Bulletin Nr. 24; Mai 1999

Repression gegen junge Männer aus Afrika

Die Konstruktion des Ameisendealers

Immer noch gilt in den Schweizer Städten: Wer dem Bild des Dealers entspricht, der wird auch zum Dealer gemacht – und muss dafür ins Gefängnis.

D. M., ein jugendlicher Asylbewerber aus Afrika, wird in Basel unter dem Verdacht mit illegalen Drogen zu handeln festgenommen. Obwohl die Polizei ihn kurze Zeit später wieder frei lässt, eröffnet die Untersuchungsbehörde gegen ihn ein Verfahren wegen Drogenhandels – Drogen sind allerdings keine gefunden worden. Doch schon ist es passiert: Die Verantwortlichen des zuständigen Ausländeramts intervenieren jetzt beim BFF (Bundesamt für Flüchtlinge) und stellen den Antrag auf «prioritäre Behandlung» von M.’s Asylgesuch. Ein Schnellverfahren. Gleichzeitig wird M., gestützt auf die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in Vorbereitungshaft genommen. All diese Massnahmen geschehen auf blossen Verdacht hin. Weder ist das Asylverfahren von M. beendet, noch ist er rechtskräftig verurteilt.
Das Asylgesuch eines anderen jungen Mannes, R. A. aus Sierra Leone, ist abgelehnt worden. Nachdem A. in Winterthur in eine Polizeikontrolle gerät, wird eine Ausgrenzungsverfügung (Rayonverbot) gegen ihn verhängt. A. darf also die Stadt Winterthur nicht mehr betreten. Als er es trotzdem tut und in eine Polizeikontrolle gerät, verfügt der Haftrichter die Ausschaffungshaft. Im Gegensatz zu M. läuft bei A. kein Verfahren wegen Drogenhandels. Seine Ausgrenzung wurde mit einer blossen Vermutung auf Handel mit illegalen Drogen begründet. Die Ausschaffungshaft wird durch die Zwangmassnahmen im Ausländerrecht gestützt, welche die Inhaftierung erlaubt, wenn ein Sans-papier «die öffentliche Sicherheit stört oder gefährdet», insbesondere im Zusammenhang mit «widerrechtlichem Betäubungsmittelhandel».
Diese beiden Beispiele sind keine Ausnahme. Junge schwarze Männer stehen unter generellem Dealerverdacht. Wenn sie im Umfeld eines Bahnhofs oder eines anderen Ortes, der von der Polizei als Teil der verdeckten Drogenszene betrachtet wird, kontrolliert werden, kann das eine Ausgrenzungsverfügung zur Folge haben. Falls sie ein Gebiet, das ihnen so verboten worden ist, nochmals betreten, können sie mit Gefängnis bestraft oder in Ausschaffungshaft gesetzt werden. Dies ist im Fall von A. geschehen. Eine andere Variante hat M. erlebt. Hier wurde keine Ausgrenzung verfügt, sondern man hat gleich ein Verfahren wegen Drogenhandels eingeleitet. Die Vorbereitungshaft des Asylbewerbers M. wurde dann mit Artikel 13a der Zwangsmassnahmen begründet. Dort heisst es, dass Haft angeordnet werden kann, wenn «der Ausländer (...) Personen ernsthaft bedroht oder an Leib und Leben erheblich gefährdet und deshalb strafrechtlich verfolgt oder verurteilt worden ist». Allerdings liegt eine solche erhebliche Gefährdung laut Bundesgericht nur vor, wenn jemand «Betäubungsmittel in bedeutender Menge in Verkehr bringt».
Wie ist es nun möglich, dass jemand, der in eine Polizeikontrolle gerät und der keine illegalen Drogen auf sich hat, mit der Begründung «erhebliche Gefährdung von Leib und Leben» inhaftiert werden kann? Hier kommt der Begriff «Ameisendealer» ins Spiel. Ein sogenannter Ameisendealer ist ein Kleindealer, der mehrmals täglich mit kleinen Mengen handelt und so immer nur relativ geringe Mengen Stoff auf sich trägt, heisst es. Durch «täglich mehrere Gänge» könne ein Ameisendealer «bedeutende Mengen an Betäubungsmitteln in Umlauf bringen» und dadurch eine derart erhebliche Gefährdung darstellen, dass Vorbereitungshaft angeordnet werden kann. Dabei reicht der Verdacht schon aus, weil: «Solchen Kleindealern wird allerdings typischerweise das wahre Ausmass ihrer Tätigkeit kaum je schlüssig nachgewiesen werden können». Doch: «Die administrative Haft nach dem Zwangsmassnahmengesetz dient indessen nicht der Sanktionierung von zweifelsfrei bewiesenem Handeln». So wird aus einem Menschen, ohne dass auf ihm Drogen gefunden werden, ein «Ameisendealer» der gleichviel Stoff in Umlauf bringt wie ein grösserer Dealer und somit «Personen ernsthaft bedroht oder an Leib und Leben erheblich gefährdet» und dadurch in Vorbereitungshaft genommen werden kann.
Für den Fall dass ein angeschuldigter Asylbewerber tatsächlich wegen Drogenhandels verurteilt wird, trifft ihn Artikel 8 des Asylgesetzes: «Asylunwürdikeit und Gefährdung der Staatssicherheit. Einem Ausländer wird kein Asyl gewährt, wenn er wegen verwerflicher Handlungen dessen unwürdig ist oder wenn er die innere oder die äussere Sicherheit der Schweiz verletzt hat oder gefährdet». Dies ist S. W. aus Sierra Leone passiert. Er wurde in Genf beim Bahnhof von der Polizei kontrolliert. W. berichtet, die Polizei habe keine Drogen bei ihm gefunden. Er erhält wegen Drogenhandels 20 Tage Gefängnis und drei Jahre Landesverweis. Sein Asylgesuch wird abgelehnt.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Zurück zum Archiv

URL dieser Seite