Bulletin Nr. 19; September 1997

Neue Politik in den Durchgangszentren

Unterdrückung, Spaltung und Arbeitszwang

Am 1. September trat das Ausschaffungsabkommen zwischen der Schweiz und Ex-Jugoslawien in Kraft. Über 10’000 Menschen aus Kosova sollen in den nächsten Monaten und Jahren die Schweiz verlassen oder zwangsweise ausgeschafft werden. Und auch die anderen Ausschaffungen – etwa nach Algerien – laufen weiter. Das Klima, in dem Ausschaffungen um jeden Preis und wohin auch immer als gerechtfertigt erscheinen, ist in den letzten Monaten geschaffen worden. Parallel dazu wächst auch im Innern der Druck auf die Flüchtlinge. 'augenauf' liegen Papiere der Asylorganisation für den Kanton Zürich vor, die Strategien zur vermehrten Kontrolle, einem System von Strafen und Belohnen, sowie Arbeitszwang vorsehen. Die Planungen sehen auch besondere Unterkünfte für die von den Behörden geschaffene Kategorie der «dissozialen» und «renitenten» Flüchtlinge vor.

 
Polizeirazzien und Feindbilder
Die Situation in den Flüchtlingsunterkünften hat sich in den letzten Monaten in der ganzen Schweiz zugespitzt. Allerdings gelangen nur wenig Informationen an die Öffentlichkeit. Bekannt werden nur grössere Razzien der Polizei. Diese Razzien werden meist mit internen Konflikten – zum Beispiel Schlägereien unter den Asylsuchenden – begründet. Es wird also der Eindruck erweckt, dass die Polizei nur im Notfall einschreitet und verhindert, dass sich die Flüchtlinge gegenseitig verletzen. Zudem wird suggeriert, dass bestimmte Flüchtlinge speziell kriminell sind. Die Thurgauer Regierung etwa ersuchte Ende März den Bundesrat, dem Kanton keine Asylbewerber aus Kosova mehr zuzuweisen – «aus tiefer Sorge» über die angeblich zunehmende Kriminalität dieser Leute.
In der Berichterstattung der Medien über die Polizeirazzien in den Flüchtlingsunterkünften wurde das Bild des gewalttätigen Asylbewerbers kreiert, der nur noch bedingt von der Polizei in Schach gehalten werden könne. Natürlich spricht von den vor Ort recherchierenden Journalisten niemand mit den Flüchtlingen selbst. Dafür kommen regelmässig Polizeisprecher, BFF-Beamte und Heimleiter zu Wort. Im Tages-Anzeiger vom 4. April wird am Ende eines Artikels über den Polizeieinsatz im Aufnahmezentrum in Chiasso ein Flüchtlingsbetreuer wie folgt zitiert: «Manche der heutigen Asylbewerber sind aufgrund ihrer Erziehung und ihrer Erfahrungen gar nicht fähig sich anzupassen. Unsere Hausordnung wird nicht beachtet, sie rauchen, wo sie wollen, und manchmal gelingt es ihnen, Alkohol an den Securitaswächtern vorbei ins Haus zu schmuggeln. Das alles schafft Probleme».
In der Berner Zeitung des gleichen Tages wird der Chef der Berner Flüchtlingsbetreuung wie folgt zitiert: «Das Gewaltpotential unter den Leuten aus dem Kosovo und Albanien hat in den Asylzentren zugenommen. Die Schwelle zur Kriminalität unter diesen Leuten ist niedrig. Die Herkunft spielt also bezüglich Kriminalitätspotential eine entscheidende Bedeutung». Der Chef der Schwyzer Asylbetreuung, Heinz Schönauer, bringt den gleichen Inhalt im Boten der Urschweiz vom 31. Mai auf den rassistischen Punkt: «Das Hauptproblem heute ist die absolute Negation unserer Ordnung durch die Asylbewerber. Diese Negation läuft für mich auf eine Respektlosigkeit gegenüber dem Gastgeber hinaus. Bei anderen Ethnien war das früher anders. Ein Tamile oder ein Kurde ist nicht so».
Auch im Kanton Zürich ist in den vergangenen Monaten kräftig am Bild des kriminellen Asylbewerbers gearbeitet worden. So protestierte der Gemeinderat von Embrach öffentlich gegen das Durchgangszentrum auf Embracher Boden, weil neuerdings das Heim «nur noch von Einzelpersonen aus verschiedenen Ländern und unterschiedlichen Kulturkreisen» frequentiert werde. Dies habe nicht nur zu einer stark zunehmenden Kriminalität der Bewohner geführt, sondern auch zu einer Verunsicherung in der Bevölkerung» (NZZ 26. Mai). Das Bülacher Tagblatt zitiert Anwohner mit den Worten: «Wir haben den Krieg importiert» (21. April). Auch der Gemeinderat von Lindau protestierte gegen ein Durchgangszentrum in seiner Gemeinde. Man erhoffe sich eine straffere Führung und mehr Polizeipräsenz. Die Kriminalität sei in der letzten Zeit massiv angewachsen (TA 26. Juni).
Allein in den zwölf Durchgangszentren, die unter der Leitung der Asylorganisation für den Kanton Zürich (AO) stehen, sind in den ersten fünf Monaten dieses Jahres 17 Razzien durchgeführt worden, wie der Leiter der AO, Rolf Widmer, gegenüber der WoZ erklärte. Am 5. Juni sollten mit einer Polizei-Razzia in Winterthur zudem ganz offensichtlich nicht nur Asylbewerber eingeschüchtert, sondern auch die SchweizerInnen propagandistisch auf vermehrte Ausschaffungen vorbereitet werden. Mit einem 150-köpfigen Aufgebot durchsuchten Kantons- und Stadtpolizei das Durchgangszentrum Maise. Für diese Aktion verantwortlich zeichnete der sozialdemokratische Stadtrat Ernst Wohlwend, der dem Landboten zu Protokoll gab, es sei «zu verhindern, dass die faulen Äpfel die gesunden anstecken».
 
Strafen und Belohnen
Die Asylorganisation für den Kanton Zürich (siehe Kasten) hat sich in den letzten Monaten intensiv mit Massnahmen zur besseren Kontrolle der BewohnerInnen der Durchgangszentren auseinandergesetzt. Im Kanton Zürich soll zu diesem Zweck noch im September ein Zentrum für sogenannt «dissoziale Asylbewerber» eröffnet werden, wie AO-Chef Rolf Widmer gegenüber der WoZ bestätigte. Das Heim ist gedacht für vierzig bis fünfzig Personen. Es soll eine Schlafmöglichkeit bieten und Essen bereitstellen – mehr nicht. Ein- und Ausgänge sollen lückenlos kontrolliert werden.
In der Asylunterkunft Bühl in Zürich-Wiedikon sind die Folgen der neuen Betreuungspolitik bereits spürbar. Im Zentrum Bühl ist den BewohnerInnen Taschengeld und Essensgeld gekürzt worden. Nur wer nach Ansicht der Heimleitung genug arbeitet, bekommt die bisher übliche finanzielle Unterstützung. Deutlich wird an diesem Beispiel, dass die neue Betreuungspolitik nicht etwa zu einer Besserstellung «angepasster» Flüchtlinge führt. Das allgemeine Leistungsniveau wird vielmehr noch weiter herabgesetzt.
'augenauf' liegen die internen Diskussions- und Be-schlusspapiere der AO vor, die belegen, dass die bisher öffentlich gewordenen Massnahmen nur die Spitze des Eisberges sind. Ganz generell geht es der AO darum, die Asylbewerber in ein differenziertes System von Belohnung und Bestrafung zu führen. Der Arbeitszwang spielt in diesem System eine wichtige Rolle.
Bei der Durchsicht dieser Papiere fällt auf, dass sich die AO sehr genau bewusst ist, mit welchen Problemen die Asylbewerber konfrontiert sind, wenn sie in einem Durchgangszentrum leben. Die AO weiss um die absolut ungenügende materielle Situation der Flüchtlinge. Sie weiss um die psychischen Nöte. Und sie kennt das Problem der fehlenden Mittel. Doch die AO setzt die Vorgaben, die sich aus der schweizerischen Asylverhinderungspolitik ableiten, kompromisslos um. Sich mit dieser Situation zu arrangieren heisst in der Logik der AO, dass man voll auf die Karte Repression setzen muss.
Wir zitieren aus einem von sämtlichen Durchgangszentren-LeiterInnen verabschiedeten Papier unter dem Titel «Aktuelle Problemstellung in der Betreuung der Asylsuchenden der Kollektivzentren im Kanton Zürich»:
- «Viele Asylgesuche werden von jungen Männern im Alter von 16 bis 22 Jahren gestellt. Diese jungen Asylsuchenden befinden sich ausserhalb ihres Heimatlandes in einer Situation der Anonymität. Dies kann zum respektlosen Umgang mit Grenzen und Regeln führen.
- Die freiheitlichen Strukturen ohne sinngebende Tagesstruktur (fehlende Betreuungsstrukturen) überfordern diese jungen Menschen.
- Rückschaffungsabkommen schaffen zusätzliche Probleme (die Menschen haben nichts zu verlieren und wissen, dass wir nichts unternehmen können).
- Ein grosser Teil der Asylsuchenden stammt aus dem Balkan (Kosovo).
- Menschen aus dem Kosovo und Albanien sind über die politische Haltung der offiziellen Schweiz enttäuscht, da ihre Lage im Kosovo, in Albanien nicht gewertet wird. Sie haben den Eindruck, sie werden von den europäischen Ländern an die Serben übergeben.
- Die Betreuer/innen haben nur die Möglichkeit zu reagieren statt zu agieren. Das Betreuungsverhältnis wurde abgebaut.
- Es gibt zu wenig Möglichkeiten, kooperatives Verhalten seitens der Asylsuchenden zu belohnen. Jedes Verhalten führt zu den gleichen Grundleistungen.
- Die Ausgrenzungsmechanismen im Arbeitsmarkt machen Schwarzarbeit attraktiv.
- Es besteht kaum Aussicht auf reguläre Arbeit.
- Die Asylsuchenden verfügen über ungenügende – materielle – Mittel. Dies kann bedeuten, dass Konsumgüter wie Zigaretten etc. nur in kleinem Rahmen legal beschafft werden können. Der Schritt zur Illegalität ist dementsprechend klein.
- Die Information zwischen den Durchgangszentren und der Polizei funktioniert mangelhaft (keine Information über Gründe für U-Haft etc.).
- Für die Betreuung von Dealern und Kleinkriminellen werden die Strukturen des Asyls missbraucht und bieten ein Gefahrenpotential für die übrigen Bewohner/innen (besonders junge Asylsuchende).
- Asylsuchende aus nicht vollziehbarer Ausschaffungshaft kommen teilweise psychisch schwer angeschlagen in unsere Strukturen zurück».
Die AO zieht aus dieser «Analyse der aktuellen Probleme» verschiedene Schlüsse, allesamt basierend auf Differenzierung, mehr Kontrolle und mehr Repression.
 
Differenzierung der Flüchtlingszentren
Der AO schweben im Minimum drei verschiedene Formen von Durchgangszentren vor. Wir zitieren erneut aus dem erwähnten Papier:
- «Zentren für junge Männer von 16 bis 22 Jahren mit verbindlicher Tagesstruktur und Qualifikationssystem für Austritt.
- Erwachsenen- und Familienzentren gemäss heutigem Standard unter aktiver Beteiligung der Bewohner/innen in der Alltagsgestaltung sowie Perspektiven für die Eigenbeteiligung nach dem Austritt.
- Zentrum für Dissoziale mit bargeldloser Basisstruktur und klarer Kontrolle sowie einer Ombudsstelle für die Möglichkeit für den Übertritt in andere Strukturen auf der Basis einer Kooperationsvereinbarung».
Dieses Konzept ist aus neueren Gefängnissen bekannt. Mit der Differenzierung soll ein Straf- und Belohnungssystem dort greifen, wo die Menschen besonders empfindlich sind: Bei ihrem sozialen Umfeld, bei der Art, wie und wo und mit wem sie leben.
 
Arbeitszwang
In der Sprache der AO heisst «Arbeitszwang» «frühzeitige Erfassung der Ressourcen und Umsetzung in Arbeits- oder Beschäftigungsprogrammen». Konkret bietet die AO zwei Programme an: «Tast» ist auf Jugendliche zugeschnitten, «Workfare» steht allen anderen Flüchtlingen offen. Im Programm «Workfare» werden zum Beispiel Fahrräder für einen Stundenlohn von 3 Franken geflickt. Die Beschäftigungsmöglichkeiten sollen gemäss AO «entwicklungsfördernd, rückkehrorientiert und individuell abgestimmt» sein.
Mit den Einsätzen in den Arbeitsprogrammen sollen Asylsuchende «durch Eigenleistungen einen Beitrag an ihren Lebensunterhalt bezahlen». An anderer Stelle heisst es weiter: «Auch für Asylsuchende wird Beschäftigung zum Muss, um Anspruch auf Unterstützung zu haben (Gleichstellung zu Arbeitslosen».
Zusammenfassend heisst das: Nur wer arbeitet, soll unterstützt werden. Der Zwang zur Arbeit, wie ihn die Arbeitslosen immer mehr spüren, soll auch bei den Flüchtlingen zum Normalfall werden.
 
Umplazierung
Eine weitere Möglichkeit, die Asylsuchenden zu treffen, bietet sich bei ihren Lebensperspektiven. Bislang wurde den Asylsuchenden nach einem halben Jahr Aufenthalt im Durchgangszentrum eine neue Wohnmöglichkeit geboten, für die eine Gemeinde zuständig war. Den Übertritt in die sogenannte 2. Phase will die AO jetzt als Spielraum für ihr Belohnungs- und Bestrafungssystem brauchen. In der Sprache der AO spricht sich das folgendermassen aus: «Bonussystem: Belohnung von Kooperationsbereitschaft mit besseren Lebensbedingungen in der 2. Phase».
Die AO weiss genau, wie unterschiedlich die einzelnen Gemeinden die Angebote für Flüchtlinge ausrichten. Grössere Gemeinden wie etwa die Stadt Zürich haben ihre Einrichtungen schon differenziert. Wer arbeitet, hat Anrecht auf ein eigenes Zimmer, andere müssen sich ein Zimmer teilen. Durch die unterschiedlichen Angebote der Gemeinden bietet sich der AO zusätzlich die Möglichkeit, die Flüchtlinge einzuschüchtern: Wer nicht pariert, wird in eine Gemeinde verlegt, wo es nur bunkerähnliche Unterkünfte gibt, oder er muss sich mit einem Barackenplatz in einer SVP-Landgemeinde zufrieden geben, wo die zuständige Person der Gemeinde schon beim ersten Kontakt klar macht, dass man hier nicht willkommen ist. Zum Übertritt in die 2. Phase existiert bei der AO ein spezielles Kriterienpapier. Wer eine Einzelunterkunft oder eine Privatwohnung für die 2. Phase will, der muss schon «besondere Verdienste” erworben haben. In Betracht gezogen werden nur Personen die an den Beschäftigungsprogrammen teilnehmen und «höchste soziale Kompetenz» aufweisen. Soziale Kompetenz, dieser schwammige Begriff aus der Sozialtechnokratensprache, ist neben der messbaren Arbeitsleistung das Schlagwort schlechthin, um zu entscheiden, ob jemand in die 2. Phase übertreten kann. Es gilt als das «entscheidendste Kriterium». Was genau unter «sozialer Kompetenz» verstanden wird, ist AO-intern nirgends genau definiert worden. Sehr allgemein heisst es, dass die Asylbewerber wissen müssen, dass Zugeständnisse an die Flüchtlinge «zwingend mit entsprechenden Gegenleistungen ihrerseits» verknüpft sind. Ausserdem müssen sie sich während ihres Aufenthaltes im Durchgangszentrum «mehrmals mit der Tatsache auseinandersetzen, dass über 95 Prozent der AsylbewerberInnen die Schweiz früher oder später wieder verlassen müssen, und dass sie selber ebenfalls mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit davon betroffen sind».
 
 
Wer ist die Asylorganisation?
Die Asylorganisation (AO) untersteht dem Stadtzürcher Amt für Jugend- und Sozialhilfe. Dies wiederum untersteht der städtischen Sozialvorsteherin Monika Stocker (Grüne Partei). Der Kanton Zürich hat die AO mit der Führung der kantonalen Durchgangszentren beauftragt, mit Ausnahme derjenigen der Bezirke Winterthur und Affoltern. Zudem ist die AO für die städtischen Flüchtlingsunterkünfte verantwortlich.


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