Bulletin Nr. 21; Januar 1998
Die «politische Sensibilität» der Stadtpolizei Zürich (eine
Fortsetzungsgeschichte)
Antifaschistischer Spaziergang vom 19.12.97
Einmal mehr verprügeln und verhaften Polizisten TeilnehmerInnen einer
Antifa-Demo, während die Skinheads daneben stehen, eindeutig rassistische
Parolen rufen, «Sieg Heil» gröhlen, dabei den rechten Arm reckend. Für
einmal geschieht dies nicht in abgelegenen Ecken, sondern mitten im
Hauptbahnhof Zürich an einem Freitagabend – zur Hauptverkehrszeit also. Im
folgenden dokumentieren wir zwei Presseerklärungen, die bezeichnenderweise
in den Medien nicht erwähnt wurden. Stattdessen wurde in der
Berichterstattung erneut der Eindruck erweckt, die Gewalt sei von den
TeilnehmerInnen der Demo ausgegangen. Von den Skinheads war nur am Rande
die Rede, die vorbildliche Arbeitsteilung zwischen Polizei und Skinheads
war absolut kein Thema. Während Punks, die sich regelmässig in der grossen
Halle treffen und ihre Bierchen trinken, Platzverbot erhalten, tolerieren
dieselben Beamten die Treffen der Skins im Restaurant Fédéral.
Wir möchten an dieser Stelle allfällige ZeugInnen des 19.12. bitten, sich
so schnell als möglich bei augenauf zu melden.
Aus der Presseerklärung der «Roten Hilfe» (Zürich) vom 29.12.97
Polizei gegen AntifaschistInnen
Am Freitag, 19.12.97, fand abends ein anfänglich von der Polizei
unbemerkter antifaschistischer Abendspaziergang statt. Zwischen 70 und 100
Leute machten eine Demo durchs Niederdorf zum Hauptbahnhof. Zum Bahnhof
deshalb, weil sich das im Bahnhof befindende Restaurant Fédéral zum neuen
Treffpunkt der Skinheads entwickelt hat. In und um den Hauptbahnhof kam es
in letzter Zeit zu etlichen Angriffen auf Punks und AusländerInnen. Die
Skins können sich – ausdrücklich toleriert vom Wirt – ungestört im Fédéral
versammeln und von dort aus ihre Angriffe starten und sich wieder dorthin
zurückziehen. Nach der Pumpi-Bar ist das Fédéral die neue Station der
Zürcher Skinhead-Szene.
STAPO, KAPO und Bahnhofpolizei helfen Skinheads
Die Demo war eigentlich schon vorbei, viele waren bereits gegangen, da
griff aus dem Bahnhof heraus eine Gruppe von Skins einige Leute an, die sie
für DemoteilnehmerInnen resp. Linke hielten. Die Angegriffenen wehrten
sich, worauf es zu einer Auseinandersetzung mit Faschos kam – und
keineswegs mit sog. unbeteiligten Passanten, wie das Polizeicommuniqué
glauben machen wollte. Dieser angebliche Passant hatte schon während der
Demo im Niederdorf versucht, auf Höhe der Bierhalle die Demo anzugreifen.
Sofort stürzten sich rudelweise Bahn- und Stadtpolizisten nicht auf die
angreifenden Skins, sondern auf die vermeintlichen DemoteilnehmerInnen.
Dabei gingen sie äusserst brutal vor. Einer Person wurde aus nächster Nähe
Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. Eine andere wurde von einem Bahnbullen
kopfvoran und mit voller Wucht auf den Steinboden geworfen. Beide wurde
verhaftet und mussten von der Polizei ins Spital gebracht werden, wobei bei
dem Verhafteten, der vollgesprayt worden ist, dies nur deshalb passiert
ist, weil eine weitere verhaftete Person darauf insistiert hatte.
Pfefferspray aus nächster Nähe führt unbehandelt zu schweren Verätzungen
der Augen.2 PassantInnen, die sich über den brutalen Polizeieinsatz
empörten, wurden ebenfalls mit Tränengas- und Pfefferspray eingedeckt und
massiv verprügelt. Ein Passant wurde kurzerhand festgenommen. Gesamthaft
wurden 5 Leute verhaftet.
Polizei ignoriert Hitler-Gruss
Während der Verhaftungsaktion standen die Skinheads mit dem Hitlergruss und
«Sieg-Heil» skandierend herum, direkt neben den Polizisten, die sie nicht
daran hinderten. Augenzeugen sahen, wie sich Faschisten und Polizisten
angeregt unterhielten. Ferner konnten die Skinheads ungestört herumlaufen
und sich die Verhafteten anschauen, die auf dem Boden lagen. Im weiteren
riefen die Polizisten lauthals Namen von Verhafteten herum. Angesichts der
in letzter Zeit häufigen Übergriffe von seiten der Skinheads ist dies einem
Freipass zur Jagd auf Linke gleichzusetzen. Die Polizei nimmt bewusst in
Kauf resp. fördert es, dass Linke von Faschisten massiv angegriffen und
verletzt werden könnten.
Augenzeugenbericht
L. ist zusammen mit einem Freund – M. – unterwegs. Nichtsahnend durchqueren
sie den Hauptbahnhof. Von weitem fällt ihnen bereits das Gerangel unter der
der grossen Anzeigentafel auf. Sie nähern sich dem Getümmel und beobachten
aus Distanz, was hier vor sich geht. Sie versuchen sich selber ein Bild zu
machen: Mehrere junge Leute liegen mit Handschellen gefesselt am Boden,
teilweise Grenadiere über sich, die ihnen auf dem Rücken sitzen.
Vereinzelte Handgreiflichkeiten sind noch im Gange. Irgendeine Demo gegen
Faschos wohl, doch stimmt dieses Bild auch nicht ganz. Am Rande und unter
den Polizisten bewegen sich frei Skinheads. Zum Teil rufen sie: «Wo ist der
mit den orangen Haaren, wo ist dieser und jener.» Die Skinheads kommen
nicht dazu, sich die Leute zu greifen, weil Polizeigrenadiere sich
Personen, auf welche die herumgeschrienen Merkmale passen, selber
verhaften. Dabei tun sich vor allem Stadtpolizisten hervor.
Stadtpolizist verteidigt Skinheads
Plötzlich steht eine Frau neben L. und M., ihre tränenden Augen mit einem
feuchten Tuch netzend. M. fragt die Frau, was denn los sei. Bevor diese
antworten kann, wird sie von einem Stadtpolizisten angefallen, zu Boden
geworfen, und ebenfalls mit Handschellen gefesselt. Ein Kapo wendet sich an
den erregten Stapo und meint, diese Frau doch in Ruhe zu lassen, sie hätte
ja gar nichts gemacht. Als die Skinheads die Verhaftungen mit
«Sieg-Heil»-Rufen und ausgestrecktem Arm kommentieren, weiss L. nicht mehr,
was er tut und schreit «Scheiss-Faschos». Darauf taucht aus dem nichts ein
Stadtpolizist vor ihm auf und drückt ihm mehrere Sekunden lang einen
Pfefferspray aus sehr kurzer Distanz ins Gesicht. Laut M. handelte es sich
dabei um denselben Polizisten, der bereits die Frau neben ihnen angefallen
hatte. Danach waren er und sein Freund die nächste halbe Stunde damit
beschäftigt, die Augen auszuwaschen, damit L. wenigstens ein wenig die
Augen wieder öffnen konnte und der ärgste rasende Schmerz vorüberging.
Wie ist es wohl jenen ergangen, die in Handschellen am Boden lagen,
ebenfalls mit Pfeffer- und Tränengassprays abgespritzt?
L. ist am meistens erschrocken darüber, dass sich Skinheads und die
Polizeigrenadiere offensichtlich in die Hände arbeiteten, eine gute
Arbeitsteilung einhielten: Die Skinheads rufen Merkmale von Personen aus,
die ihnen negativ aufgefallen sind, die Grenadiere verhaften diese.
Aus der Pressemitteilung der Anwälte der Verhafteten
Am vergangen Freitag wurden anlässlich einer antifaschistischen
Demonstration mehrere Demoteilnehmer verhaftet. Derweil die Kantonspolizei
die von ihr Verhafteten nach wenigen Stunden wieder freiliess, beantragte
die Stadtpolizei für zwei (von ihr) arretierte Personen wegen Verdachts auf
Gewalt und Drohung gegen Beamte bei der Bezirksanwaltschaft Zürich
Anordnung von Untersuchungshaft.
Der Haftrichter kam dem Antrag nach. Der Haftgrund der Kollusionsgefahr sei
gegeben, weil Polizeibeamte als Zeugen einzuvernehmen und mit den
Mitangeschuldigten Konfrontationseinvernahmen durchzuführen seien.
Vier Wochen Untersuchnunggshaft wegen kantonalen Sparmassnahmen
Bezirksanwaltschaft und Haftrichteramt waren und sind sich bewusst, dass im
Zuge der allgemeinen Sparmassnahmen laut einem Beschluss des
Regierungsrates sämtliche kantonalen Dienststellen zwischen dem 20.
Dezember und 4. Januar de facto geschlossen sind. Die Beamten weilen in
Zwangsferien, die Heizung der Gebäude ist auf Sparflamme gedrosselt. Bei
der Bezirksanwaltschaft amtet zwar pro forma ein Pikettdienst. Dieser kann
aber nicht einmal daran denken, irgendwelche Untersuchungshandlungen ins
Auge zu fassen, geschweige denn solche durchzuführen.
Es darf wieder einmal in Erinnerung gerufen werden, dass die Stadtpolizei
sich in einer langen Tradition lieber auf AntifaschistInnen stürzt als
Skinheads zu behelligen. So wurden die antifaschistischen DemonstrantInnen
am 19.12. unter Sieg-Heil-Rufen der umstehenden Skinheads verhaftet.
Frohe Festtage in kühlen Zellen
Auch beim Entscheid auf Anordnung der Haft scheinen politische Kriterien im
Vordergrund gestanden zu haben. Betrachtet man nämlich den Vorwurf und die
Umstände des Falles aus nüchterner juristischer Sicht, erscheint das
Verdikt des Haftrichters als klar unverhältnismässig. Als Folge der
Sparmassnahmen des Kantons ist damit zu rechnen, dass unsere Mandanten
mindestens vier Wochen in Untersuchungshaft verbleiben werden.
Bezirksanwaltschaft und Haftrichter werden sich auf den Standpunkt stellen,
die Hände seien ihnen wegen der Sparwut der Regierung gebunden. Diese
wiederum wird über die Krise und das Haushaltsloch jammern. Und die
Stadtpolizei wird ihre Rechtslastigkeit über ihren sozialdemokratischen
Chef empört von sich weisen.
Unsererseits halten wir fest, dass dieser Fall durchaus System hat und
einen bedenklichen Umgang mit den Grundrechten, welche dieser Staat zu
verteidigen vorgibt, dokumentiert.
Am zweiten Arbeitstag im neuen Jahr, Dienstag, dem 6.1.98, wurden die
beiden Untersuchungsgefangenen auf Anordnung des Haftrichters entlassen.
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