Bulletin Nr. 13; Mai 1996

Zürcher Polizei: Um auszuschaffen sind alle Mittel Recht

Die Geschichte von Ahmed F. (Name geändert) ist exemplarisch für das Schicksal von AusländerInnen unter dem Regime der Zwangsmassnahmen.
Der junge Algerier hatte im November 1993 ein Asylgesuch gestellt, das am 28. Juni 1994 abgewiesen wurde. Am 15. August 94 lief die Ausreisefrist ab. Obwohl Ahmed mangels Papieren nicht ausreisen konnte, wurde sein Aufenthaltsstatus nicht geregelt. Aus dem Flüchtling machte man einen 'Illegalen'
Am 16. Februar '95, wenige Tage vor der Schliessung der Drogenszene am Letten, wird Ahmed F. ein erstes Mal von einer Drogenpatrouille der Stadtpolizei verhaftet, kurz darauf jedoch wieder freigelassen.
Aus Angst vor einer weiteren Verhaftung, meldet sich Ahmed nicht mehr in der Asylunterkunft. Am 4. Mai fällt er an der Seepromenade ein zweites Mal einer Drogenpatrouille in die Hände. Weil er wegen des Wegweisungsentscheides im polizeilichen Fahndungscomputer Ripol ausgeschrieben ist, wird er verhaftet und der Fremdenpolizei überstellt. Nach 6 Tagen Haft ohne richterliche Haftprüfung lässt man ihn wieder laufen.
Zweieinhalb Wochen später wird Ahmed am Helvetiaplatz verhaftet. Nach einer Nacht auf der Wache lässt ihn die Polizei wieder gehen, weil "er zum jetzigen Zeitpunkt nicht aus der Schweiz ausgeschafft werden könne" (Polizeirapport).
Drei Tage später: Erneut gerät A. in eine Polizeikontrolle und wird verhaftet. Wie bei den vorhergehenden Kontrollen trägt Ahmed eine alte Uhr auf sich. Das wird ihm nun zum Verhängnis. Der Gefreite Gähwiler vermutet, dass Ahmed "auf deliktischem Weg" in den Besitz dieser Uhr und eines ebenfalls bei ihm gefundenen Feuerzeugs gekommen ist. Der Fall wird der Fachgruppe Diebstahl überwiesen. In der Einvernahme gibt Ahmed an, die Uhr einige Wochen zuvor für 10 Franken gekauft zu haben. Das Feuerzeug habe er einst von seinem Bruder erhalten. Weil er kein Geld mehr gehabt habe, hätte er die Uhr und das Feuerzeug verkaufen wollen. Bezirksanwalt Kloiber reicht dieser Sachverhalt, um Ahmed tags darauf per Strafbefehl wegen "untauglichen Hehlereiversuches" zu 5 Tagen Gefängnis zu verurteilen. Begründung: Der Angeklagte sei geständig. Das wäre auch die Voraussetzung für eine Verurteilung per Strafbefehl. Von einem Geständnis ist in den Akten Ahmeds jedoch nichts zu sehen.
In nur fünf Monaten haben die Zürcher Polizeibehörden damit aus dem 'papierlosen' Asylbewerber einen 'Kriminellen' gemacht. Und das hat Folgen. Nach der Verurteilung ordnet die Fremdenpolizei (Frepo) eine dreimonatige Ausschaffungshaft an. Am 14. Juni fragt die mit der Papierbeschaffung beauftragte Haftsachenleitstelle der Kantonspolizei bei der tunesischen Botschaft nach der Identität des Häftlings nach. Zwei Tage später geht ein Schreiben an die Interpol-Büros in Algier, Rabat, Tunis und Lyon. Darin wird "um Übermittlung aller zweckdienlichen Angaben (Ausweiskopien etc.), die über die Identität dieser Person Aufschluss geben" ersucht.. Zwei Wochen später erhält das algerische Generalkonsulat in Genf eine Anfrage betreffend Identitätsabklärung - der Form halber, da man weiss, dass von dort in der Regel keine Identitätsbestätigungen kommen.
Die drei Demarchen unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt. Den Konsulaten wird nur mitgeteilt, dass Ahmed wegen "fehlendem Identitätsausweis" angehalten, verhaftet und verurteilt worden ist. Die Polizeidienste Marokkos, Algeriens und Tunesiens erfahren jedoch, wessen sich der Mann seit seiner Einreise in die Schweiz "strafbar gemacht" habe. Neben der "Überprüfung in der Drogenszene", der "Wegweisung aus der Schweiz" und der Verhaftung vom 4. Mai "betreffend Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer" gehört dazu auch die Verurteilung zu "5 Tagen Haft wegen Hehlerei". Das ist das Profil eines in der Drogenszene aktiven Kleinkriminellen. Als solcher ist er nun bei den nordafrikanischen Polizeistellen bekannt. Diese Brandmarkung stützt sich einzig und allein darauf, dass Achmed mehrmals in der Innenstadt angehalten worden ist. Denn die Drogenszene reicht vom Bahnhof Altstetten bis ans Seebecken.
Im September hat Ahmed für einmal Glück. Wegen Verfahrensverschleppung durch die Fremdenpolizei lässt ein Haftrichter Ahmed auf freien Fuss setzen. Die Identitätsabklärung läuft allerdings weiter. Im Dezember '95 geht bei der Polizei der erwartete negative Bericht des algerischen Konsulats ein. Anfangs Januar erhält man jedoch die Nachricht, dass Interpol Algerien Ahmed identifiziert habe. Die von ihm angegebenen Personalien stimmen. Ein "laisser passer" könne ausgestellt werden.
Ahmed wird am 29. Januar '96 verhaftet. Am 10. Februar versucht man, ihn von Genf aus den algerischen Behörden auszuliefern. Ahmed kann jedoch mit der Besatzung des Flugzeuges sprechen. Diese weigert sich darauf, ihn mitzunehmen. Es folgt der Rücktransport nach Zürich, wo er zur Strafe vier Tage lang in die Arrestzelle geworfen wird. Nach Intervention seines Vertreters verlegt man ihn am 14. Februar ins Bezirksgefängnis Kloten. Ahmed hat Angst vor der Ausschaffung. Er geht davon aus, in Algerien wegen seiner Tätigkeit als Bote für den FIS sofort verhaftet zu werden.
Aufgrund diverser Interventionen von 'augenauf' und SOS-Menschenrechte und der Einreichung eines Wiedererwägungsgesuches für seinen Asylantrag wird Ahmed F. am 29. Februar freigelassen. In den Reisetaschen, welche die Zürcher Kantonspolizei Ahmed für die Deportation gepackt hat, finden sich, zuoberst liegend, Akten der Zürcher Justiz. Bei der Kontrolle in Algier, wären die algerischen Polizeibehörden als erstes auf diese Dokumente gestossen.

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