Bulletin Nr. 15; September 1996
«Sans papiers» in den Knast – Menschenrechte in den Papierkorb:
ein Rückblick
Anlässlich der Pressekonferenz zu den neuesten
Bundesgerichtsurteilen bereiteten wir einen kleinen Rückblick über die
letzten 3, 4 Jahre zürcher Drogen- und Repressionspolitik vor. Die Medien
nahmen's nicht zur Kenntnis, wir hingegen gelassen. Denn wer schuf das
Klima, in dem die Neukomm, Estermann, Furrer, Leuenberger und Notter erst
so richtig loslegen konnten? Wereliwer?
Nach den Verhältnissen im Propog und den Umständen der Verhängung von
Ausschaffungshaft hat nun das Bundesgericht auch die Unterbringung von
Ausschaffungsgefangenen im Gefängnis Kloten I kritisiert.
Wir von augenauf sehen trotzdem keinen Grund zu jubeln, obwohl es
zugegebenermassen ganz angenehm ist, von einem der grossen Medien Zürichs
sozusagen rehabilitiert zu werden, nachdem man uns fast zwei Jahre lang
entweder ignoriert oder als prinzipiell unglaubwürdig hingestellt hat.
Doch angesichts der Bundesgerichtsurteile und den Urteilen von Haftrichter
Steiner, der mehrmals die Frepo korrigieren musste, beschleichen uns doch
eher düstere Gedanken. Denn das Bundesgericht – eigentlich nicht gerade als
Hort der Menschenrechte bekannt – hat nur ein paar wenige Grundsätze
durchgesetzt. Grundsätze, die – jetzt schleckts keine Geiss mehr weg – seit
Jahren in Kanton und Stadt Zürich systematisch und absichtlich verletzt
wurden und werden. Zum Beispiele jener Grundsatz – der den unermüdlichen
Apologeten des Rechtsstaates eigentlich nicht fremd sein dürfte – dass sich
die Gebäude den Gesetzen anzupassen haben und nicht umgekeht.
Die Strategie von Kantonsregierung mit ihren «linken» Justizministern
Leuenberger und Notter und des sog. «rot-grünen» Stadtrates ist ebenso
einfach wie wirkungsvoll.
1. Man verteufelt eine Randgruppe als Ursache aller Übel und
2. Man behauptet einen Notstand, der es leider unmöglich mache, die
Menschenrechte einzuhalten und verspricht Besserung in kurzer Frist.
Um nicht in den Verdacht der pauschalen Verbreitung von Behauptungen und
Anwürfen zu gelangen, möchten wir hier kurz darstellen, wie wir zu diesem
Vorwurf gelangen.
Vor der Platzspitzräumung war vor allem von den Junkies die Rede. Als die
Bevölkerung v.a. des Kreis 5 dann nach der Platzspitzräumung mit den
Junkies konfrontiert wurde und es klar wurde, dass Räumung, Vertreibung,
Einzäunung und Repression die Drogenfrage nicht lösen würde, musste ein
neuer Sündenbock her. Im Frühling 92 wurde die Jagd eröffnet: der
ausländische Drogenhändler (am liebsten ein Asylbewerber) wurde entdeckt.
Zuerst vom damaligen Frepo-Chef Gähwiler, dann von der Presse und
schliesslich auch vom Stadt- und Regierungsrat. In einer denkwürdigen
Pressekonferenz im Mai 92 behauptete Stadtrat Neukomm, seine Polizei sei
gegen dealende Ausländer hilflos. Es fehle an Gefängnisplätzen und Gesetzen
gegen drogenhandelnde Asylbewerber und Ausländer ohne Aufenthaltsrecht.
Von da an dominierte der «ausländische Drogenhändler» die Debatte um die
Drogenpolititk – eine Diskussion die schliesslich in der Annahme der
«Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht» mündet, mit deren katastrophalen
Auswirkungen wir heute konfrontiert sind.
Die Realität hat heute die Behauptungen der Zürcher Behörden, man könne
gegen die Drogenhändler nichts machen, als billige Propaganda entlarvt.
Nach über 6000 Inhaftierungen und tausenden von Ausschaffungen in nur
eineinhalb Jahren kann nicht einmal mehr ein Zürcher SP-Regierungs- oder
Stadtrat behaupten, es bestehe ein Zusammenhang zwischen dem Drogenmarkt
und der Möglichkeit Menschen ohne Anklage einzusperren und auszuschaffen.
Oder will jemand heute noch ernsthaft behaupten, die Drogenfrage sei seit
dem Inkrafttreten der Zwangsmassnahmen einer Lösung näher gekommen? Es gebe
weniger Junkies und weniger Drogen im Land?
In der allgemeinen Hysterie vor während und nach der Lettenräumung gelang
es dem Regierungsrat dann elementare Menschenrechte, wie das Recht eines
Untersuchungs- oder Ausschaffungsgefangenen auf Tageslicht und frische
Luft, ganz offiziell ausser Kraft zu setzen. Du Zustände im sogenannten
«Notgefängnis» im Bunker unterhalb des Waidspitals rechtfertigte
Regierungsrat Homberger mit dem lapidaren Hinweis, die Menschenrechte der
Bevölkerung des Kreis 5 seien wichtiger als jene von «ausländischen
Drogenhändlern». SP-Mann Neukomm stand daneben. Und abgesehen davon, sei
das Waid-Gefängnis nur ein Provisorium und mit dem Propog auf dem
Kasernenareal werde alles besser.
Im Propog wurde es dann aber nicht besser, keine Rede davon. Uns liegen
Dutzende von Aussagen von ehemaligen Gefangenen vor, die von Schlägen,
Hunger und unerträglichen Platzverhältnissen berichten. Der Kontakt mit
Gefangenen, wohlgemerkt zur Mehrheit Leute, denen nicht mal ein Verbrechen
vorgeworfen wurde, geschweige dann eines bewiesen, wurde und wird
systematisch unterbunden. Häftlinge, die versuchten ihren Namen nach aussen
zu rufen, wurden mit Sanktionen belegt, Leute die von der öffentlichen
Wiese her den Kontakt schaffen wollten, mit Polizeigewalt vertrieben und
mit Strafklagen belegt. Nachdem einige Häfltlinge im Propog im März letzten
Jahres in ihrer Verzweiflung sich selbst in Gefahr brachten und ihre Zellen
in Brand steckten, konnte es sich der Kanton leisten als Reaktion darauf
das Rauchen zu verbieten und mittels Sichtblenden den Kontakt der
Gefangenen auch untereinander zu verunmöglichen. Im Kantonsrat kritisiert,
kam von Regierungsrätin Furrer dann halt wieder der Hinweis,
dass mit der Eröffnung des Ausschaffungsgefängnisses Kloten II alles besser
werde. Ein letztes Wort zum Propog: Noch vor kurzem sagte mir ein
Gefangener im Gefängnis Kloten, dass im Propog immer noch Leute geschlagen
würden und dass die Gefangenen dort immer noch an zuwenig Essen bekommen...
In Kloten I sind die Verhältnisse besser als in Polizeihaft, das wird von
allen Gefangenen dort bestätigt. Man bekommt genügend, wenn auch schlechtes
Essen und es gibt Fernsehen und Beruhigungsmittel. Dennoch genügt auch
Kloten I den Vorschriften für die Unterbringen von Administrativhäftlingen
nicht. Das wissen die Verantwortlichen ganz genau und seit langem, denn sie
können sicher lesen: zum Beispiel die Botschaft des Bundesrates zu den
Zwangsmassnahmen oder die Mindestvorschriften des Europarates zur
Unterbingen von Administrativhäftlingen. Bei der Eröffnung von Kloten I
sagte Ex-Regierungsrat Leuenberger dann auch, Kloten I sei nicht für die
Unterbringung von Ausschaffungs-Häftlingen vorgesehen, während
Regierungsrat Homberger am gleichen Tag zum Propog sagte, eigentlich
sollten sich Häftlinge dort höchstens 96 Stunden aufhalten.
Selbstverständlich blieben dann Gefangene für Monate im Propog und ebenso
selbstverständlich sind massenhaft Ausschaffungsgefangene in Kloten I
inhaftiert.
Und ebenso selbstverständlich soll alles mit der Eröffnung von Kloten II
besser werden – ja vielleicht werden dannzumal sogar die Menschenrechte
eingehalten. Vielleicht kommt auch ein neuer Notststand dazwischen oder es
wäre einfach zu teuer die bereits eingebauten Trennscheiben wieder zu
entfernen. Oder es hat plötzlich nur noch gefährliche Gefangene, denen man
den freien Briefverkehr, die öffentliche Sprechzelle und den Umschluss aus
Gründen der Sicherheit nicht gewähren kann.
Würden der Zürcher Kantons- und Stadtregierung Gesetz und internationale
Nomen etwas bedeuten, so gäbe es aus der systematischen Verletzung der
Menschenrechte nur einen Schluss. Aussetzung des Vollzugs der
Zwangsmassnahmen und Abriss von Kloten I, II und des Propogs. Aber eben.
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