Bulletin Nr. 19; September 1997

Repression gegen afrikanische Sexarbeiterinnen

Die Räumung der Liegenschaft Feldstrasse 141

Auf den 30. Juni des Jahres hatten alle Bewohnerinnen der Liegenschaft Feldstrasse 141 im Zürcher Kreis 4 die Kündigung erhalten. In diesem Haus wohnten mehrheitlich afrikanische Frauen, die im Sexgewerbe arbeiteten. Das Haus diente auch als Treffpunkt für afrikanische Frauen.

Am 1. Juli wollten 40 PolizistInnen die Liegenschaft räumen. Sie stand jedoch bereits leer. Hintergrund der Kündigungen ist ein Verwaltungsgerichtsentscheid vom März 1997, laut dem Sexsalons in Stadtgebieten mit einem Wohnanteil von über 50 Prozent nicht mehr zulässig sind. Für die «Aktion Pro Langstrasse», ein gemeinsames «Stadtsanierungsprojekt» von Verwaltung, Polizei und sogenannt linksliberalen QuartierbewohnerInnen, hat der «Fall Feldstrasse» Präzedenzcharakter. Zusammen mit der Polizei wird die Räumung weiterer Liegenschaften vorbereitet.
Verschiedene Frauengruppen protestierten anfangs Juli gegen die Räumung der Feldstrasse 141, da die Räumung letztlich auf Kosten der Frauen geht, die diese Liegenschaft benutzt haben. Im Pressecommuniqué der Frauengruppen heisst es:
«Es ist Aufgabe der städtischen Politik, diesen Frauen Alternativen anzubieten, die sie vor Ausbeutung durch Hintermänner schützen. Stattdessen zementiert die Stadt eine Perspektivlosigkeit, die Frauen aus dem Trikont durch das Drei-Kreise-Modell ins Sexgewerbe kanalisiert und den Umstieg in andere Berufe verbietet. Dass es gerade das Haus an der Feldstrasse 141 getroffen hat, das auch unabhängig vom Sexgewerbe als Treffpunkt von AfrikanerInnen diente, ist Ausdruck von rassistischer Vertreibung besonders marginalisierter Gruppen. Wir fordern die verantwortlichen PolitikerInnen der Stadt Zürich dringend auf, für Lösungen einzutreten, die die Menschen – in diesem Fall Sexarbeiterinnen – bei der Selbstorganisation unterstützen. Dies bedeutet, ihnen konkrete Angebote zu machen, statt einseitig die Interessen einer gesellschaftlichen Gruppe – in diesem Fall der Aktion Pro Langstrasse – durchzusetzen. Da sie die Frauen noch erpressbarer macht, arbeitet die Vertreibung der Sexarbeiterinnen aus der Feldstrasse 141 zudem jenen in die Hände, die von diesen Frauen profitieren. Daher fordern wir die städtischen Verantwortlichen auf, umgehend auf die Legalisierung und die Entgrenzung der Arbeitsbewilligung dieser Frauen hinzuwirken».
Am 5. Juli fand während des Longstreet-Carnivals ein Spaziergang durch die Langstrasse statt, mit dem rund hundert Männer und Frauen ihre Solidarität mit den Migrantinnen, die im Sexgewerbe arbeiten, und ihren Protest gegen die rassistische Hetze von Quartiervereinen, Behörden und Medien gegen die Frauen ausdrückten.
 
Berichte der Bewohnerinnen
Vor der Räumung gab es im Haus an der Feldstrasse 141 immer wieder Polizeirazzien und -kontrollen, bei denen es zu massiven Übergriffen seitens der Polizei kam. Wir dokumentieren eine Zusammenstellung von Berichten der ehemaligen Bewohnerinnen.
Die Polizei führte ihre Kontrollen immer in Gruppen von 10 bis 15 BeamtInnen durch. Verschiedene Frauen berichten vom überfallartigen Auftreten der PolizistInnen, die teilweise mit gezogenen Waffen und mit Hunden auftraten und das Haus wiederholt in zerstörtem Zustand zurückliessen – kaputte Türen, durchwühlte Zimmer, fehlende Gegenstände und fehlendes Geld.
«Als ich zurückkam, stand die Wohnung offen, die Türe war herausgerissen und kaputtgemacht. Die ganze Wohnung war durchwühlt, alle Dinge lagen zerstreut herum». – «Sie stiegen die Treppe hoch und zerstörten alles, was sie unterwegs antrafen, zum Beispiel die Glühbirnen, und schlugen dabei mit ihren Stöcken gegen die Wände». – «Als sie kamen, um das Haus zu kontrollieren, betraten sie unsere Wohnungen immer ohne jeden Respekt. Wenn eine von uns anwesend war, wurde sie kontrolliert. Wenn keine da war, zerstörten sie die Eingangstüre, durchsuchten die Wohnung vollständig und liessen die Türe offen, wenn sie wieder gingen. Wenn du nicht da warst, hast du nachher nichts mehr gefunden» – «Das Haus an der Feldstrasse war für die Polizisten ein Spiel. Sie kamen herein, sie zerstörten, sie durchsuchten alles und gingen wieder. Sie kamen immer in einer Gruppe - sie amüsierten sich»
Die ehemaligen Bewohnerinnen berichten vom Umgang der Polizei mit den Frauen, die sie im Haus antrafen.
«Es war Mittag und wir sassen beim Essen. Es hat an die Tür geklopft und wir haben aufgemacht. Plötzlich stürmten etwa zehn uniformierte Polizisten mit vorgestreckten Waffen die Wohnung – ohne etwas zu sagen. Wir sind sehr erschrocken. Je zwei stürzten sich auf uns und brachten uns mit Gewalt in verschiedene Zimmer. Dort haben sie mich gefesselt und auf das Bett geworfen. Ich versuchte aufzustehen, aber ein Polizist stiess mich von hinten wieder mit dem Gesicht nach unten aufs Bett zurück». – «Die Polizistin zog ihre Handschuhe an und durchsuchte mich vor den zwei Polizisten. Sie sagte mir, ich solle mich vollständig ausziehen. Ich musste völlig nackt vor den anwesenden Polizisten stehenbleiben, die mich anschauten». – «Es klopfte an der Türe. Ich fragte, wer es sei. Die Antwort war: ‘Polizei’. Ich sagte: ‘Warten Sie, ich öffne’. Während ich zur Türe ging, um sie zu öffnen, gaben sie der Türe einen sehr starken Schlag und drückten sie gegen mich. Ich war genau hinter der Türe und fiel zu Boden, mit der Türe auf mir». – «Es war drei Uhr morgens und ich war am Schlafen. (...)Plötzlich sind viele PolizistInnen hereingestürmt und sagten ‘bewegt Euch nicht’. Zwei Polizisten kamen zu mir, packten mich und zwangen mich, mit erhobenen Händen an die Wand zu stehen. Zwei Polizisten hatten eine Waffe und einer richtete seine gegen mich und meine Kollegin. Sie trennten uns und stiessen uns einzeln in ein Zimmer mit je einem bewaffneten Polizisten. Ich war allein im Zimmer mit einer Polizistin und dem Polizisten, der seine Waffe weiter auf mich richtete. Die Polizistin sagte mir, ich solle mich ausziehen. Nachdem ich ihr meine Bluse gereicht hatte, verlangte sie, dass ich auch meinen BH und meine Perücke ausziehe. Ich musste mich vollständig ausziehen, während der Polizist immer noch anwesend war und mit der Waffe auf mich zielte. Als ich ganz nackt war, verlangte sie wieder, dass ich die Perücke ausziehe. Ich sagte ihr, dass ich keine Perücke hätte. Sie meinte, dass alle Schwarzen eine Perücke tragen würden und berührte einfach meine Haare. Dann rief sie den Polizisten mit der Waffe, damit er meine Haare auch anschaue. Auch er berührte meinen Kopf. Es war schrecklich. Ich ganz nackt und die zwei, die mit mir spielten und nicht glaubten, dass ich keine Perücke trage».
Es gibt viele Frauen, die während den Kontrollen von den Polizisten bestohlen wurden. Sie nahmen das Geld, das sie beim Durchsuchen der Wohnung fanden, und gaben nie eine Quittung. Da die Frauen nicht einmal wussten, dass sie das Recht auf eine Quittung haben, fragten sie nicht danach. Andererseits bin ich sicher, dass die Polizisten ihnen auch keine Quittung gegeben hätten, wenn sie danach gefragt hätten, bei ihrem brutalen Verhalten.
Eine Frau berichtet über die Bedeutung, die die Feldstrasse 141 für die Afrikanerinnen hatte: «In diesem Haus versammelten wir uns. Manchmal diskutierten wir, um denen zu helfen, die ein Problem hatten. Es war für uns ein wichtiger Treffpunkt. Jetzt haben wir nichts mehr, wir haben uns aus den Augen verloren».

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