Bulletin Nr. 23; Dezember 1998

Berichte aus Bern

Subtil aber unschön

Bereits zu Beginn der Aktion „Citro“, wurde durch die Berner Task Force Drogenpolitik breit und ausführlich über mögliche Übergriffe informiert, Es könne zu allfälligen unschöne Szenen kommen und mitunter Unbescholtene könnten sich im engmaschigen Netz verfangen. Vorkommnisse, die jedoch unumgänglich seien, um gegen Drogendealer vorzugehen. Die Aktion „Citro“ erlaubte der Stadtpolizei, eine subtile Abschreckungs- und Vertreibungspolitik gegen AusländerInnen durchziehen zu können und gleichzeitig der Bevölkerung weiszumachen, endlich etwas gegen das „Drogenproblem“ zu unternehmen.
So kamen im Rahmen der Aktion „Citro“ tatsächlich keine groben Übergriffe an die Öffentlichkeit, wobei das Fehlen von Klagen über Polizeiübergriffe noch lange nicht heisst, dass tatsächlich keine Übergriffe stattgefunden haben. Statt roher Gewalt standen den Beamten subtilere Methoden zur Verfügung: Für ausländische Leute bedeutete die Aktion „Citro“, dass sie während Monaten immer wieder Kontrollen über sich ergehen lassen mussten, immer wieder in Gewahrsam genommen wurden, Verabredungen und Züge verpassten, immer wieder beleidigt und ausgefragt wurden.
Dem Verein augenauf Bern sind verschiedene Ereignisse zu Ohren gekommen, die die subtilere Art von Repression dokumentieren. Ereignisse, die auch nach unserer Ansicht nicht zu Anzeigen gegen Beamte ausreichen. Oder kann eine Anzeige gemacht werden, wenn Beamte mehreren kontrollierten Personen zum Beispiel die Halskette zerreissen, ein Erinnerungsfoto zerstören, wenn Kontrollierte schnell auf den Boden gedrückt werden bis das Portemonnaie durchsucht ist, wenn die Person deswegen eine Schürfung davonträgt, wenn der Zug und die Verabredung verpasst werden.
In den letzten zwei Jahren sind jedoch auch schwerwiegendere Übergriffe bekannt geworden, die beim Verein augenauf Bern dokumentiert sind. Nachfolgend drei Beispiele:
 
«angemessene Gewalt»
P.B. wurde nachts von zwei Beamten aufgefordert, sich auszuweisen, Als er seine Papiere hervornahm, wurden ihm diese entrissen und er wurde in der Folge unvermittelt und aufs Heftigste attackiert. Bei dieser Attacke wurde auch der in Bern „berühmt“ gewordene Würgegriff (Unterarm-Halsgriff) angewandt.
Gemäss Aussagen der beteiligten Polizeibeamten „reagierte P.B. aufbrausend und wild gestikulierend“ auf die Aufforderung zur Ausweiskontrolle. Deswegen wurde er „mit angemessener Gewalt“ in Handschellen gelegt und auf den Polizeiposten gebracht. Noch einmal musste P.B. Misshandlungen über sich ergehen lassen, die Kontrolle verlief ergebnislos, die Beamten entliessen P.B. mit den Worten „Auf Wiedersehen und einen schönen Abend“. Gemäss Arztberichten erlitt P.B. durch die Übergriffe eine „signifikante Kehlkopfverletzung, die potentiell lebensgefährlich ist“. P.B. wurde durch seine Frau in Spitalpflege gebracht, sein Anwalt reichte Strafantrag gegen die beteiligten Polizisten ein.
Die Strafverfolgung gegen die Beamten wegen der Vorfälle anlässlich der Strassenkontrolle wurde aufgehoben, ihr Verhalten als „rechtmässig“ eingeschätzt. Zu verantworten hatten sich die beiden Beamten später jedoch wegen der angegebenen Misshandlung auf dem Polizeiposten. Den Beamten konnte nichts nachgewiesen werden, die Schilderungen von P.B. wurden als „abenteuerlich“ abgetan und die Verletzungen im Kehlkopfbereich dem „korrekten“ Verhalten der Beamten anlässlich der Strassenkontrolle zugeordnet.
Die Stadtpolizei traf hingegen Massnahmen liess ihre Würgegriffe durch die Rechtsmedizin untersuchen und instruierte fortan ungefährlichere Handgriffe...
 
Wie im Nazi-Film
R.C., ein afrikanischer Tourist, besuchte seine Schwester und deren schweizerischer Ehemann. Bei einem Bummel durch die Stadt wurde er von zwei Beamten angehalten, in Handschellen gelegt und in die Polizeikaserne abgeführt. Dort wurde er durch die gleichen Beamten aufs Übelste beschimpft, bedroht, geschlagen und gedemütigt. R.C. gab zu Protokoll, dass er sich wie in einem Nazifilm gefühlt habe. Nachdem er auch die Nacht in der Kaserne verbracht hatte, wurde er am nächsten Nachmittag freigelassen. Der Schwager von R.C. wandte sich an die Medien, die Polizei reagierte betroffen und leitete sofort ein internes Verfahren ein, bei dem festgestellt wurde, dass keinerlei Anhaltspunkte für körperliche Misshandlungen vorlägen. Das Verfahren, dass R.C. gegen die Beamten eingeleitet hatte, wurde eingestellt. Die Aussagen von R.C. wurden als frei erfunden deklariert und Zeugen fehlten sowieso. Unklar ist laut seinem Anwalt bis heute geblieben, warum R.C. als Tourist seine Ferien damit begonnen hätte, aus heiterem Himmel derartig detaillierte Vorwürfe gegen die Polizei zu erfinden...
 
Die Retourkutsche
G.A. spazierte mit seinem Kollegen in der Berner Altstadt, als er wegen einer Unachtsamkeit fast mit einer älteren Frau zusammenstiess. Nach einem kurzen Wortwechsel gehen beide wieder ihrer Wege. G.A. wird danach aber von zwei Männern abgefangen, die mit G.A. eine heftige Diskussion beginnen; und sich in der Folge als Zivilpolizisten zu erkennen geben. Sie wollen seine Ausweise sehen. G.A. versucht, die Situation zu schlichten, man wolle wie „zivilisierte“ Leute miteinander sprechen. Als er in seine Tasche greift, um den verlangten Ausweis hervorzuholen, wird er vor versammelter Menge von den Beamten angegriffen, seine Hände werden ihm auf dem Rücken gehalten, er wird zu Boden gestürzt, verprügelt und gewürgt. Handschellen werden ihm angelegt. Mit auf dem Rücken gefesselten Händen wird er auf die Polizeiwache gebracht. Auf dem Posten kam es laut G.A. zu weiteren Tätlichkeiten von Seiten der Beamten. G.A. ging am Abend nach der Freilassung zusammen mit seiner Frau nochmals auf den Posten, um das Vorgefallene zu schildern. Die Beamten der Nachtschicht meinten, dass sich da nicht viel machen lasse, er solle sich nach den Namen der beteiligten Beamten erkundigen. Erst eine Intervention des schweizerischen Schwiegervaters brachte diese Namen dann zum Vorschein. G.A. litt noch einige Zeit unter der Folgen der Übergriffe. Die beteiligten Beamten ihrerseits reichten Strafanklage gegen G.A. ein wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, Namensverweigerung und Beschimpfung. G.A. erhielt eine Freiheitsstrafe von 12 Tagen bedingt auf zwei Jahre, sowie Fr. 100.— Gebühren auferlegt. Seiner Version der Geschichte wurde kein Gehör geschenkt.
Aus den Ausführungen der Stadtregierung zur Aktion Citro lässt sich interpretieren, dass unwichtig ist, dass kaum Drogendealer überführt werden konnten. Hauptsache, die Stadt ist sauber - citroclean - die AusländerInnen sind vertrieben. Viele ausländische BewohnerInnen trauen sich seit Monaten kaum mehr ins Berner Stadtzentrum, die Abschreckungspolitik funktioniert.

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