kein Trost zu wissen, dass diese Deportee-Begleitungen auch für die Polizeibeamten sehr belastend sind. Im Gegensatz zu den Flight Attendants werden Polizisten aber zu diesen Einsätzen nicht gezwungen und können sich davon dispensieren lassen. Dies wäre ein Lösungsvorschlag, der auch für das fliegende Personal ins Auge gefasst werden könnte.
 
Erstaunliche Haltung der Swissair
Erstaunlich war auch die Aussage von Werner Schaub, Swissair OY in Zusammenhang mit diesen Vorwürfen: «Was auf einer Level 3 Ausschaffung (hinter dem Vorhang) geschieht, hat uns nicht zu interessieren.» Hier offenbar sich doch ein eigenartiges Verhältnis des Security-Verantwortlichen zu den Vorgängen an Bord der Swissair-Flüge (Siehe Kasten). Abgesehen davon, dass jeder Mensch zu jeder Zeit und an jedem Ort dazu aufgerufen ist, die Würde und Menschenrechte aller Mitmenschen zu achten, zeigen doch gerade die Ereignisse der letzten Tage, dass es mit dem «sich berufen auf gültige Vorschriften und Weisungen» beileibe nicht getan ist. Das fliegende Personal tut gut daran, sich zu erinnern, dass sich humanitäre Verantwortung nicht delegieren lässt. Wenn auch unbestrittenermassen letztendlich allein der Kapitän über die Mitnahme von Deportierten entscheidet, so ist dieser jedoch gut beraten, auch die Aspekte und Meinungen des Kabinenpersonals in seine Entscheidung einfliessen zu lassen. Die Flight Attendants sind sich der Tatsache sehr wohl bewusst, dass sie es sind, die in erster Linie mit allfälligen Problemen im Zusammenhang mit den Ausschaffungen konfrontiert sind.
 
Engagierte Publikumsdisskussion
Während der folgenden Diskussion wurden die Bedenken der Flight Attendants mehrmals deutlich spürbar. Sie hinterfragten insbesondere die vorherrschende «Wir haben alles im Griff»-Mentalität bei den Behörden und bei der Swissair, denn ihre persönlichen Erfahrungen sprechen eine andere Sprache. Prüfenswert erscheint dabei ein Vorschlag eines Kapers-Mitglieds, den Vollzugsbhörden und den Swissair-Verantwortlichen im Falle von Level 2 und Level 3-Ausschaffungen eine unabhängige, vertrauenswürdige Organisation, z.B. ein/e VertreterIn des UNHCR, zur Seite zu stellen, um die humanitären Aspekte einer Ausschaffung genügend zu berücksichtigen. Im gegenwärtigen Verfahren fühlt sich dafür offensichtlich niemand zuständig. Schon gar nicht die Swissair, denn für sie sind lediglich die Sicherheitsaspekte (OY) und die Durchführbarkeit (VPGD) massgebend.
 
Regiert nur Geld die Welt
Nicht zuletzt ist das Ganze nämlich – auch wenn es nicht gerne gehört wird – eine lukrative Angelegenheit. Frau Steinmann wollte dazu nicht Stellung nehmen. Es war ihr sichtlich peinlich und es ist ihr vielleicht auch zu glauben, dass die verkauften Passagen keinen Einfluss auf ihre Entscheidung ausübe, ob ein Transport durchführbar sei oder nicht. Es ist jedoch kein Geheimnis, dass der Bund Hunderttausende von Franken für derartige Transporte aufwendet und die Swissair wird ihren Anteil daran sicher nicht verschmähen. Trotzdem bleibt ein bitterer Nachgeschmack bestehen. Der abschliessende Aufruf eines Vorstandsmitglieds der Kapers an die Adresse der Flight Attendants und Piloten lautete denn auch, die persönliche Verantwortung wahrzunehmen und im Zweifelsfall lieber mal einen Transport abzulehnen, als die Sicherheit von Crew, Passagieren und Flugzeug zu kompromitieren. Zu den menschlichen Aspekten der Ausschaffung muss jeder/jede Einzelne mit sich selber ins Reine kommen. Aber auch hier gilt Verantwortung wahrzunehmen. Wer den Gedanken nicht ertragen kann, ein ohnmächtiges Rädchen in der unseligen Ausschaffungsmaschinerie zu werden, soll dies deutlich kundtun. Die Kapers wird mit den verantwortlichen Swissairstellen weiterhin im Gespräch bleiben, um auf eine Lösung dieser Probleme hinzuarbeiten.»

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Zurück zum Archiv

URL dieser Seite