Bulletin Nr. 18; August 1997

Sanspapiers im RIPOL: (part II)

«Um 9 Uhr morgens klopfte es an der Zimmertür von K., und 10 zivile Polizisten mit Hund stürmten ins Zimmer. Als Grund der Verhaftung gaben sie an, es sei ein Brief aus Bern gekommen und sie seien von der Frepo ersucht worden, ihn sofort zu verhaften. Als K.s Rechtsvertreterin zwei Tage später bei der Kapo vorspricht, wird ihr als Grund für das massive Auftreten und die Verhaftung ihres Mandanten angegeben, es hätte einen Hinweis gegeben, dass in diesem Haus mit Kokain gedealt werde und K. sei halt immer noch im RIPOL ausgeschrieben.» (Aus einem Protokoll.)

In den letzten Monaten wurden wir wiederholt mit der Tatsache konfrontiert, dass entlassene Ausschaffungshäftlinge von der Polizei aufgegriffen, verhaftet und zum Teil mehrere Tage in Haft gehalten werden. In der Regel wird diese Haft von den Behörden damit begründet, dass diese Personen aufgrund von «Fernhaltemassnahmen» im RIPOL(Elektronisches Verzeichnis polizeilich gesuchter Personen) zur Verhaftung ausgeschrieben seien. Die Freiheit nach der Ausschaffungshaft wird so sehr relativ, denn aufgrund der Ausschreibung im RIPOL müssen papierlose ehemalige Ausschaffungshäftlinge immer damit rechnen, verhaftet zu werden. Die Ausschreibung von «sanspapiers» im RIPOL ist zwar gemäss dem Datenschutzbeauftragten des Bundes rechtlich nicht zulässig, aber verbreitete Praxis. Das Bundesamt für Polizeiwesen gab an, bei entlassenen Ausschaffungshäftlingen einen Zusatz («Ausschaffung zur Zeit nicht möglich») im RIPOL zu speichern (siehe auch letztes Bulletin Nr. 17).
Aufgrund dieser Tatsache und weil sich viele betroffene Sanspapiers immer wieder über Verhaftungen und Schikanen beklagt hatten, wandten wir uns an diverse Behörden mit der Forderung, die Ausschreibungen von Sanspapiers im RIPOL rückgängig zu machen. Hier zwei weitere Antworten:
 
Zürcher Polizeidirektion (2.6.97)
Aus dem täglichen Umgang der Behörden mit solchen Fällen zeigt sich, dass nicht wenige dieser Ausländer nach der Entlassung aus der Ausschaffungshaft aktenmässig nie mehr in Erscheinung treten. Dieser Umstand legt die Vermutung nahe, dass sie – wohl unter Behändigung und Verwendung ihrer den schweizerischen Behörden vorenthaltenen Reisepapiere – das Land wieder verlassen haben. Diese Vermutung wird gestützt durch die von diesen Personen im Rahmen der fremdenpolizeilichen Abklärungen bzw. der Ausschaffungshaft gemachten Aussagen, wonach sie beabsichtigen, die Schweiz nach der Haftentlassung freiwillig wieder zu verlassen. Erweist sich aber, dass der widerrechtlich hier anwesende Ausländer die Schweiz während den nächsten vier Wochen nicht verlassen hat bzw. die Ausschaffung nicht vollzogen werden kann, beantragt die Fremdenpolizei in den Fällen, in welchen überhaupt eine Ausschreibung besteht, dem Bundesamt für Polizeiwesen die Aufnahme des entsprechenden Zusatzvermerkes ins RIPOL.
Wesentliche Schwierigkeiten ergeben sich beim weiteren (widerrechtlichen) Aufenthalt nach der Entlassung aus der Ausschaffungshaft aufgrund der Schriftenlosigkeit dieser Personen. Bei polizeilichen Anhaltungen, bspw. im Zusammenhang mit Kontrollen im Umfeld der verdeckten Drogenszene, kann der Betroffene keinen amtlichen Nachweis über die von ihm geltend gemachte Identität vorlegen. Am Ort des Aufgriffs sind vielfach keine Möglichkeiten vorhanden, die Angaben des Betroffenen zu verifizieren, weshalb er den Beamten zur näheren Abklärung auf den Polizeiposten zu folgen hat. Unterschieden werden muss dabei aber zwischen Anhaltung und Zuführungen auf den Posten zwecks Feststellung der Identität und solchen, die im Zusammenhang mit anderen polizeilichen Handlungen stehen (z.B. bei bestehendem Verdacht auf Deliktbegehung, bei Ausschreibungen und Aufenthaltsausforschungen anderer Amtsstellen etc). Dementsprechend können wir ohne Bekanntgabe von konkreten Fällen auch die von Ihnen erwähnten, «zum Teil mehrere Tage» dauernden Inhaftierung weder nachvollziehen noch kommentieren.
Verlässt ein ehemaliger Ausschaffungsgefangener die Schweiz (was ihm «nahegelegt» wird), so hat er – gemäss Polizeidirektion – sicher ein Papier benützt, das er vorher nicht rausrücken wollte: Schuldig. Bleibt er/sie in der Schweiz, ist der Aufenthalt weiterhin illegal: Schuldig. Rätselhaft hingegen der Satz: «...beantragt die Fremdenpolizei in den Fällen, in welchen überhaupt eine Ausschreibung besteht,...». Gemeint ist: Sanspapiers werden kurz vor einer vermeintlichen oder tatsächlichen Ausschaffung automatisch mit einem Landesverweis belegt und im RIPOL ausgeschrieben. Die Zürcher Justizdirektion beantragt dann beim Bundesamt für Polizeiwesen einen Zusatz im RIPOL: «Ausschaffung zur Zeit nicht möglich». Dies ändert nichts daran, dass der/die Sanspapier weiterhin als gesuchte Person im RIPOL ausgeschrieben ist.
Die Logik der Justizdirektion wird im nächsten Absatz ihres Briefes endgültig (er)schlagend: EinE Sanspapier bekommt nach neun (acht) Monaten Ausschaffungshaft immer noch keine Papiere. Also, lassen sich seine/ihre Angaben nicht verifizieren, also muss er/sie bei einer Kontrolle verhaftet werden. Erschwerend ist für die Betroffenen, dass sich das «Umfeld der verdeckten Drogenszene» überall und nirgends befindet.
Unterdessen hat die Polizeidirektion ihre Praxis aber geändert. Entlassene Ausschaffungshäftlinge erhalten, wenn sie sich bei den Behörden melden, einen «N»-Ausweis (entspricht dem Asylbewerber-Status»), der monatlich verlängert werden muss. Damit verhindert die Polizeidirektion, die eigentlich vorgeschriebene «vorläufige Aufnahme», die eine Arbeitserlaubnis einschliessen würde und bis auf Widerruf gültig wäre.
 
Antwort des Bundesrates vom 21.5.97 auf eine dringliche einfache Anfrage im Nationalrat vom 28.4.97
«Ist der Vollzug nur vorübergehend nicht möglich, wird die Fernhaltemassnahme nicht aufgehoben; sie bleibt rechtskräftig und damit auch im RIPOL verzeichnet. Die Anwesenheit der ausgewiesenen Person wird in diesem Fall trotz der Fernhaltemassnahme geduldet.
Bei Kontrollen durch die Polizeibehörden wurden gelegentlich Personen ausländischer Herkunft (...) unnötigerweise festgehalten. (...) Die zuständigen Stellen klären zur Zeit ab, wie die Bemerkung noch klarer formuliert werden könnte. Die Polizeibehörden und Grenzkontrollorgane sind in den genannten Weisungen ausführlich über die Bedeutung dieser beiden Einträge informiert worden, was die in der Anfrage erwähnten unrechtmässigen Verhaftungen ausschliesst. Bestünde kein Eintrag im RIPOL, würde dies ausserdem dazu führen, dass eine zu überprüfende Person – insbesondere wenn sie keine Papiere vorweisen kann – zwecks Feststellung ihrer Aufenthaltsberechtigung mangels Hinweis auf die rechtmässige Anwesenheit unnötig festgehalten würde. Die bestehende Regelung ist somit notwendig, und sie entspricht gemäss der Auffassung des Bundesrates grundsätzlich auch den Anforderungen des Datenschutzes.»
 
Viermal verhaftet
Zur Geschichte von K. (siehe Einleitung) musste seine Rechtsvertreterin folgenden Brief an die Frepo schreiben.
«Am 19.2. wurde Herr K. aus der Ausschaffungshaft entlassen. Erste Verhaftung am 12.3., zweite Verhaftung mit Körperverletzung seitens der Polizisten, 23.4. dritte Verhaftung - kein Protokoll bei den Akten. Am 3.6. wurde er zum vierten Mal festgenommen. Grund für die vier F0estnahmen: Ausgeschrieben im RIPOL, wie ich selber am PC sehen konnte, als ich mich am 5.6. bei der Kriminalpolizei erkundigte. Gleichentags telefonierte ich mit Herrn S., um zu fragen, weshalb der Zusatz im RIPOL «Ausschaffung zur Zeit nicht möglich» nach 3½ Monaten nicht erscheine. Seine Antwort hat mich sehr erstaunt: Er mache das dann schon, wenn ein Rapport über eine Festnahme eintreffe. Dies kann ja wohl nicht der Sinn der erwähnten Weisung sein, ganz abgesehen davon, dass zwei solche Rapporte bei den Akten liegen.
Anlässlich der Akteneinsicht am 9.6. fand ich dann den Brief ans RIPOL vom 5.6. Nach der Verhaftung vom 22.4. habe ich mit Ihnen ein Telefongespräch geführt. Sie erwähnten, dass auch von Genf noch ein RIPOL-Eintrag bestünde, und Sie versprachen mir, die Sache in Ordnung zu bringen. Das ist ein Weilchen her, von «umgehender Information ans RIPOL» kann da wohl nicht mehr gesprochen werden.»

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