Bulletin Nr. 24; Mai 1999

Zwangsmedikation im Ausschaffungsverfahren:

Der Fall «Ahmad H.» wirft grundsätzliche Fragen auf

Am 12. Januar 1999 hat «augenauf» erstmals zum Mittel der «urgent action» gegriffen. Wie haben unsere Leserinnen und Leser aufgefordert, bei den Zürcher Behörden für den psychisch kranken Ahmad H. zu intervenieren und gegen die sich häufenden Zwangsmedikationen im Ausschaffungsverfahren zu protestieren. Ihre Reaktionen haben viel in Bewegung gesetzt.
Am 19. Dezember 1998 hat die Zürcher Fremdenpolizei den achtzehn Monate lang zwischen Ausschaffungsgefängnis, psychiatrischer Klinik und Asylfoyer hin und her geschobenen Ahmad H. in den Zellen der Polizei im Flughafen Kloten von einem Arzt mit Medikamenten vollpumpen lassen. Zum zweiten Mal wurde der Versuch unternommen, den psychisch kranken Mann in den Libanon abzuschieben. So verlangt es die schweizerische Ausschaffungsdoktrin, die ihre hässliche Fratze am deutlichsten im Umgang mit kranken Menschen zeigt. Der Ausschaffunsversuch misslang. «augenauf» hat ihn öffentlich gemacht.
 
Zahlreiche Reaktionen
Im Gegensatz zur Presse haben die Leserinnen und Leser unseres Bulletins auf unsere Arbeit reagiert. Zu Dutzenden sind Protestbriefe an die hauptverantwortliche Zürcher Polizeidirektorin Rita Fuhrer, die für die Aufsicht über die Ärzte zuständige Gesundheitsdirektorin Verena Diener, die Ärztegesellschaft in Bern und das BFF geschickt worden. Sie haben einiges in Bewegung gesetzt.
- Eine Aufsichtsbeschwerde gegen Rita Fuhrers Direktion ist von der Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Zürcher Kantonsrates entgegengenommen worden. In der GPK wird die Frage der Zwangsmedikationen im Auschaffungsverfahren im Moment ernsthaft geprüft.
- Die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich prüft ein Aufsichtsverfahren gegen den namentlich noch nicht bekannten Arzt, der Ahmad H. am 19. Dezember ruhiggespritzt hat.
- Das Zentralsekretariat der Verbindung der Schweizer Ärzte FMH hat sich in Zürich über den Fall informiert und spricht von einer spürbaren Frustration der in die Ausschaffungsverfahren «hineingezogenen» psychiatrischen Kliniken.
 
Frepo: Die harte Linie
Nichts verändert hat sich bis heute aber an der prekären Situation von Ahmad H. selbst. Die Zwangsmedikation ist bei der Zürcher Fremdenpolizei zwar Chefsache. Die Damen und Herren um Fremdenpolizeichef Urs Gürtler sind jedoch offensichtlich entschlossen, am Beispiel des psychisch kranken Ahmad H. Härte zu demonstrieren.
Härte zeigte man erstmals, als man der Rechtsvertreterin von Ahmad H. die Einsicht in die Akten der Fremdenpolizei verweigerte. Nur der Vollzugsbericht eines Korporals der Kantonspolizei Zürich ist ihr zugestellt worden. Auf diesem sind die Namen der beteiligten Polizisten eingeschwärzt. Der Fakt der Zwangsmedikation sowie der Name des beteiligten Arzt kommt im Rapport gar nicht vor. Der rapportierende Polizist hält nur lakonisch fest, dass der ruhiggespritzte «H (...) ins Flugzeug und zu seinem Sitz getragen werden» musste, der Ausschaffungsversuch aber trotzdem abgebrochen worden sei, weil «weitere Gewaltanwendung (...) im Flugzeug nicht erwünscht» gewesen sei. Fazit der Polizeikorporals: H. könne «aufgrund seines psychischen Zustandes und renitenten Verhaltens wohl kaum jemals mit einer Passagiermaschine ausgeschafft werden».
Das von der Rechtsvertreterin eingereichte Gesuch um eine humanitäre Aufenthaltsbewilligung für Ahmad H. und den Aufschub weiterer Ausschaffungsmassnahmen wurde von der Fremdenpolizei am 18. Januar abschlägig beantwortet. Ein Rekurs gegen diesen Entscheid des zuständigen Sachbearbeiters der Fremdenpolizei, Urs Schwarz, ist inzwischen beim Regierungsrat eingereicht worden. In seinem Schreiben bestätigt Schwarz im übrigen die Verweigerung der Akteneinsicht. «Gesamthaft betrachtet besteht kein Anlass, zu Detailfragen im Zusammenhang mit den Vollzugsvorkehrungen von Fremden- und Kantonspolizei Stellung zu nehmen». Ähnlich nimmt er auch Stellung zur Zwangsmedikation. «Dem Gesundheitszustand von H.» sei beim Ausschafffungsversuch vom 19. Dezember «hinreichend Beachtung geschenkt worden». H. sei insbesondere «angemessen medizinisch betreut» worden.
 
Rechtfertigungsversuche
Die Chefin von Urs Schwarz, Rita Fuhrer, hat sich auf die gleiche Argumentationslinie festgelegt. Sie bezeichnet die an Ahmad H. am 19. Dezember vorgenommenen Injektionen als den medizinisch adäquaten Versuch, eine Selbstgefährdung des Ausschaffungshäftlings zu vermeiden. Offensichtlich hat man sich in ihrem Departement für den Einsatz der medizinischen Keule zur Sicherstellung von Ausschaffungen entschieden, obwohl man die damit zusammenhängenden rechtlichen Probleme sehr genau kennt. Anders ist nicht zu erklären, dass die Regierungsrätin noch vor der Diskussion über den Sachverhalt die passende Rechtfertigung für das Vorgehen ihrer Untergebenen im Fall von Ahmad H. zur Hand hat.
Richtig ist nämlich, dass Ärzte gemäss geltendem Recht das Recht haben, suizidgefährdete Personen ruhigzustellen. Allerdings geschieht dies in der Regel im Rahmen einer oder im Hinblick auf eine stationäre medizinische Betreuung. Die Ärzte handeln dabei sicher nie im direkten Auftrag der Polizei. Ein Vergleich der Ruhigstellung von Personen in der Psychiatrie mit den Zwangsmedikationen im Ausschaffungsverfahren erweist sich deshalb nach einem Blick auf die Umstände als völlig absurd.
Anlass für die – auch im Fall von Ahmad H. nicht auszuschliessende – Selbstgefährdung ist bei Ausschaffungsversuchen die Ausschaffung selbst. Verzichtet man auf die Ausschaffung, fällt auch die Suizidgefahr dahin. Ruhiggestellt werden Ausschaffungshäftlinge nur, um den «reibungslosen Vollzug» der Ausschaffung zu garantieren und den begleitenden Polizisten Unannehmlichkeiten in den Passagierflugzeugen zu ersparen. Die Fremdenpolizei übernimmt deshalb auch die Kosten der Zwangsmedikation. Nicht die Gesundheit des «Patienten», sondern die Abwicklung des Auftrags der Polizisten ist das Ziel der Behandlung. Was bei nachlassender Wirkung der Medikamente mit dem Patienten passiert, interessiert die Auftraggeber der Zwangsmedikation nicht, da der Gefangene sich zu diesem Zeitpunkt im Normalfall nicht mehr in der Schweiz befindet und ein Suizid nicht mehr von schweizerischen Polizeibehörden zu verantworten wäre.
Die Einsicht in die Ausschaffungsakten, die Auftragserteilung an den spritzenden Arzt, die Kostenregelung und die Details des an Ahmad H. vollzogenen Ausschaffungsversuchs würden diese Logik medizinischer «Zwangsbehandlung» untermauern. Deshalb rückt die Fremdenpolizei diese Unterlagen auch nicht freiwillig heraus.
 
Druck aufrecht erhalten
Deshalb ist es wichtig, den Druck auf die Behörden aufrecht zu erhalten. Nur so wird es möglich sein, dass Ahmad H. zu seinem Recht kommt. Nur so kann verhindert werden, dass Ausschaffungsgefangene auch in Zukunft Angst vor Zwangsmedikamentationen haben müssen.

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