Bulletin Nr. 25; Juli 1999

«Level 3» hautnah

Eine missglückte Ausschaffung nach Kinshasa

Am 9. Mai 99 scheitert die Ausschaffung von Lukombo Lombesi am Protest der Passagiere während der Zwischenlandung in Yaounde (Kamerun). Dieser Ausschaffungsversuch lieferte ein ziemlich eindeutiges Schuldeingeständnis seitens der Kantonspolizei: Zum ersten Mal steckten die Beamten dem geknebelten ein Röhrchen in den Mund. Damit wollten sie wohl verhindern, dass ihnen nochmals jemand erstickt. Die berechtigte Empörung der Passagiere über die stundenlange Knebelung Lombesis wollen diese Herren nun nutzen, um eine weitere Eskalation der Zwangsausschaffungen einzuleiten. Im Blick vom 1.6.99 darf der Chef der Frepo für Massnahmen und Vollzug, Urs Schwarz, einer weiteren Eskalation das Wort reden: «Ich habe gehört, dass es mobile Bausätze für Gefängniszellen im Flugzeug gibt. Bei der Bahn gibt es ja auch Wagen mit Gefängniszellen. Der Einbau einer Zelle wäre sicher machbar.»

Am 12. Mai erfährt die Rechtsvertreterin von Lombesi durch einen Mitgefangenen, dass ihr Mandant ausgeschafft worden sei. Es ist zu spät, um noch reagieren zu können. Zu ihrer Überraschung ruft Lombesi vier Tage später an, er sei jetzt wieder frei und in Zürich. An einem Treffen am nächsten Tag schildert er der Rechtsvertreterin seine Erlebnisse. Noch während sie versucht, die ungeheuerliche Geschichte zu erhärten, gelangt die Kapo Zürich am Donnerstag, dem 27.5.99 mit einem Pressecommunique über diese gescheiterte Ausschaffung an die Oeffentlichkeit. Bei der Zwischenlandung des Swissair-Fluges 276 nach Kinshasa (Demokratische Republik Kongo) vom 9.5.99 in Yaounde (Kamerun) seien die Polizisten von Passagieren und dem Auszuschaffenden tätlich angegriffen worden. Hämatome und ein Riss im Nasenknorpelknochen, waren laut NZZ die Verletzungen der Polizisten. Der Blick wartet mit einer noch blumigeren Version auf: «Der Befreite benützte die Gelegenheit, um wie wild auf die Polizisten einzuprügeln. Dabei erlitt einer der Beamten einen Nasenbeinriss.»
Die Widersprüche zwischen der Polizeiversion und den Schilderungen von Lombesi sind gewaltig. ´augenauf´ hält nach wie vor an Lombesis Version fest. Das Polizeicommunique erscheint ´augenauf´ wie der verzweifelte Versuch, anderen Veröffentlichungen zuvorzukommen. Leider unterliefen Herrn Leiser, dem Pressesprecher der Kapo, mehrere gravierende Patzer, die stark an der Glaubwürdigkeit seiner Version zweifeln lassen und einige Fragen aufwerfen:
Weshalb wartete die Pressestelle der Kapo mehr als zwei Wochen, bis sie über den Vorfall informierte? Sobald in der Vergangenheit schweizer Polizisten nur schon unter psychischen Druck gerieten, verfassten die zuständigen Stellen unverzüglich Pressemitteilungen, um die Gefährdung ihrer Beamten herauszustreichen. Nun soll einmal auch auf Polizistenseite Blut geflossen sein – und wir hören zwei Wochen nichts davon. Am 14.5.99 hat eine Vertreterin der zürcher Frepo anlässlich einer Haftrichterverhandlung erzählt, dass es am Wochenende in einem Flugzeug eine Meuterei gegeben habe, die Polizisten seien in eine schwierige Situation geraten. Keine Rede von Gewalt oder körperlichen Verletzungen. Noch fragwürdiger erscheint die ganze Geschichte, wenn wir in Betracht ziehen, dass die zürcher Kapo die Flucht nach vorne ergriffen hat, um Recherchen von BBC und CNN zuvorzukommen. Zufällig war nämlich ein Reporter von BBC mit an Bord, der selbstverständlich eine dicke Story witterte.
Um das Lügengewebe der Kapo zu kaschieren, legt Pressesprecher Leiser einen unglaublichen Zynismus an den Tag:
«Leiser kann aus dem Fall keine Lehren ziehen. Die Beamten hätten im konkreten Fall höchstens den einen Fehler gemacht, dass sie zu menschlich gewesen seien und dem Auszuschaffenden zu viel Raum gelassen hätten. Nur dadurch habe die Situation derart eskalieren können (NZZ 28.5.99).» Welche Steigerung stellt sich Leiser denn vor? Nur Tote gehen nicht mehr auf die Toilette. Die restliche Flugzeit war Lombesi ja eingeschnürt wie eine Salami – von wegen «zu viel Raum gelassen».
Über das Wochenende dürfte den verantwortlichen Polizeiern aufgefallen sein, dass ihre Geschichte an einem weiteren Punkt mächtig hinkt: Wenn Lombesi die Polizisten tatsächlich persönlich angegriffen hatte, wieso wurde er denn vier Tage nach der missglückten Ausschaffung freigelassen? In jedem anderen Fall wäre Untersuchungshaft angeordnet worden. Also musste am Montag, dem 31.5.99, die Medien noch schnell darüber informiert werden, dass ein Strafbefehl gegen Lombesi ausgestellt worden sei, wegen ´Gewalt und Drohung gegen Beamte´. Der dafür zuständigen Bezirksanwaltschaft Zürich ist jedoch nichts darüber bekannt. Was nicht weiter überrascht, müsste die Strafuntersuchung ja von der Stadtpolizei Zürich durchgeführt werden, da die Kapo ja nicht gegen sich selber ermitteln kann. Da sich in diesem Fall ausserdem alles im Ausland abgespielt hat, müsste eigentlich die Bundesanwaltschaft tätig werden.
 
Gedächtnisprotokoll von Lombesi, nach seiner Freilassung aus dem Propog
Zürich, 12. 5. 99
Um etwa 0600 sind 3 Polizisten in die Zelle gekommen: er müsse mitkommen. Wohin? In ein anderes Gefängnis. Vor der Zellentüre legen sie Handschellen an. Ich habe mich nicht gewehrt. Am Flughafen habe sie mir ein Combinaison angezogen, den Helm und Pflaster rund um den Kopf gewickelt. Ich habe zu keinem Zeitpunkt Widerstand geleistet. Die Augen waren beinahe verschlossen, vor dem Mund war ein kleines Röhrchen zum Atmen. Um die Beine wickelten sie Kabel. So kam ich auf einen Rollstuhl, mit einem Lifter wurde ich ins Flugzeug gebracht, hinter den Vorhang mit allen drei Polizisten. Auf dem Sitz banden sie mich noch mit einem Gurt fest. Die Passagiere kamen später und haben nichts gesehen. Die Hostessen schauten aber hinter den Vorhang und haben auch den Polizisten Essen gebracht. Meine Fesselung wurde nie gelockert, obwohl ich Zeichen gab. Weder Essen, noch Trinken, noch zur Toilette gehen konnt ich – bis um 1520: Zwischenlandung in Yaounde. Sobald ich etwas sagen wollte, wurde mir eine Hand aufs Gesicht gedrückt. Ich hatte grosse Angst zu ersticken. Ich wusste, was in Österreich passiert war und in Zürich. Bei der Zwischenlandung habe ich angefangen zu wimmern. Die Passagiere, die nach Kinshasa weiterfliegen wollten, haben das gehört, den Vorhang hochgehoben und laut protestiert. Sie würden nicht mehr weiterfliegen, wenn dieser Mann nicht sofort losgebunden werde. Der Pilot hat dann verlangt, dass ich aussteigen müsse. Ich wurde losgebunden, die Passagiere haben mir zu trinken gegeben. Auf dem Flughafen Yaounde wurde ich von einem Immigrations-Kommissar zum Posten gebracht, ohne Handschellen. Dort konnte ich im Büro warten bis 2315, zu Essen gab es nichts. Im gleichen Flugzeug zurück nach Zürich. Was die drei Polizisten machten, weiss ich nicht, einer war auf dem Rückflug im Flugzeug auf einem Sitz hinter mir. Im Flugzeug bekam ich dann auch Essen und Trinken. Nach der Ankunft 0620 am 10.5. wurde ich gleich wieder verhaftet, bis 1100 in einer Zelle gelassen und dann zur Kaserne gebracht. Keine Befragung. In der Kaserne haben sie Fotos gemacht, aber keine Befragung.
Am 12.5. um 1500 liessen sie mich frei, mit der Aufforderung, die Schweiz umgehend selbst zu verlassen. Ohne Papier!
 
27. 5. 99: Medienorientierung der Kantonspolizei Zürich
Flugpassagiere vereiteln Ausschaffung
Auf dem Flug nach Kinshasa ist es einem Ausschaffungshäftling gelungen, die Flugpassagiere gegen die ihn begleitenden Polizeibeamten aufzuhetzen und so seine Rückführung in die Schweiz zu erzwingen. Bei der Rauferei an Bord wurden zwei Polizeibeamte verletzt.
Am 9. Mai war der 23-jährige Kongolese von Polizeibeamten transportbereit gemacht, d.h. an Händen und Füssen gefesselt und den Mund verklebt, aus dem Ausschaffungsgefängnis in Zürich-Kloten in die Kursmaschine nach Kinshasa gebracht und im Heck der Maschine hinter einem Vorhang platziert worden. Da sich der Häftling die ganze Zeit über ruhig verhalten hatte, entfernten seine Begleiter nach Erreichen der Reiseflughöhe das Pflaster über seinem Mund und ermöglichten ihm auch den Gang zur Toilette. Nach einiger Zeit begann er aber unvermittelt zu schreien und versuchte mit den Füssen den Vorhang herunterzureissen. Offensichtlich wollte er die Flugpassagiere auf sich aufmerksam machen. Dies gelang ihm auch, so dass er erneut gefesselt werden musste.
Bei der Zwischenlandung in Yaounde rissen die an Bord gebliebenen 20-30 Schwarzafrikaner den Vorhang weg und stürzten sich auf die drei Polizeibeamten, traktierten diese mit Fusstritten und Faustschlägen und verlangten, dass ihrem Landsmann die Fesseln abgenommen würden. Obwohl die drei Beamten durch zwei mitfliegende Sicherheitsbeamte und die Crew unterstützt wurden, mussten sie unter dem massiven Druck dieser Forderung nachkommen. Von den Fesseln befreit, wiegelte der Häftling seine Landsleute auf und verteilte seinerseits Fusstritte, Fausthiebe und Kopfschläge. Die Situation beruhigte sich erst, als die örtliche Polizei an Bord erschien.
Die Begleiter entschlossen sich auf Grund dieser Sachlage, den Transport abzubrechen und nicht nach Kinshasa weiterzufliegen. Da die örtlichen Behörden den Weiterflug der Kursmaschine von der Rückführung des Kongolesen in die Schweiz abhängig machten, wurde dieser unverzüglich in die Schweiz zurückgebracht. Hier musste er, weil die maximale Frist für die Ausschaffungshaft abgelaufen war, auf freien Fuss gesetzt werden.
(Anmerkung an die Redaktionen: Rund ein Dutzend Friktionen bei begleiteten Ausschaffungen, herbeigeführt durch das Verhalten der Auszuschaffenden im Flugzeug oder am Zielort, mussten seit Anfang Jahr registriert werden, ohne dass wir uns an die Medien wandten. Im vorliegenden Fall aber hat ein mitreisender, afrikanischer Journalist den Zwischenfall als Knüller einer ausländischen TV-Station angeboten. Sie dürfen davon ausgehen, dass unsere Schilderung den Tatsachen entspricht.)
 
Opfer nicht zu Tätern machen – augenauf-Protest gegen Hetzkampagne der Zürcher Kantonspolizei
Am 9. Mai 1999 ist der 25-jährige Afrikaner Lombesi Joao Lukombo von Zürcher Kantonspolizisten geknebelt und gefesselt bis nach Yaunde verschleppt worden. Der Auschaffungsversuch nach Kinshasa scheiterte am Protest afrikanischer Flugpassagiere und nicht am Widerstand des Häftlings. Der während der ganzen Flugreise geknebelte Lombesi konnte die Passagiere nicht aufwiegeln. Er war auch in keine Auseinandersetzung mit den Polizisten verwickelt. Lombesi wurde unmittelbar nach seiner Befreiung in Yaounde von örtlichen Beamten aus dem Flugzeug geführt.
Mit Bestürzung hat “augenauf” zur Kenntnis genommen, dass die Kantonspolizei Zürich ihre menschenverachtenden Ausschaffungsmethoden nicht nur mit einer völlig haltlosen Strafanzeige gegen das Opfer zu vertuschen versucht. In der Zwischenzeit hat die Polizei zusätzlich ein Fahnungsfoto des wehrlosen “Sans-Papiers” dem Blick zugespielt. Wir verlangen, dass die Kantonspolizei Zürich die Jagd auf den Afrikaner sofort einstellt. Die Anzeige der Polizei gegen Lombesi muss den Justizbehörden übergeben werden. Ausserdem verlangt “augenauf”, dass eine unabhängige Instanz die Übergriffe der Polizei im Ausschaffungsverfahren untersucht.
Aufgrund von Recherchen von Journalisten hat die Kantonspolizei am 27. Mai 1999 eine Pressecommunique zur gescheiterten Ausschaffung von Lombesi veröffentlicht. Obwohl in der Presseerklärung festgehalten wird, dass man «davon ausgehen (dürfe), dass unsere Schilderungen den Tatsachen entspricht», sind verschiedene Behauptungen ungenau oder falsch.
Wer ist Lombesi Joao Lukombo?
Die Kantonspolizei Zürich behaupte, dass der Ausschaffungsgefangene aus dem Kongo stamme. Lombesi beteuert hingegen, dass er Angolaner sei. Eine in Zürich wohnhafte Cousine des Afrikaners, der seine Herkunft bestätigten könnte, wurde von den Ausschaffungsbehörden nie kontaktiert.
Die “augenauf” vorliegenden Akten belegen, dass sich die Ausschaffungsbehörden bei der Feststellung der Herkunft des Afrikaners auf ausserordentlich zweifelhafte Quellen stützen. Aufgrund der Akten ist nicht ersichtlich, dass die Kantonspolizei am Tag der Ausschaffung im Besitz eines rechtmässigen Ausreisepapiers für die DR Kongo war. Die kongolesische Botschaft in Bern hat am 20. Januar 1999 die Ausstellung eines Laisser-Passer verweigert. Bereits am 15. September 1998 hat die angolanische Botschaft die Ausstellung eines angolanischen Reisepapiers verweigert, weil Lombesi französisch spricht. Die angolanische Regierung anerkennt nicht, dass im Norden Angolas die Umgangssprache französisch ist. Ausserdem verfügt die DR Kongo zur zeit über keine diplomatische Vertretung in Europa. Somit können von keiner Stelle legale Reisepapiere ausgestellt werden.
Warum wurde der Gefangene geknebelt?
Die Zürcher Kantonspolizei behauptet, dass sich Lombesi bereits einmal gegen eine Ausschaffung gewehrt habe und deshalb Zwangsmittel angewendet wurden. Dies entspricht nicht der Tatsache. Der Afrikaner befindet sich seit September 1998 in Ausschaffungshaft. Seither versuchen die Ausschaffungsbehörden erfolglos, ein gültiges Reisedokument zu beschaffen. Mit Ausnahme der Beteuerungen des Gefangenen, dass er Angolaner sei, gab es keinen Hinweis darauf, dass sich Lombesi wehren würde. Es ist anzunehmen, dass die Kantonspolizei eine zwangsweise Ausschaffung angeordnet hat, weil keine rechtmässigen Ausreisedokumente vorhanden waren und die Ausschaffungshaft am 12. Mai ausgelaufen ist.
Ist Lombesi ein Sicherheitsrisiko?
In der Presse wurde der Eindruck erweckt, Lombesi sei ein ein in Drogengeschäfte verwickelter Mann. Tatsache ist, dass er im Sommer 1998 wiederholt von der Polizei in Zürich festgehalten worden ist. Er wurde einmal wegen des Besitzes einer kleinen Menge Kokains (0,6 gr) zu einer Busse verurteilt. Ausserdem wurde ein Strafbefehl wegen eines Verstosses gegen das Ausländergesetz gegen ihn erlassen. Wir müssen erneut feststellen, dass papierlose Ausländer von den Zürcher Behörden gezielt dämonisiert werden.
Ist die Knebelung entfernt worden?
Die Kantonspolizei behauptet, dass die begleitenden Kantonspolizisten am 9. Mai dem Afrikaner nach Erreichen der Flughöhe die Knebelung gelöst hätten. Nach Darstellung des Betroffenen selbst war dies nie der Fall. Vielmehr sei ihm ein Luftröhrchen durch das Pflaster in den Mund geschoben worden. Vermutlich reagiert die Zürcher Kantonspolizei damit auf die Todesfälle von geknebelten Ausschaffungshäftlingen. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass Lombesi die Flugpassagiere aufgewiegelt hat. Vielmehr ist anzunehmen, dass die Passagiere den Vorhang im Flugzeug hochgehoben haben und über das Bild des von einer Gruppe weisser Polizisten bewachten, gefesselten und geknebelten Schwarzen so empört waren, dass sie zur Selbsthilfe griffen.
Hat Lombesi einen Polizisten geschlagen?
Die Kantonspolizei behauptet, dass Lombesi im Flugzeug einen begleitenden Polizisten geschlagen haben. Nach Darstellung des Betroffenen hat ihn ein lokaler Beamter unmittelbar nach seiner Befreiung aus dem Flugzeug weggeführt. Es ist unwahrscheinlich, dass die Kantonspolizei Zürich der Freilassung Lombesis aus der Ausschaffungshaft am 12. Mai zugestimmt hätte, wenn er sich tatsächlich der Gewalt und Drohung gegen Beamte schuldig gemacht hätte.
Die Kantonspolizei hat bekanntgegeben, dass ein Verfahren gegen Lombesi eröffnet worden sei. Bei der Bezirksanwaltschaft in Zürich ist jedoch kein solches Verfahren anhängig gemacht worden. Es ist anzunehmen, dass die Polizei des Verfahren nur intern eingeleitet hat, um einen Grund zu haben, Lombesi erneut zu verhaften.

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