Bulletin Nr. 25; Juli 1999

Keine Gnade für frisch verheirateten ´Sans-Papiers´

´augenauf´ hat aufgrund des oberen Inserates mehrere Briefe erhalten. Neben mehreren anonymen Droh- und Schmähbriefen schilderte eine Schweizerin, wie ihr Mann anfangs dieses Jahres ausgeschafft worden war. Wir geben den vollständigen Inhalt des Briefes wieder, den auch Amnesty International Schweiz und London erhalten haben. Eindrücklich schildert die Ehefrau, was mit jenen geschieht, welche in die – mal schnell, mal langsamer – mahlende Mühle der Fremdenpolizei geraten. Was Frau R. persönlich erlebt hat, ist für diese Beamten Alltag. Gedankenlos reissen sie ein frisch verheiratetes Ehepaar auseinander, pflichtbewusst schliessen sie den vermeintlichen Störefried weg, um ihn dann entschlossen in Erfüllung ihrer Dienstpflicht zu entsorgen.

«Ich habe erst jetzt über die Anzeige im Tages-Anzeiger (Inserat zum Tod von Khaled) von der Existenz Ihrer Vereinigung erfahren. Ich wende mich nun auch noch an Sie. Im März erschien der Artikel über den Todesfall bei der Ausschaffung im Tages-Anzeiger. Mein Anwalt schreib daraufhin einen Leserbrief. Von der Zeitung kam die Antwort, dass sie dieses Thema lieber redaktionell behandeln würden.
Wie Sie aus dem beigelegtem Bericht meines Mannes ersehen können, trifft es nicht immer zu, dass die ´Deportierten´, wenn das Flugzeug auf Flughöhe ist, von den Fesseln befreit und verköstigt werden und auf die Toilette gehen dürfen. Ebenfalls wurde meinem Mann in der Zelle des Flughafengefängnisses nicht erklärt, worum es geht, sondern er wurde überfallartig von fünf Männern gefesselt und geknebelt.
Inzwischen habe ich meinen Mann und seine Familie im Libanon besucht. Ich kann jetzt verstehen, warum er dort nicht mehr leben will. Ich habe das immer noch zerbombte und zerrissene Land gesehen. Man sitzt auf einem Pulverfass. Strassensperren vom libanesischen wie auch syrischen Militär alle paar Kilometer sind an der Tagesordnung. Raketenbeschüsse von Israel gegen Libanon und umgekehrt passieren öfter, als wir es hier vernehmen.
Trotzdem, ich gehe wieder hin. Wenigstens alle paar Monate können wir uns dann sehen. Das ist doch nicht zuviel verlangt für ein frisch verheiratetes Paar, oder?
Übrigens, ich habe Fotos von den Handgelenken meines Mannes nach der Ausschaffung, die Fesseln haben deutliche Spuren hinterlassen.»
 
Aus dem Brief an Amnesty International:
«Im Herbst ‚98 habe ich meinen Mann auf dem Standesamt geheiratet. Nach der Heirat hat er sich ordnungsgemäss bei unserer Wohngemeinde angemeldet. Kurze Zeit später bekamen wir von der Frepo den Bescheid, dass eine Bearbeitung des Gesuchs um Aufenthaltspapiere nicht möglich sei, da eine gerichtliche Landesverweisung bestehe. Der daraufhin eingeschaltete Anwalt hat scheinbar seinen Auftrag, nämlich ein Gnadengesuch einzureichen, nicht ausgeführt.
Anfang dieses Jahres kam ich am Mittag nach Hause, fand einen Beschluss des Haftrichters auf Hausdurchsuchung und Anhaltung Zwecks Ausschaffung am Boden. Mein Mann war weg, hat mir nur einen kleinen Zettel hinterlassen, auf dem er schrieb, den Anwalt zu informieren. Ich habe sofort den erwähnten Anwalt angerufen, der mir aber mitteilte, man könne nur abwarten und ich hätte keine Chance, herauszufinden, wo mein Mann hingebracht wurde. Das konnte und wollte ich nicht glauben, und habe die Nummer der Frepo angerufen, die er mir gegeben hatte.
Ich wurde von einem Amt/Frepo/Kapo zum anderen weiter verwiesen, bis ich endlich den ´richtigen´ Mann gefunden hatte, der mir sagen konnte, dass mein Mann im Propog-Gefängnis in Zürich sei. Das war am Donnerstagmittag. Ich hatte also 24 Stunden lang keine Ahnung, wo mein Mann war. Niemand fühlte sich verpflichtet, mich als Ehefrau zu benachrichtigen.
Ich bekam eine Besuchserlaubnis und fuhr noch am gleichen Tag nach Zürich. Zwei Tage später besuchte ich meinen Mann wieder. Beide Male waren wir in getrennten Räumen und konnten uns durch Panzerglas sehen und per Mikrofon verständigen.
Bei diesem Besuch erzählte mir mein Mann, dass sie am Vortag versucht hätten, ihn auszuschaffen. Er hat sich verbal gewehrt und verlangt, dass er seinen Anwalt (mittlerweile hatten wir einen anderen beauftragt) und seine Frau sprechen wolle, dass er bei seiner Frau und deren Familie bleiben wolle usw. Er wurde darauf nach einem Gespräch mit irgendeiner Person, von der er nicht genau weiss, wer es war, zurück ins Gefängnis gebracht.
Nochmals zwei Tage später fand ein Termin beim Haftrichter statt, der alle Anträge unseres Anwaltes auf Haftentlassung und Aufschub der Ausschaffung abgewiesen hat. Am selben Tag wurde mein Mann ins Flughafengefängnis verlegt. Auch das erfuhr ich nur per Zufall, da ich im Propog für einen weiteren Besuchstermin angerufen habe.
Im Flughafengefängnis habe ich ihn zusammen mit meinem Vater viermal besucht. Knapp zwei Wochen später waren wir wieder auf Besuch. Mein Vater wollte einen nächsten Termin abmachen, worauf ihm mitgeteilt wurde, mein Mann sei nicht mehr im Computer. Man wisse aber nicht warum. Wir waren zutiefst beunruhigt.
Zwei Tage später hat mein Vater nochmals angerufen. Es wurde ihm gesagt, mein Mann sei nicht mehr im Haus. Als mein Vater auf Klartext bestand, sagte man ihm, dass mein Mann ausgeschafft werde bzw. wurde. Das wussten sie dort auch nicht so genau.
Abermals telefonierte ich mit dem Anwalt, der natürlich herauszufinden versuchte, ob mein Mann noch in der Schweiz sei, aber auch ihm wurde die Auskunft verweigert. Ich habe im Teletext gelesen, wann ein Flug nach Beirut geht und habe umgehend die Familie meines Mannes im Libanon informiert, dass er eventuell kommt. Trotzdem habe ich immer gehofft, dass die Eingaben des Anwalts etwas nützen und sie meinen Mann freilassen.
Bis am Abend habe ich nicht gewusst, wo mein Mann ist, wie es ihm geht, nichts, gar nichts. Ich bin fast verzweifelt. Dann schliesslich um 20 Uhr der nur zum Teil erlösende Anruf meiner Schwägerin aus dem Libanon. Mein Schwiegervater sei am Flughafen und habe bis jetzt nur herausgefunden, dass mein Mann wahrscheinlich dort sei, aber von der Polizei verhört werde. Sicher war er nicht, gesehen hatte er ihn nicht. Um 21 Uhr rief mich meine Schwägerin wieder an und sagte mir, mein Mann sei mit seinem Vater unterwegs nach Hause. Er werde mich sofort anrufen, wenn sie angekommen sind. Das war fünf Stunden nachdem das Flugzeug gelandet ist. So lange hat ihn die libanesische Polizei in die Mangel genommen und ihn nicht herausgelassen. Aber laut der Schweiz droht meinem Mann ja keinerlei Gefahr in seiner Heimat... Wie ich später erfahren habe, hat die Polizei ihn nur nach Hause gelassen, weil mein Schwiegervater Garantie geleistet hatte.
Als mein Mann mich ca. um 22 Uhr 30 angerufen hat, erlebte ich den nächsten, grössten Schock bis jetzt. Seine Beschreibung des Tages lautet folgendermassen:
«Am Morgen um 7 Uhr, ich war noch im Bett, kamen drei Polizisten und zwei andere Männer in die Zelle und haben mich überwältigt. Sie haben mir einen Helm, wie man ihn auf dem Motorrad trägt, über den Kopf gestülpt, diesen mit Klebband rundum zugeklebt, so dass ich nichts mehr sehen, fast nichts mehr hören und sprechen konnte. Sie haben mich an Händen und Füssen gefesselt. Ich hatte keine Chance. Ich war völlig geschockt und wusste nicht mehr, wie mir geschah. Sie brachten mich in ein Auto und zum Flughafen. Im Auto habe ich meine Hände bewegt, weil mich die Fesseln schmerzten. Da wurde ich brutal angepackt und zum stillsitzen gezwungen.
Am Flughafen setzten sie mich in einen Rollstuhl und ich musste Stunden auf den Flug warten. Gefesselt, den Kopf vollständig vermummt.
Ich versuchte ihnen zu sagen, dass ich mich ruhig verhalten werde, sie sollen mich losbinden. Die Antwort darauf war, warum ich das nicht beim ersten Mal schon gesagt hätte, jetzt sei es zu spät. Sie hatten einen Bericht, dass ich beim ersten Ausschaffungsversuch Probleme gemacht hätte. Es ist aber mein Recht, passiven Widerstand zu leisten, ich habe niemanden geschlagen oder sonst irgendwie Gewalt angewendet. Dass ich deswegen wie ein Schwerverbrecher behandelt werde, verstehe ich nicht.
Die ganze Zeit im Flugzeug war ich gefesselt, mit dem Helm auf dem Kopf. Ich habe weder zu essen noch zu trinken bekommen, konnte auch nicht aufstehen, zur Toilette gehen, nichts.
Erst als das Flugzeug landen wollte, befreiten sie mich von den Fesseln und dem Helm. Ich ging zur Toilette und wusch mir das Gesicht und trank ein wenig Wasser. Sie wollten nicht, dass die libanesische Polizei sah, wie man mich behandelte, darum haben sie mich losgebunden.
Im Flughafen in Beirut wurde ich schon von der Polizei erwartet, die über jeden Schritt von mir in der Schweiz informiert war. Sie haben mich noch Stunden verhört. Ich habe Angst, grosse Angst vor der Zukunft, was noch alles auf mich wartet.»

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