Bulletin Nr. 23; Dezember 1998
Trauriger Jahrestag am Zoll
Es war zwei Uhr früh in der Nacht vom 4. auf den 5. September. Der Tunesier
Bennani, in Belgien als politischer Flüchtling anerkannt, wollte mit seiner
Gattin Jamilia die Schweizer Grenze passieren. Mit im Auto sass ein junger
Algerier, der in Belgien studiert. An diesem Wochenende fand im
freiburgischen das Jahrestreffen der Vereinigung der Musliminnen in der
Schweiz statt. Dorthin zog es Jamilia, und die Männer waren bei dem
geselligen Anlass als Helfer angemeldet. Schon eine Woche zuvor war Bennani
in unser Land eingereist, problemlos. Diesmal aber wurde er am Basler Zoll
ziemlich unsanft mit der Tatsache konfrontiert, dass gegen ihn ein
internationaler Haftbefehl vorliege. Als man ihn in Handschellen abführte,
habe er die Schreie seiner Frau gehört. Da habe er seinerseits geschrien:
«Lasst sie in Ruhe, berührt sie nicht, sie ist krank.» Und er habe heftig
gegen die Tür der Zelle geklopft, in die man ihn zunächst gesperrt hatte.
Die Frau, Jamilia, berichtete das Vorgefallene wie folgt:
Man habe sie in eine Garage gebracht, wo man zunächst das Auto durchsucht
habe. Zweimal habe sie einen der Zöllner vergeblich darum gebeten, auf die
Toilette gehen zu dürfen. Nach einer Weile seien vier weitere Zöllner
angerückt. Als sie erneut darum gebeten habe, auf die Toilette gehen zu
können, habe ihr ein Beamter eine Handschelle über die rechte Hand
gestreift. Sie begann zu schreien. «Was tut ihr da, meine Papiere sind in
Ordnung.» Ein zweiter Beamter habe ihr linkes Handgelenk gepackt, ein
dritter ihren Kopf hinuntergedrückt, und so hätten sie ihr die Handschellen
angelegt. Sie habe geschrien und geweint. Die Männer hätten Grimassen
geschnitten und sie zu einem Dienstfahrzeug gestossen. «Mit gebundenen
Händen kann ich nicht einsteigen, die Tür ist zu hoch», habe sie wieder
geschrien. «Darauf hat mir ein Zöllner das Foulard vom Kopf gerissen und es
mir in den Mund gestopft.»
Die Männer hätten sich noch auf der Fahrt zum Polizeiposten über sie lustig
gemacht – erst auf dem Posten sei sie von einer Beamtin betreut worden. Um
fünf Uhr morgens gab man der Frau freies Geleit, freilich ohne ihren
Gemahl. Der algerische Bekannte fuhr sie zurück an ihren Wohnort Lüttich.
Dort hat sie eine Notfallärztin aufgesucht, am Montag dann auch den
Hausarzt. Der bestätigt schriftlich, dass er sie in immer noch verstörtem
Zustand, mit gestauchtem Nacken und schmerzhaft geschwollenen Handgelenken
vorgefunden hat. Bennani liess man erst am Dienstagabend laufen, nachdem
Belgien bestätigt hatte, dass er und seine Gattin samt den drei Kindern
dort asylrechtlich geschützt seien. Zuvor hatte man ihm in einem Basler
Gefängnis eröffnet, dass Tunesien ihn zur Fahndung über Interpol
ausgeschrieben und als gefährlich eingestuft habe, weil er am 17. Februar
1992 an einem Sprengstoffanschlag auf den tunesischen Rundfunk beteiligt
gewesen sei. «Doch damals», sagt Bennani, «war ich bereits im Ausland.»
Bennani ist ein führendes Mitglied von Ennahda, einer politischen
Oppositionsbewegung, die von der Regierung in Tunis nicht anerkannt
wird. «Wir kämpfen mit friedlichen Mitteln für Demokratie in unserem Land,
ohne jede Anwendung von Gewalt.» Am Umgang mit seinesgleichen zeige das
tunesische Regime sein wahres Gesicht: «So stempelt man bei uns
Oppositionelle zu Terroristen.» Bennani ist in seiner Heimat wegen
«umstürzlerischer Umtriebe» verurteilt worden. Als er im August 1991 erst
nach Algerien und schliesslich nach Belgien floh, nahm man seine Ehefrau zu
Hause in Haft und folterte sie, um Angaben über ihren Gemahl
herauszupressen. Das geschah am 5. September 1991. Die traumatischen
Erfahrungen, für die seine Frau in Belgien therapeutisch behandelt werden
musste, schienen sich für sie an der Schweizer Grenze zu wiederholen, genau
sieben Jahre später. Deshalb – «und um der Menschenwürde von Frauen willen,
die aus religiöser Überzeugung Kopftücher tragen» – hat Bennani sich beim
Bundesrat beschwert.
In der Sache, bestätigt Peter Fässler, Chef der Sektion Personal bei der
Oberzolldirektion in Bern, sei «eine einstweilen interne Untersuchung
eingeleitet». Die Zöllner seien zu Anstand angehalten. Wo aber
Fahndungsmandate gegen vermeintlich oder tatsächlich als «gefährlich»
gemeldete Personen vorlägen, gehe es nicht immer zimperlich zu. Von den
Beamten könne man in dieser Situation nicht verlangen, «dass sie dabei
politisch denken und sich etwa fragen, woher eine solche Meldung stammt.»
(TA, 21. September 1998)
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