Bulletin Nr. 22; September 1998

«Aufstand» im Transit

Am 21. Mai haben sich im Transitbereich des Flughafens Kloten rund zwei Dutzend Flüchtlinge mit einem Sitz- und Hungerstreik gegen das berüchtigte Flughafenverfahren gewehrt. Mit Prügel, Knast und Einzelabschiebung wurde ihr Widerstand von der Flughafenpolizei gebrochen. Unterstützt wurde die Polizei von der Direktorin des Flughafengefängnis Kloten, die Zellen ihrer Disziplinierungsabteilung neuerdings für Menschen zur Verfügung stellt, denen man die Einreise in die Schweiz verweigert, aber den Aufenthalt in einem Schweizer Knast nicht vorenthält.

Der Transit des Flughafens Kloten ist Sperrzone. Informationen über die Flüchtlinge, die in Kloten festsitzen und oft tage- und wochenlang unter erbärmlichen Bedingungen festgehalten und anschliessend abgeschoben werden, dringen kaum je an die Öffentlichkeit. Polizei, Asylbehörden und die für die Drecksarbeit mit den Asylbewerbern zuständige Swissair-Tochter CGS tun alles, um Flüchtlingen die Einreise in die Schweiz zu verwehren und sie möglichst rasch wieder in Drittländer abzuschieben. Das Schweigen über diese Praxis haben zwei Männer aus Kamerun, die sich im Klotener Transit für ihre Rechte gewehrt haben, gebrochen.
Ende Mai ist augenauf von verschiedenen Augenzeugen über eine Protestaktion von Flüchtlingen im Transit informiert worden. Gewöhnlich sehr gut unterrichtete Kreise haben gar von einem «Aufstand» berichtet. Anfang Juni wurde uns mitgeteilt, dass zwei Männer aus dem Transit im Flughafengefängnis in Kloten auf ihre Ausschaffung warten. Wir haben kurz vor ihrer Deportation mit den beiden Afrikanern sprechen können und später aus Kamerun Informationen über den Hergang der Ausschaffung erhalten. Aus den Berichten der Betroffenen, den Akten und Informationen von Dritten lässt sich die Geschichte des «Aufstands» im Transit rekonstruieren.
 
Flug nach London endet in Zürich
Am 11. Mai 1998 strandete eine Gruppe von Reisenden aus Westafrika in Zürich-Kloten. Der Weiterflug nach London wurde ihnen von Angestellten der Firma CGS – einer Tochter der Swissair – verweigert, weil Unregelmässigkeiten in ihren Reisepapieren festgestellt worden sind. Weil man sie festhält, versuchen die Männer und Frauen in Zürich ein Asylgesuch zu stellen. Die Behörden reagieren vorerst jedoch nicht auf dieses Ansinnen. Noch am gleichen Tag versucht die Flughafenpolizei, die Gruppe zum Rückflug nach Westafrika zu zwingen. Man verfrachtet die Männer und Frauen in Gruppen mit Transportfahrzeugen auf das Rollfeld. Dort will man sie mit Hunden, Tränengas und Knüppeln in die bereitstehenden Maschinen treiben. Der Versuch misslingt.
Nach dem gescheiterten «wilden» Abschiebungsversuch konnten die Flüchtlinge zwar ihr Asylgesuch einreichen. Die folgenden Tage verbrachten sie jedoch in einer Bunker-Zelle der Flughafenpolizei – ohne Tageslicht, ohne Bewegungsmöglichkeiten. Vor der «Entlassung» aus der Polizeizelle hat man den in Zürich gestrandeten AfrikanerInnen eröffnet, dass das Bundesamt für Flüchtlinge ihnen die Einreise in die Schweiz verweigert und sie dem sogenannten «Flughafenverfahren» zuweist.
Eine knappe Woche später platzt den im Transit wartenden Flüchtlingen der Kragen. Sie wollen mit einem Hungerstreik gegen die Verschleppung ihrer Anträge auf Asyl protestieren. Schwarze Flüchtlinge – so fassen sie ihre Erfahrung im Zürcher Transit zusammen – müssen zwei Wochen warten und werden dann abgeschoben. Weisse hingegen und Flüchtlinge mit Anwalt oder Kontakten in der Schweiz dürften nach einigen Tagen die Grenze passieren und in die Schweiz einreisen. Am Morgen des 19. Mai lösen sie ihre Essensbons nicht mehr bei der Asylstelle im Transit ein. Am Vormittag des gleichen Tages beginnen sie mit einem Sit-in in der Transit-Halle. Sie halten Zettel hoch, auf denen sie den Grund ihrer Aktion erklären. Herbeigerufene Kantonspolizisten reissen ihnen die Flugblätter aus den Händen und zerreissen sie vor ihren Augen. Die Protestierenden schreiben neue Handzettel und führen ihre Aktion fort. Als die Polizei den Widerstand nicht brechen kann, greift man zu brachialeren Methoden. Die Flughafenverwaltung schaltet die Sprinkleranlage ein. Die Flüchtlinge stieben auseinander und beenden die Aktion. Als sie am Abend wieder ihr Essen abholen wollen, wird ihnen die Nahrung verweigert. Man teilt ihnen mit, dass ihr Asylgesuch gleichentags abgelehnt worden sei. Zu Essen gebe es nichts mehr, sie müssten «nach Hause» fliegen.
Gleichentags versucht die Kantonspolizei, eine erste Gruppe von an der Aktion beteiligten Flüchtlingen abzuschieben. Sie werden verhaftet, in Zellen verfrachtet und später zum Flugzeug gebracht. Erneut versucht die Polizei, sie mit Gewalt in eine bereitstehende Maschine zu treiben. Der Versuch misslingt. Die Opfer der missglückten Ausschaffung werden dann aber für Tage in den Zellen der Flughafenpolizei festgehalten.
 
Trotz Einreiseverbot in Ausschaffungshaft
Anderen Flüchtlingen, die sich an der Protestaktion vom 19. Mai beteiligt haben, wiederfährt später das Gleiche. Sie wehren sich erfolgreich gegen ihre Deportation und werden in Haft genommen. Am 24. Mai rapportiert der zuständige Feldwebel der Flughafenpolizei über eine Gruppe von sechs Männern und einer Frau aus Kamerun zu den «Verhaftungsakten betreffend fremdenpolizeilichen Massnahmen/Anordnungen der Ausschaffungshaft»: «Die abgewiesenen Asylbewerber mit rechtsgültiger Wegweisungsverfügung haben sich geweigert, aus dem Transportmittel aus- und in das Flugzeug einzusteigen (...) Es konnte festgestellt werden, dass aus dieser Gruppe heraus sog. R-INADs beeinflusst wurden, hier in der Schweiz Asylgesuche zu stellen, damit deren Rückschaffung verzögert bzw. verunmöglicht wurde. (Anm der R.: Als R-INAD werden Menschen bezeichnet, die im Transit von Kloten stranden). Eine sofortige Zuweisung von Gefängnisplätzen drängt sich auf.» Diese Aktennotiz ist der einzige offizielle Hinweis auf den «Aufstand» im Transit.
 
Vorführung vor den Haftrichter: Einreise in die Schweiz?
Die Gefängnisplätze wurden den widerspenstigen Transitflüchtlingen zugewiesen. Am 24. Mai – einen Tag vor Ablauf der vom BFF gesetzten Frist, in der den Asylbewerbern die Einreise in die Schweiz verweigert wurde – ordnete die Fremdenpolizei die Ausschaffungshaft an. Am 27. Mai wurde die Haftanordnung vom Haftrichter in der Kaserne in Zürich überprüft. Nach der Haftrichterverhandlung hat Barbara Ludwig im ersten Stock ihres Ausschaffungsknasts in Kloten einige Zellen für die «renitenten Transitflüchtlinge» freigemacht. Der erste Stock ist die Eintritts- und Disziplinierungsabteilung des Gefängnisses, in der die Zellentüren während des Tages nicht geöffnet werden.
Bemerkenswert an diesem Vorgang ist, dass die vom BFF erlassene Einreisesperre plötzlich nicht mehr gültig war, als die Transitflüchtlinge zum Haftrichter nach Zürich und in den Flughafenknast geführt werden mussten. Gerichte werden wohl irgendwann einmal zu prüfen haben, ob Transitflüchtlingen, denen man die Einreise in die Schweiz verweigert und die ein allfälliges Asyl-Rekursverfahren in ihrem Herkunftsland abwarten müssen, für die Vorbereitung und den Vollzug einer Zwangsausschaffung in die Schweiz «hineingeführt» werden dürfen.
 
Gefesselt und geknebelt nach Kamerun ausgeschafft
Für das Schicksal der westafrikanischen Flüchtlinge, die am 19. Mai im Flughafen Widerstand geleistet haben, ist dies nur noch eine akademische Frage. Zwei Wochen nach ihrer Ankunft in Zürich waren sie bereits zu drei Monaten Ausschaffungshaft verurteilt und in Barbara Ludwigs Flughafenknast geführt worden. Von dort holte die Kantonspolizei die Flüchtlinge in den folgenden Wochen allein oder in kleinen Gruppen ab, um sie nach Westafrika zu deportieren. Der Letzte der Flüchtlinge verliess die Schweiz am 28. Juni – sieben Wochen nachdem er in Zürich-Kloten bei einem Zwischenhalt auf seiner Reise nach London plötzlich festsass.
Es bleibt zu berichten, wie die beiden von augenauf interviewten Männer ihre Deportation schildern. Die unabhängig voneinander gemachten Darstellungen stimmen überein. Ein Überfallkommando der Kantonspolizei stürmt die Zelle im Flughafengefängnis, in denen der Flüchtling festgehalten wird. Die Beamten schmettern den Häftling auf den Boden, fesseln ihn, knebeln ihn mit einem Klebeband und verfrachten ihn darauf in eine Zelle im Flughafengebäude. Nach einer längeren Wartezeit holt man den auf die Deportation Wartenden ab, führt ihn zur bereitstehenden Maschine und setzt ihn auf einen mit Vorhängen abgetrennten Sitz. Gefesselt, geknebelt, festgeschnallt und ohne Sicht – das Fenster des Flugzeugs ist mit Vorhängen verdeckt – beginnt der Flug nach Yaounde. Auf dem Flughafen der Hauptstadt Kameruns wird der Häftling von den mitfliegenden Zürcher Kantonspolizisten direkt der örtlichen Polizei übergeben und von dieser in Haft genommen.
Von einem der Flüchtlinge haben wir gehört, dass er nach seiner Deportation noch drei Tage in Yaounde inhaftiert war. Dank Schmiergeld ist er vorerst wieder freigekommen.

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