Bulletin Nr. 22; September 1998

Grauzone Flughafenverfahren

Das Flughafenverfahren ist ein Schnellverfahren mit schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen. Vom/von der AsylbewerberIn wird verlangt, innert weniger Tage genügend Beweise für die Verfolgung im Herkunftsland vorzubringen. Dies ist bereits im Rahmen des normalen Asylverfahrens schwierig. Im Transit ist es faktisch ein Ding der Unmöglichkeit. Generell sind alle Beteiligten einem enormen Zeitdruck ausgesetzt. Selbst für erfahrene AnwältInnen ist es nicht möglich, den Überblick über laufende Entscheide und Fristen zu behalten. Kürzlich wurde einem Anwalt eine einstündige Frist gewährt, um Stellung zu einem Entscheid der Asylrekurskommission (ARK) zu nehmen.

 
Flughafenverfahren: Vorzimmer zum negativen Asylentscheid
Der Entscheid des BFF, einem Flüchtling die Einreise in die Schweiz nicht zu bewilligen und ihn/sie dem «Flughafenverfahren» zuzuweisen, kommt unter den gegenwärtigen Bedingungen einer Ablehnung des Asylgesuchs gleich. Im Flughafenverfahren besteht kaum genügend Zeit, um den Flüchtling anzuhören. Letztlich geht es darum, den/die AsylbewerberIn innert den fünfzehn Tagen loszuwerden, die das «Flughafenverfahren» maximal dauern darf. Länger als fünfzehn Tage dürfen Asylsuchende nicht im Transitbereich festgehalten werden. Einsprachen gegen den negativen Asylentscheid werden von der Asylrekurskommission (ARK) routinemässig abgelehnt. Einem Rekurs entzieht die ARK die aufschiebende Wirkung, was zur Folge hat, dass der Flüchtling ausgeschafft werden kann, bevor die ARK über den Rekurs entschieden hat. Gelingt es den Flüchtlingen, nicht innert kurzer Zeit Kontakt mit der Aussenwelt aufzunehmen, sind die Chancen, doch noch in die Schweiz einreisen zu können und in das normale Asylverfahren zu treten, praktisch gleich null.
 
Grenzpolizei überhört Asylanträge
Da Ausführungsbestimmungen zum Flughafenverfahren fehlen und es auch keine «Hausordnung» für den Transit gibt, sind der Willkür Tür und Tor geöffnet. Die Betroffenen befinden sich in einem von der Flughafenpolizei sehr streng kontrollierten Bereich, zu dem kaum jemand Zutritt hat. Die Grenzpolizei und Vertreter der Swissair weigern sich oft zur Kenntnis zu nehmen, dass Flüchtlinge ein Asylgesuch stellen wollen und dürfen. Nach Erfahrungen von augenauf und anderen im Transitbereich tätigen Gruppen und Personen wird eine unbekannte Zahl von Flüchtlingen im Stillen mit dem nächsten Flugzeug an ihren Herkunftsort abgeschoben, ohne dass sie ihren Asylantrag stellen konnten. augenauf sind vier Fälle bekannt, bei denen im letzten halben Jahr im letzten Moment eine Rückschiebung verhindert wurde und die Flüchtlinge in die Schweiz einreisen konnten, um ein Asylgesuch zu stellen. Ohne Verwandte, die sich von aussen für ihre Angehörigen eingesetzt haben, hätten die Betroffenen keine Chance auf ein reguläres Verfahren gehabt. Vier weitere Personen schaffte die Flughafenpolizei vor einem möglichen Kontakt zurück.
Die Lebensbedingungen im Transitbereich sind miserabel. Die Flüchtlinge erhalten Essensbons. Zwei Räume stehen für die Übernachtung zur Verfügung. augenauf ist im Besitz von Schilderungen Betroffener, in denen sie über Streichung des Essensbons oder Verweigerung der Möglichkeit zu duschen berichten. Offensichtlich werden diese Mittel als Disziplinarstrafen eingesetzt. Spaziergänge an der frischen Luft sind selbst während mehrwöchigen Transitaufenthalten nicht möglich. An die Öffentlichkeit dringen in der Regel nur dramatische Appelle von Flüchtlingen, wenn sie zum Mittel des Hungerstreiks greifen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen oder in ihrer Verzweiflung versuchen, sich selbst zu töten. Vom versuchten Hungerstreik im Mai dieses Jahres (siehe «Aufstand im Transit» weiter unten) hörten wir nur durch Zufall, kurz bevor die letzten Beteiligten ausgeschafft wurden.
 
Ausbau des Transitverfahrens
Wie aus einem Bericht der vom Bund und den Kantonen eingesetzten Arbeitsgruppe «Wegweisungsvollzug» vom 31. März 1998 unter anderem hervorgeht, soll das Flughafenverfahren ausgebaut und international koordiniert werden. In ihrem Schlussbericht zuhanden des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes (EJPD) und der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren fordern Vertreter des BFF und kantonaler Polizeiorgane die «Konstituierung einer Arbeitsgruppe ‘Flughafen’, die sich mit dem Flughafenverfahren auseinandersetzt, die Einführung von ‘pre entry measures’ prüft, sowie die Möglichkeit von freiwilligen Vereinbarungen betreffend ‘carrier sanctions’ untersucht.»
Die Abteilung «Ausreise und Aufenthalt» des BFF wird um eine «spezielle Einheit erweitert»: Die «Sektion Vollzugsunterstützung» (VU). Diese «Sektion tauscht Erfahrungen» der Schweizer Behörden und Polizeien beim Vollzug von Ausschaffungen «mit Vollzugsbehörden der Nachbarstaaten aus». «Zudem beteiligt sie sich an Verhandlungen über Rückübernahmeabkommen und ist für deren Umsetzung mitverantwortlich». Schliesslich steht «die Sektion VU den kantonalen Vollzugsbehörden, der Flughafenpolizei sowie den Haftrichtern als Anlauf- und Auskunftsstelle zur Verfügung».
Weshalb diese Arbeitsgruppe sich derart stark dem «Flughafenverfahren» annimmt, wird erst dann klar, wenn beachtet wird, was als flankierende Massnahme unter anderem vorgeschlagen wird: «Erstinstanzlicher Entscheid rund eines Viertels aller Gesuche in der ersten Verfahrensphase vor Zuweisung an die Kantone». Da bietet sich der Flughafen ideal an, die AsylbewerberInnen erst gar nicht in die Schweiz einreisen zu lassen, sondern im Rahmen des «Flughafenverfahrens» innert zwei Wochen wieder abzuschieben. «Zur Erreichung der Zielsetzung hat die Arbeitsgruppe ausgehend vom Handlungsbedarf einen Katalog mit insgesamt 73 Massnahmen zusammengestellt.»
Diese 73 Massnahmen waren nicht Bestandteil der aktuellen Parlamentsdebatte im National- und Ständerat in Bern zur Asylgesetz-Revision. Die Total-Revision des Asylgesetzes war noch nicht verabschiedet, als die erwähnte Arbeitsgruppe folgenden Punkt der zweiten Priorität ihres Handlungsschemas zuordnete: «Es wird eine rechtliche Grundlage für die Datenbearbeitung durch die Kantone sowie ein spezielles Grenz- und Flughafenverfahren im Ausländerbereich geschaffen. Der Bund prüft bis Herbst 98, ob sich diese Massnahmen im Rahmen einer vorgezogenen Teilrevision des ANAG realisieren lassen.»
Obwohl das Referendum gegen die Total-Revision des Asylgesetzes noch läuft, bereiten die Herren bereits den Übergang zum nächsten Abbau des Asylrechts vor.
 
Fluggesellschaften verantwortlich für Kontrolle von Pässen und Visas
Unter den Forderungen erster Priorität heisst es: «Eine zu konstituierende Arbeitsgruppe ‘Flughafen’ wird sich mit der Praxis der schweizerischen Asylrekurskommission und des schweizerischen Bundesgerichts zu Flughafenverfahren auseinandersetzen und entsprechende Lösungen erarbeiten. Zudem wird sie die Einführung von ‘pre entry measures’ prüfen. Im weiteren wird die Arbeitsgruppe die Möglichkeit von freiwilligen Vereinbarungen mit Fluggesellschaften betreffend ‘carrier sanctions’ untersuchen. Die Arbeitsgruppe wird spätestens im Herbst 98 konkrete Massnahmen vorschlagen.»
Als zweite Priorität gilt unter anderem: «Zur Verminderung der illegalen Einreise werden in ausgewählten Staaten Stichkontrollen von Reisepapieren auf Flughäfen durch das Personal der Schweizer Vertretungen vorgenommen.»
Als dritte Priorität gilt schliesslich: «Durch Spezialabkommen mit Fluggesellschaften werden die Platzkapazitäten und Transportkontingente für Rückführungen auf Linienflügen ausgebaut.»
Als die Swissair letztes Jahr entschied, die Interkontinentalflüge in Zürich zu konzentrieren, entzog sie – gewollt oder nicht – einer gutorganisierten Transitgruppe den Boden. Das Genfer Flüchtlingsnetz «ELISA» hatte nach jahrelangem Kampf erreicht, dass im Genfer Transit eine Dauerpräsenz eingerichtet werden konnte, die eine unabhängige, kompetente Beratung der Transit-Flüchtlinge ermöglichte. In Zürich hingegen war der Transitbereich noch vor einem Jahr ein weisser Fleck für die Asylbewegung. Die inzwischen vom Schweizerischen Roten Kreuz, von den Kirchen und den Hilfswerken geschaffene Teilzeitstelle ist leider nicht mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein. Seit Juli 97 führen diese Organisationen eine Beratungsstelle im Transit, die an zwei Nachmittagen geöffnet ist. In einer Vereinbarung mit der Flughafenpolizei verzichtet die angestellte Juristin auf die Annahme direkter Mandate. Hilfesuchende Flüchtlinge werden an Drittpersonen verwiesen. Asylsuchende dürfen einzig und allein an die Asylberatungsstelle an der Bertastrasse in Zürich weitervermittelt werden.
 
augenauf fordert die ersatzlose Aufhebung des Flughafenverfahrens
Alle Menschen, die Asyl beantragen, sollen gleich behandelt werden und in die Schweiz einreisen können.
 
 
«Pre Entry Measures»
Gemeint sind damit nochmalige genaue Kontrollen der Pässe durch Sicherheitsleute des Ziellandes, strengere Kontrollen und Hürden bei den Botschaften und Konsulaten bei der Visa-Erteilung. So ordnen z.B. kanadische und englische Behörden bei der letzten Destination ausserhalb ihrer Staaten sehr strenge Vorkontrollen an. Im Flughafen Zürich übernimmt die Swissair-Tochter CGS diese Arbeit.
 
«Carrier Sanctions»:
Jedes Transportunternehmen – egal ob Bus, Zug oder Flugzeug – ist verantwortlich dafür, dass ihre Passagiere über gültige Reisepapiere und -dokumente verfügen. Sie müssen auch für Kosten der Rückreise und weitere Spesen (Telefon, Kostgeld) aufkommen, falls Passagiere nicht einreisen können.


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