Bulletin Nr. 18; August 1997

Ausschaffung ohne Zuschauer

Der Konflikt um die sich gegen ihre Deportation in das Bürgerkriegsland Algerien wehrenden algerischen Ausschaffungsgefangenen spitzt sich zu. Das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) und die Zürcher Polizeidirektion wollen die Betroffenen mit gecharterten Kleinflugzeugen direkt den algerischen Behörden überstellen. Damit wird für den Fall erneuter Gewaltanwendung durch die Polizei der Ausschluss der Öffentlichkeit garantiert.

Vera Britsch, Pressesprecherin des BFF, bestätigt die Befürchtungen von augenauf ohne jede Einschränkung. Der Bund kläre zur Zeit die Möglichkeiten ab, die Abschiebung sogenannt renitenter Ausschaffungshäftlinge nach Algerien mit gecharterten Kleinflugzeugen zu organisieren. Die Verhandlungen mit den algerischen Behörden über eine Landeerlaubnis seien im Gang. Der Kontakt zu einem Flugunternehmen, das diesen Auftrag ausführen würde, sei ebenfalls hergestellt.
Die gleiche Antwort geben die Verantwortlichen der Zürcher Fremdenpolizei. Die Ausschaffung per Polizeicharter sei einer der möglichen Wege, die man zur „Lösung“ des Problems renitenter Ausschaffungsgefangener ins Auge gefasst habe. Mit einem solchen Flug könnten bis zu vier Flüchtlinge abgeschoben werden. Denkbar sei allerdings auch, dass «schwierige» Gefangene mit einem normalen Linienflug, aber unter stärkerer Polizeibegleitung nach Algier ausgeschafft würden. In diesem Fall müssten mindestens zwei Polizeibeamte als Begleiter mitfliegen, um im Flugzeug die grösstmögliche Separierung von den normalen Passagieren sicherzustellen.
Hintergrund dieser menschenverachtenden Szenarien der Ausschaffungsbürokraten in Zürich und Bern ist der Widerstand, den algerische Flüchtlinge in den letzten Monaten geleistet haben. augenauf hat Informationen über mindestens ein halbes Dutzend Fälle, in denen die Polizei Ausschaffungsversuche abbrechen musste. Dabei kam es mehrmals vor, dass sich das Personal der algerischen Fluggesellschaft in Genf wegen der massiven Gewaltanwendung durch schweizerische Polizeibeamte geweigert hat, den Transport der Flüchtlinge durchzuführen.
Die verzweifelte Lage der algerischen Flüchtlinge in den schweizerischen Ausschaffungsgefängnissen haben wir bereits im Frühling publik gemacht. Zwei Gefangene aus Kloten hatten sich damals selbst verstümmelt, um die drohende Auslieferung nach Algier zu verhindern. Aufgrund der Proteste sah sich die Zürcher Polizeidirektorin Rita Fuhrer anfangs Mai veranlasst, einen dieser Fälle intern untersuchen zu lassen. In der am 6. Juni der Presse abgegebenen Stellungsnahme der Polizeidirektion machte Frau Fuhrer jedoch klar, dass man alles daran setzen werde, den Widerstand der Flüchtlinge gegen die Abschiebungen zu brechen. Zu diesem Zweck gelangte die Kantonspolizei unter anderem an den Bund, der um verstärkte Mitwirkung bei «Ausschaffungsschwierigkeiten» ersucht wurde. Das Konzept der Charterausschaffung nach Algier sind das Resultat dieser Anfrage.
Der enorme organisatorische und finanzielle Aufwand und das von den Behörden in Kauf genommene Risiko lassen den Verdacht aufkommen, dass die Zürcher Fremdenpolizei die Ausschaffung der sich gegen die Abschiebung wehrenden algerischen Flüchtlinge als Prestigefall betrachtet und zur Demonstration ihrer Macht benutzt. Deutlich wird allerdings auch, dass die Ausschaffungsbehörden entschlossen sind, im Abschiebeprozedere künftig vermehrt und offener Gewalt anzuwenden. Der Präsident der Vereinigung der kantonalen Fremdenpolizeichefs, der Bündner Heinz Brand, hat denn auch am 3. August in der Sonntagszeitung angekündigt, dass die Kantone im Rahmen eines zu bildenden Abschiebekonkordats sowohl die «Ausschaffungsflüge» als auch die entsprechenden Polizeiaktionen koordinieren wollten.
Im Hinblick auf die im September anlaufende grosse Abschiebeaktion von Flüchtlingen aus Kosova nach Ex-Jugoslawien hat der Bund diese Koordination bereits an die Hand genommen. Um die Massenabschiebungen praktisch realisieren zu können, plane man ganze Maschinen der jugoslawischen Fluggesellschaft zu chartern, erklärt die Informationsabteilung des BFF. Die Kantone haben zur Zeit den Auftrag, die während ihres Aufenthalts in der Schweiz in Konflikt mit den Behörden geratenen Kosovo-Albaner für die erste Abschiebewelle zu melden. Der am 1. September in Kraft tretende Vertrag mit dem Belgrader Regime sieht vor, dass den jugoslawischen Behörden «Hinweise auf die Person(en), die Zwischenfälle hervorrufen könnte(n), zwecks verstärkter amtlicher Begleitung» gemeldet werden. Begleitet werden sie, wie BFF-Sprecherin Britsch zugibt, von jugoslawischer Polizei.
Diese Alternative zur Ausschaffungen mit einem Grossaufgebot von schweizerischer Polizei ist übrigens keine hiesige Erfindung. In Deutschland sind es algerische Abschiebehäftlinge, die heute bereits beim Abflug auf den deutschen Flughäfen an algerische Polizisten übergeben werden.

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