Bulletin Nr. 24; Mai 1999
Flüchtlinge aus Sierra Leone werden nach Gambia geschafft
Mit Handschellen ins Nachbarland
Im Oktober 1998 machte ein augenauf-Mitglied im Flughafen Kloten
Bekanntschaft mit einer Frau aus Sierra Leone. Diese wurde im Transit
festgehalten und befürchtete ihre Rückschaffung. Sie bekam vom
augenauf-Mitglied unsere Adresse mit der Aufforderung, sich zu melden. Im
Dezember schrieb uns die Frau von Gambia aus einen Brief. augenauf druckt
nachfolgend eine übersetzte und leicht bearbeitete Fassung dieses Briefes
ab.
Banjul, The Gambia, 25. Dezember 1998
Liebe M., ich bin I.S., die junge Frau aus Sierra Leone mit der Du im
Flughafen Kloten gesprochen hast und der Du Deine Visitenkarte gegeben
hast. Sobald Du den Aufenthaltsraum verlassen hattest, misshandelten sie
mich. Am nächsten Tag setzten sie mich in Handschellen und mit zwei
Polizisten ins Flugzeug. Ich habe mich gewehrt, und wollte Dich anrufen,
aber das gelang mir nicht. Stattdessen haben mich die Polizisten nach
Banjul begleitet. Als ich im internationalen Flughafen von Banjul ankam,
verlangten sie, dass ich aussteige. Ich hatte aber weder zu Essen oder zu
Trinken, noch hatte ich Geld. Ich weigerte mich auszusteigen. Sie zwangen
mich auszusteigen und wollten mir die Handschellen abnehmen, aber ich
wollte das nicht. Die Sicherheitsbeamten von Gambia mussten eingreifen und
sagten: «Es ist nicht klar, ob sie eine Drogenhändlerin ist oder bloss ein
Flüchtling aus Sierra Leone». Die Polizisten sagten darauf nichts und
gingen weg. Ich habe keine Eltern oder Verwandte in Gambia.
Ich verlor meine Eltern im Oktober 1996, als die Rebellen unser Dorf
angriffen. Und mein Onkel, der dann zu mir schaute, war einer jener 24
Offiziere, die am zwölften Oktober 1998 in Sierra Leone exekutiert worden
sind. Ich bin jetzt hier und ich will meine Ausbildung weiterführen, die
unterbrochen worden ist. Gerade als ich in Freetown (Sierra Leone) an einem
Schulexamen war, kamen die Rebellen in die Stadt. Das war am 25. Mai 1997.
Ich hätte Dir schon schreiben sollen als ich hier ankam, aber die Dinge
gleiten mir aus der Hand. Selbst die Frau bei der ich untergekommen bin,
hat es schwer, sie hat zwei Töchter und keinen Ehemann. Manchmal ist es
sogar schwierig, zu Essen zu kommen. Die Situation in meinem Land Sierra
Leone wird immer schlimmer. Wie kann ich nach Hause zurückkehren, wenn ich
doch keine Verwandten mehr habe. Danke, ich wünsche Dir ein glückliches
neues Jahr und viele viele weitere Jahre. Meine besten Grüsse Dir und
Deiner Familie.
Deine I.S.
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